Kriegs-Elefanten im Sultanat von Delhi (12.-16. Jahrhundert)

Auf diesem Blog habe ich ja bereits über „tierische“ Themen wie Hunde im Islam oder Hunde am Mogulhof geschrieben. Heute soll es um Elefanten gehen, genauer gesagt um Kriegselefanten – und das ist ein interessantes Thema, dem man sich allerdings nicht unter heutigen Tierschutzaspekten nähern sollte.

Als Islamwissenschaftlerin schaue ich mir natürlich vor allem die Quellen der islamischen Dynastien Indiens an – aber man muss sagen, dass der Einsatz von Elefanten im Krieg ist für Indien schon seit dem 6. Jahrhundert v. Chr. belegt ist. So entwickelte sich im Lauf der Jahrhunderte auch eine spezielle veterinärmedizinische Literatur in Sanskrit, die die Zucht, Pflege und medizinische Behandlung von Elefanten enthielt. Diese literarischen Traditionen wurden von den muslimischen Dynastien, die in Indien herrschten, aufgenommen und weiterentwickelt.

Bedeutung von Kriegs-Elefanten

Schon die turkstämmigen Ghaznaviden, die Teile Nordindiens ab ca. 1001 n. eroberten, waren interessiert am Einsatz von Elefanten im Krieg. Doch sowohl Ghaznaviden als auch die Herrscher der „Sklavendynastie“ des Sultanats von Delhi setzten bevorzugt Pferde im Kampf ein – stammten sie selbst doch von den (teils) nomadischen Reitervölkern Zentralasiens ab. Doch langsam setzte sich bei den Herrschern des Delhi Sultanats die Meinung durch, dass „ein Elefant wertvoller ist als 500 Reiter“ (Roy, S. 177). Diese Aussage wird Sultan Ghiyâs ud-Dîn Balban (st. 1287) zugeschrieben. Abû l-Fazl (st. 1602), der Biograph und Sekretärs des Mogulherrschers Akbar (st. 1605) übernahm dieses Zitat in der Biographie Akbars, dem Akbar-nâma.

Elefanten als Statussymbole

Die Herrscher des Sultanats von Delhi sollen bis zu 3000 Elefanten in ihren Ställen (pîl-khâna oder fîl-khâna) gehalten haben. Dabei war es nicht einfach, an geeignete Elefanten zu kommen, denn diese stammten aus den feucht-warmen Dschungel-Gebieten im Osten oder Süden Indiens bzw. dem heutigen Sri Lanka. Elefanten vertrugen das kältere Klima im Norden Indiens nicht sehr gut. Auch sonst waren Haltung und Training von Elefanten sowohl kostspielig als aufwändig. Elefanten verbringen etwa 18 Stunden am Tag, um die notwendigen 200 kg Futter und 100 Liter Wasser aufzunehmen.

Trotz dieser enormen Aufwendungen hielten die Sultane der Sklavendynastie an der kostspieligen Elefantenhaltung fest. Dieses zeigt sich vor allem darin, dass Elefanten eine wichtige zeremonielle Rolle am Hof hatten. Ihre reine Existenz war ein Beweis für Reichtum und Status des Herrschers. Razia Sultan, die einzige Herrscherin des Delhi Sultanats, zeigte sich häufig in der Öffentlichkeit auf einem Elefanten. Auch an Schlachten soll die auf dem Elefantenrücken aktiv gekämpft haben. Dieses zeigte ihren männlichen Konkurrenten (ihren Brüdern) ihre eigene Überlegenheit. So wurden Elefanten zum Statussymbol und zum wichtigen Teil der Kriegsstrategie.

Elefanten: Training zum Krieger

Doch was hieß das genau? Die Sultane von Delhi setzten Elefanten vor allem dafür ein, Breschen in die gegnerischen Armeen zu schlagen. Auch als „Rammböcke“ bei der Eroberung von Festungen wurden sie eingesetzt. Eine große Horde alles niedertrampelnder Kriegselefanten sorgte auch schon für einen psychologischen Vorteil.

Um überhaupt in Kriegshandlungen teilnehmen zu können, bedurften die Elefanten eines langwierigen Trainings, das viele Jahre, manchmal sogar Jahrzehnte in Anspruch nahm. Viele Elefanten begannen erst mit etwa zwanzig Jahren (also nach der Pubertät) mit dem Training. Gut ausgebildete Kriegs-Elefanten waren zumeist zwischen vierzig und achtzig Jahre alt. Sie waren an laute Geräusche und Menschenmengen gewohnt.

Das Training wurde von einem Elefantenführer (mahout) durchgeführt, doch für die weitere Betreuung der Elefanten waren zahlreiche weitere Bedienstete in den Elefantenställen verantwortlich.

„Berauschte“ Kriegselefanten (mast)

Abschließend muss erwähnt werden, dass die Elefanten nicht freiwillig an Kampf teilnahmen. Vielmehr wurden sie z.B. durch Futter- oder Schlafentzug in eine aggressive Stimmung versetzt. Manchmal wurden sie auch durch Alkohol oder durch die Gabe bestimmter Pflanzen in diesen aggressiven Zustand versetzt. Diese Stimmung wird in den persischen Quellen als mast bezeichnet. Dieses Wort ist gleichzeitig der Begriff für die Zeit im Jahr, in der sich der Testesteronspiegel der Elefantenbullen um bis das sechzigfache ansteigt und der Bulle besonders aggressiv auf männliche Artgenossen reagiert. Er sondert in dieser Zeit an den Schädeldrüsen ein besonderes Sekret ab. Dass bei Kriegselefanten auch der Begriff mast verwendet wird, deutet darauf hin, dass dieser Zustand vor dem Kampf künstlich herbeigeführt wurde.

Der oben bereits erwähnte Abû l-Fazl schrieb im Akbar-nâma, dass Akbar in der Lage war, Elefanten im Zustand des mast zu reiten und in den Kampf zu führen. Dabei nahm Akbar auch einige interessante Veränderungen der Militärstrategien im Vergleich zum Sultanat von Delhi vor. Da das Material darüber sehr umfangreich ist, werde ich einen zweiten Teil zu diesem Thema verfassen. Er wird sich auch mit der Frage beschäftigen, warum Elefanten seit dem späten 16./frühen 17. Jahrhundert immer weniger auf dem Schlachtfeld zu finden waren.

Das Beitragsbild zeigt den königlichen Elefanten Madukar. Das Bild wurde vom berühmten Maler Hashim (st. 1654) gemalt. Es ist Public Domain.

Literatur:

Gommans, Jos J.L.: Mughal Warfare: Indian Frontiers and Highroads to Empire, 1500-1700. London et al., 2002 (EBook)

Roy, Kaushik; Peter Lorge: Chinese and Indian Warfare: From the Classical Age to 1870: London et al., 2015.

+++ Hier gibt es einen Überblick über unsere Beiträge zum Sultanat von Delhi ++++

Zwischen Loyalität und Rebellion: Akbars Sohn Murâd (st. 1599)

Susanne Kurz und ich haben schon häufiger die Töchter und Söhne des Mogulkaisers Akbar (st. 1605) bzw. deren Verhältnis zueinander gebloggt. Heute möchte ich noch einmal auf Schâh Murâd eingehen, den zweiten der drei überlebenden Söhne Akbars.

Im heutigen Beitrag soll es zunächst um die Kindheit und Jugend Murâds gehen – auf sein schwieriges Verhältnis zu seinem Vater Akbar komme ich später einmal in einem zu sprechen.

Murâds Geburt

Wie immer erfahren wir einiges aus Akbars Familie von seinem ältesten Sohn und Nachfolger, Dschahângîr (st. 1627). Er berichtete in seinen Memoiren Tuzuk-i Jahângîrî, dass Murâd im Juni 1570 , nur wenige Monate nach ihm selbst und kurze Zeit nach einer Tochter, geboren wurde. Da Murâd nicht in der Hauptstadt Fatehpur Sikri, sondern in den Bergen zur Welt kam, erhielt er den Beinamen „der aus den Bergen“, Urdu: pahârî.

Anlässlich seiner Geburt verfassten Dichter Verse zu Ehren Murâds, Horoskope wurden nach griechischer und nach indischer Tradition erstellt. Dennoch ist zwischen den Zeilen aller Quellen zu lesen, dass Murâds Geburt nicht mit demselben Pomp gefeiert wurde wie die Salîms / Dschahângîrs. Einer der Gründe ist wahrscheinlich die Tatsache, dass Salîm der Sohn einer rechtmäßigen Ehefrau Akbars, Murâd hingegen der einer Dienerin.

Murâd wuchs wie alle Kinder Akbars im kaiserlichen Harem auf. Da er ja wie gesagt das Kind einer Dienerin war, wurde er, um ihm die Erziehung eines möglichen Thronfolgers zu geben, von Akbars Cousine und Hauptfrau Salîma Sultân Begum (st. 1613) erzogen. Einige Quellen berichten auch, dass Salîma die Mutter Murâds war, aber das ist nicht wahrscheinlich.

Murâds Ausbildung

Akbar ließ alle seine Söhne von bedeutenden Mitgliedern seines Hofstaates unterrichten: Murâd bekam Akbars Sekretär Abû l-Fazl (st. 1602) unterrichtete ihn. Außerdem wurde er von den Jesuitenpatern Antonio de Monserrat und Francisco Aquaviva in den Grundlagen des Christentums unterwiesen. Ein weiterer, allerdings indirekter Einfluss war der des 3. Dalai Lama Sonam Gyatsu (st. 1588), der sowohl mit Akbar als auch mit den Jesuiten im Austausch stand.

Bereits mit sieben Jahren erhielt Murâd sein erstes Militärkommando: 7000 Männer standen nun unter seinem Befehl. Als er 14 wurde , kamen weitere 2000 Männer dazu. Mit 23 musste Murâd auf Befehl die Truppen im Dekkan kommandieren – doch dieser Aufgabe war er aufgrund seines Alkoholkonsums nicht gewachsen. Er ließ sich aber auch von Akbar seinen Alkoholkonsum nicht verbieten.

Ebenso wie seine Brüder Salîm und Danyâl konsumierte Murâd zu viel Alkohol und Opium – diese Sucht verursachte seinen frühen Tod mit 28 Jahren. Susanne hat ja bereits in einem Beitrag gezeigt, dass Salîm / Dschahângîr in seiner Autobiographie die Folgen der Alkohol und Opium bei seinen Brüdern kritisierte, aber dieselben Substanzen selbst weiter konsumierte.

Fakt ist jedenfalls, dass beide Brüder Salîms bei Akbars Tod nicht mehr am Leben waren, Salîms Nachfolge also unangefochten war. Eigentlich hätte Salîm also die Konkurrenz seiner Brüder nicht mehr fürchten müssen und hätte sich positiv über sie äußern können – dass er es nicht tat, zeigt auch, wie tief der Bruderkonflikt gesessen haben muss.

Murâds Aussehen

Bei der Beschreibung Murâds wird deutlich, dass Salîm der Ansicht war, Murâd entspreche nicht dem gängigen Schönheitsideal seiner Zeit: seine Hautfarbe sei sehr (=zu) dunkel, Murâd leicht übergewichtig. Zudem sei er der Sohn einer Dienerin. Doch lassen wir zum Abschluss Dschahângir sprechen (Jahangirnama, S. 37, Übersetzung aus dem Englischen C.P):

Sein Teint war dunkel, und er war groß mit einer Veranlagung zum Übergewicht. In seinem Verhalten war Ernsthaftigkeit offenkundig, und Tapferkeit und Mannhaftigkeit bestimmten sein Verhalten.

‚Dass gerade diese Eigenschaften, Tapferkeit und Mannhaftigkeit, nicht mit den militärischen Misserfolgen Murâds übereinstimmten, wird wohl auch den zeitgenössischen Lesern klar gewesen sein. Davon soll dann in einem weiteren Beitrag die Rede sein.

Faruqui, Munis D.: The Princes of the Mughal Empire. Cambridge: CUP, 2012.

Nûr ud-Dîn Salîm Dschahângîr: Tuzuk-i Dschahângîrî / transl. Wheeler M. Thackston: The Jahangirnama. New York et al., 1999.

Das Beitragsbild zeigt die Brüder Murâd und Danyâl beim Picknick. Der Maler ist unbekannt, ca. 1900. – Purchase–Smithsonian Unrestricted Trust Funds, Smithsonian Collections Acquisition Program, and Dr. Arthur M. Sackler S1986.427. Das Bild unterliegt der Public Domain Licence.

Hier geht es zu einem Überblick über unsere Beiträge zur Mogulgeschichte

Akbars Leberfleck – wie sah der Mogulherrscher (st. 1605) „wirklich“ aus?

Eigentlich sollte man ja als jemand, der über Mogulgeschichte arbeitet, glücklich über die vielen Miniaturen sein, die vom Mogulherrscher Akbar (st. 1605) existieren. Sie geben uns Auskunft über das Bild, das Akbar von sich selbst vermittelte: über den „Herrscher mit Heiligenschein“ hatte ich ja schon einmal gebloggt und gezeigt, dass Akbar sich selbst als umgeben und inspiriert vom göttlichen Licht sah.

Dieses ist natürlich nicht wirklich aussagekräftig über das „wirkliche“ Aussehen und Auftreten des Herrschers – falls man dieses überhaupt jemals rekonstruieren kann.

Ich lasse deshalb heute zwei sehr gegensätzliche Quellen sprechen: zum einen die Mitglieder der Jesuiten-Mission, die 1580 den Hof Akbars aufsuchte und zum anderen Salîm / Dschahângîr (st. 1627), Akbars Sohn.

Ich hatte ja schon häufiger etwas zu den Jesuitenmissionen geschrieben, die an Akbars Hof kamen, in der Hoffnung, der Herrscher könnte vom Islam zum Christentum konvertieren. Die portugiesischen Pater wollten darüber hinaus Handelsbeziehungen zwischen Indien und Portugal etablieren. Es kam den Jesuiten also auch darauf an, Akbar möglichst genau zu beobachten, etwas über seine Stärken und Schwächen herauszufinden. Folgendes finden wir zu Akbars Auftreten (zitiert nach Du Jarric, S. 21, Übersetzung aus dem Englischen CP)

Zu diesem Zeitpunkt war er etwa 40 Jahre als, von mittlerer Statur und breit gebaut. Er trug einen Turban auf dem Kopf, und der Stoff seiner Kleidung war mit Goldfäden durchzogen. Seine Oberbekleidung reichte ihm bis zu den Knien, die Unterkleidung bis zu den Fersen. Seine Strümpfe waren wie unsere, aber die Schuhe waren nach einem besonderen Muster gemacht, das er selbst entworfen hatte. Auf seiner Stirn hatte er mehrere Reihen Perlen oder kostbare Steine. Er mochte portugiesische Kleidung sehr, und manchmal zog er Kleidung aus schwarzem Samt nach portugiesischer Mode an – doch das tat er nur bei privaten, nicht bei offiziellen Anlässen.

Wir erfahren hier also einiges über Akbars Aussehen und sein Auftreten. Doch noch informativer ist die Beschreibung Akbars durch seinen Sohn und Nachfolger Salîm /Dschahângîr, der seinen Vater positiv (fast liebevoll) porträtiert. Das ist ja insofern verwunderlich, als dass Salîm als Kronprinz heftig gegen seinen Vater rebelliert hatte. Doch lassen wir Salîm zu Wort kommen (Jahangirnama, S. 36, Übersetzung aus dem Englischen: CP).

Er war von mittlerer Größe, hatte einen weizenfarbenen Teint und schwarze Augen und Augenbrauen. Sein Gesichtsausdruck war strahlend, sein Körperbau entsprach dem eines Löwen, mit breiter Brust und langen Armen und Beinen.

… und dann wird es interessant…

An seinem linken Nasenloch hatte er einen sehr schönen fleischigen Leberfleck, etwa von der Größe einer halben Kichererbse. Unter den Experten der Physiognomie gilt ein solcher Leberfleck als Glückszeichen. Seine erhabene Stimme war sehr laut, und er hatte einen besonders nette Art zu sprechen. In seinem Verhalten und seinem Benehmen gab es nichts Vergleichbares zwischen ihm und den Menschen dieser Welt – eine göttliche Aura umgab ihn.

Die Darstellung Akbars stimmt also überein: dass er nämlich mittelgroß und von kräftiger Statur war. Seine Eigenschaften werden übereinstimmend mit dem damaligen Männlichkeitsideal dargestellt – und die Beschreibung der „göttlichen Aura“ findet sich auch in der zeitgenössischen Malerei wieder.

Lediglich der der glücksbringende Leberfleck ließ sich (bisher) auf den Miniaturen nicht entdecken…

Literatur:

Du Jarric, Pierre: Akbar and the Jesuits / trans. by C.H.Payne. New York et. al.: Harper, 1926.

Nûr ud-Dîn Salîm Dschahângîr: Tuzuk-i Dschahângîrî / transl. Wheeler M. Thackston: The Jahangirnama. New York et al., 1999.

Das Beitragsbild zeigt ein Portrait Akbars vom Maler Govardhan, ca. 1630

Metropolitan Museum of Art [Public domain]

+++HIER +++gibt es einen Überblick über unsere Beiträge zur Mogulgeschichte

Vorbild für Razia Sultan? Die Qara-Khitai und weibliche Herrschaft im 12. Jahrhundert

Bis heute gilt in Indien die Herrschaft von Razia Sultan (st. 1240 ) als ungewöhnlich, war sie doch die erste Herrscherin über das Sultanat von Delhi – damit war sie eine der ersten muslimischen Herrscherinnen überhaupt.

Schaut man jedoch genauer auf die Herkunft der Eliten des Delhi Sultanats, ist die Krönung einer Herrscherin im Indien des 13. Jahrhunderts vielleicht doch nicht so verwunderlich.

Nomadische Herkunft

Razia Sultan stammte aus der so genannten Sklavendynastie (Mamlukendynastie) des indisches Delhi Sultanats – und somit ist es sehr schwierig, Informationen zur genauen Herkunft ihrer Vorfahren zu machen. Zur genauen Herkunft ihres Großvaters Qutb ud-Dîn Aibek (st. 1210 ) oder ihres Vaters Iltutmish (st. 1236) können wir quasi gar nichts sagen – außer, dass sie wahrscheinlich kaukasischer Herkunft waren oder turk-stämmig waren.

Wir wissen aber auch, dass ein Teil der herrschenden Elite des Delhi Sultanats eine Abstammung von den Qara-Khitai (Kara Kitai) beanspruchte. Qara-Khitai bedeutet „Schwarze Khitai“ – es handelte sich um Nachfahren der Khitan, also nomadisch lebender Volksstämme, die ab dem 6.Jahrhundert ein Reich zunächst von Kirgisien aus bis in das heutige Nordostchina und die nördlichen Provinzen Koreas in der heutigen Mandschurei errichten konnten. Zu Beginn des 12. Jahrhunderts wurde dieses Liao-Reich von den Jurchen übernommen, die ebenfalls aus der Mandschurei stammten. Die Khitan flüchteten in Richtung Westen und kamen dabei zum Teil durch Südsibirien. Erst unter dem Großkhân Yelü Dashi (st. 1143) gründeten die Qara-Khitai ein neues Reich, das unter „Westliches Liao-Reich“ bekannt wurde. Das Gebiet umfasste etwa das heutige Xinjang der muslimischen Uiguren (Uigurisches Autonomes Gebiet Xinjang) in China.

Regentinnen

Xiao Tabuyan

Nach Yelü Dashis Tod wurde seine Witwe (und Cousine) Xiao Tabuyan Regentin. Von 1143-1150 führte sie für den noch minderjährigen Sohn Yelü Dahis, Yelü Yelie, die Regierungsgeschäfte. Dieses war zu der Zeit nicht einfach, denn das Reich der Qara-Khitai waren militärisch ständig bedroht. 1143/44 führte der mächtige Seldschuken-Fürst Ahmad Sandschar (st. 1157) Feldzüge in den von Qara-Katai beherrschten Gebieten und unterwarf sogar die mächtigen Khwarazm-Shâhs, die nun den Qara-Khitai und den Seldschuken tributpflichtig waren.

Dennoch behauptete sich Xiao Tabuyan als Herrscherin, wie die folgende Anekdote zeigt: ein Gesandter der Jurchen wurde zu Xiao Tabuyan geschickt, um den Gebietsanspruch der Jurchen gegenüber der Regentin zu erklären. Xiao Tabuyan befand sich jedoch auf der Jagd und weigerte sich, vom Rücken des Pferdes zu steigen. Als der Gesandte die Herrschaftsansprüche der Jurchen mehrfach wiederholte, ließ Xiao Tabuyan ihn hinrichten.

Yelü Pusuwan

Xiao Tabuyan trat zurück, als Yelü Yelie 1150 die Regierung übernehmen konnte. Doch dieser blieb bis zu seinem Tod 1163 ein eher schwacher Herrscher. Sein Sohn Yelü Zhilogu war noch zu jung, um die Herrschaft zu übernehmen, deshalb übernahm seine Schwester Yelü Pusuwan ab 1164 die Herrschaft. Sie war erheblich aktiver als ihr Bruder und ließ 1168 von ihren Truppen Balkh (heute Afghanistan) erobern. Sie mischte sich auch aktiv in die Nachfolgestreitigkeiten unter den Khwarazm-Shâhs ein, als Il-Arslan 1172 starb: so ließ sie dessen Sohn Tekish (st. 1200) auf dem Thron installieren.

Ihre Regentschaft wurde durch einen handfesten Skandal am Hof beendet: so berichten chinesische Chroniken, dass Yelü Pusuwan ihren Ehemann Xiao Duolubo auf militärische Expeditionen schickte, damit ihre Affäre mit dessen Bruder Xiao Pughuzi unentdeckt blieb. Schließlich ließ Yelü Pusuwan ihren Mann ermorden – doch ihr Schwiegervater entdeckte die Affäre zwischen Xiao Pughuzi und Yelü Pusuwan und tötete beide. Yelü Yelies Sohn Yelü Zhilugu (st. 1213) wurde der letzte Gur-Khân. Das Reich der Qara-Khitai wurde von Dschingis Khân (st. 1227) erobert.

Der Einfluss der Frauen der Eliten der Qara-Khitai ist in der Tat bemerkenswert, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass dieser sich bis zur Zeit Razia Sultans und bis nach Indien fortsetzte. Interessant ist aber auch, dass tatsächliche oder angebliche Affären weibliche Herrschaft (und das Leben der Betroffenen) sehr schnell beenden konnten – wie es auch bei Razia und ihrer angeblichen Affäre mit Yâqût der Fall gewesen ist.

Beitragsbild:

Das Bild zeigt die Kitan im 10. Jh. : English: Hu Gui中文: 胡瓌 [Public domain]

Literatur:

Baumer, Christoph: The History of Central Asia: The Age of Islam and the Mongols. London: I.B. Tauris 2016.

+++ Hier gibt es einen Überblick über unsere Beiträge zum Sultanat von Delhi ++++

+

Ostern in Lahore: Akbars (st. 1605) Religionspolitik (Osterspecial 2019)

Im Weihnachtsspecial 2018 hatte ich die Kirche im indischen Agra beschrieben, die der muslimische Mogulherrscher Akbar (regierte 1556-1605 ) errichten ließ.

Angeregt durch einen religiösen Diskurs mit den portugiesischen Jesuiten-Mönchen an seinem Hof, beschäftigte Akbar mit dem Christentum und gestattete den Christen Agras schließlich, eine eigene Kirche zu erbauen.

Das zweite Zentrum der jesuitischen Mission war die Stadt Lahore, die im heutigen Pakistan liegt. Lahore war von 1585-1598 Hauptstadt des Mogulreiches, da Akbar sich erhoffte, von dort aus die militärischen Auseinandersetzungen im Nordwesten seines Reiches besser unter Kontrolle zu bringen. Nachdem ihm dieses gelungen war, richtete Akbar seinen Hof wieder in Agra ein. Lahore blieb dennoch ein wichtiges weiteres Zentrum des Mogulreiches. Aus diesem Grund war es auch wichtig für die Jesuiten, ihre Missionsaktivitäten in Lahore beizubehalten. Sie hofften immer noch, dass wichtige Mitglieder des Hofes oder sogar der Herrscher selbst zum Christentum konvertieren würden. Diese Hoffnung mussten die die Jesuiten jedoch aufgeben – zumindest unter Akbars Herrschaft.

Akbars erster Dialog mit den Jesuiten

So war die erste Mission der Jesuiten 1583 gescheitert – die Jesuiten um Pater Rodolfo Acquaviva kehrten zurück zur Basis der jesuitischen Mission in Goa, wo Acquaviva während hinduistischer Aufstände getötet wurde. Akbar war schockiert von Acquavivas Tod, denn er hatte sich mit ihm häufig über die Lehren des Christentums unterhalten. Akbar war besonders an den Feiertagen von Ostern und Weihnachten interessiert, wie wir in einem Bericht lesen können (Du Jarric: Akbar and the Jesuits, S. 22)

Pater Aquaviva (sic!) kam ein anderes Mal an den Hof (i.e. Fatehpur Sikri, CP), um dem Kaiser mit einem Geschenk Bonne Pasques oder Frohe Ostern zu wünschen, da es der Abend der Wiederauferstehung unseres Erlösers war. Seine Majestät war sehr erfreut darüber. Er erwies dem Pater eine große Ehre, indem die Unterhaltung mit ihm bis spät in die Nacht führte. Er stellt ihm viele Fragen: über das Wunder der Auferstehung unseres Erlösers und die Regeln, die Christen bei den Gebeten zu Gott befolgen. Diese und andere Fragen wurden beantwortet und Akbar entließ den Pater mit großer Freundlichkeit.

Die zweite Jesuitenmission und die Kirche in Lahore

Nach Pater Acquavivas Tod dauerte es sieben Jahre, bis Akbar wieder Kontakte zu den Jesuiten aufnahm. Ein gewisser Pater Leo Grimon suchte den Hof Akbars in Lahore im Jahr 1590 auf. Grimon stammte aus Griechenland, eine Tatsache, die Akbar besonders interessierte. So vereinbarte er mit Grimon die Übersetzung verschiedener griechischer Werke – ob diese Vorhaben durchgeführt werden, ist allerdings unbekannt.

Akbar ließ Grimon eine Einladung an seinen Hof überbringen. Während einige Jesuiten daraufhin nach Agra reisten, blieben mehrere Mönche in Lahore. Drei von ihnen (Pater Edward Leitao, Pater Christopher de Vega and Bruder Stephen Ribero) sollen laut einiger portugiesischer Quellen eine kleine Kirche aus Holz errichtet haben. Dabei halfen ihnen armenische Christen und wahrscheinlich auch Einwohner Lahores. Akbar hingegen war von der Errichtung der kleinen Kirche nicht angetan. Er erteilte zwar kein Verbot der Kirche, erlaubte aber nicht, dass das Kreuz auf dem Dach sichtbar aufgestellt wurde. So wurde das Kreuz schließlich in dem kleinen Raum der Holzkirche untergebracht.

Die große Kirche von Lahore und die Osterfeierlichkeiten

1595 gestattete Akbar dann schließlich den Bau einer Kirche in Lahore. Diese wurde 1597 offiziell eingeweiht. Akbar unterstützte den Bau finanziell und stiftete auch einige religiöse Bilder, die er von seinen Hofmalern anfertigen lassen hatte.

Ostern wurde in dieser Kirche immer Szenen aus dem Leben Jesu gespielt, zudem gab es auch Darstellungen bzw. Vorträge zur Überlegenheit der christlichen Religion. An den Feiertagen suchten Tausende von Menschen aller Religionen die Kirche auf. Auch die Konversionen zum Christentum nahmen an diesen Tagen immer zu. Akbar selbst besuchte die Kirche in Lahore einige Male – auch die Mitglieder seiner Familie und Angehörige seines Hofes kamen oft vorbei.

Akbar schuf sowohl in Agra als auch in Lahore ein Klima der religiösen Toleranz und Offenheit. Obwohl es auch von Anhängern aller anderen Religionen Proteste gegen den Besuch einer christlichen Kirche gab, besuchten auch Muslime und Hindus die Kirche in Lahore. So gab es einen Austausch und Dialog der Religionen, der bis heute seinesgeichen sucht.

Das Beitragsbild zeigt die Geburt Jesu auf dem Bild eines Malers des Mogulhofes im 18. Jahrhundert.

Literatur: Du Jarric, Pierre: Akbar and the Jesuits / translated by C.H.Payne. London 1926 (1st ed.)

+++HIER +++gibt es einen Überblick über unsere Beiträge zur Mogulgeschichte

Akbars Lieblingstante: Gulbadan Bâno (st. 1603)

Am Hof des Mogulkaisers Akbar (regierte 1556-1605) spielten die Frauen seiner Familie eine große Rolle. Sie hatten zum Teil einen erheblichen Einfluss auf den Herrscher und waren auch an politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen beteiligt. Dieses betraf sowohl Akbars Ehefrauen (Jodha Bai/Maryam uz-Zamânî (st. 1623) und Salîma (st. 1613 )) als auch seine Mutter Hamîda Bâno (st. 1604). In diesem Beitrag soll es um Akbars Lieblingstante Gulbadan Begum gehen (wörtlich „der Körper einer Rose“).

Gulbadan Begums Zeit in Kabul

Gulbadan Begum war eine der jüngeren Töchter des ersten Mogulherrschers Indiens, Bâbur (st. 1530) und seiner Frau Dildâr. Zur Zeit ihrer Geburt 1523 in Kabul beherrschte Bâbur erst weite Teile des heutigen Afghanistans – erst ab 1525 begannen die Eroberungen in Nordindien. Ab dieser Zeit wurde Gulbadan Begum von Mahâm Begum, der Mutter ihres Bruders Humâyûns (st. 1556), erzogen. 1526 eroberte Bâbur nach der erfolgreichen Schlacht von Panipat Delhi und später Agra und begründete somit das Mogulreich. An seinen gesamten weiblichen Hofstaat ließ er über einen Vertrauten Geschenke verteilen und befahl den Frauen, von Kabul nach Agra umzusiedeln. Ein Grund dafür schien gewesen zu sein, dass die Frauen des Harems sich  immer wieder in politische Angelegenheiten eingemischt hatten – der Herrscher erhoffte sich, die Frauen in Agra besser unter Kontrolle haben zu können. So kam Gulbadan Begum zum ersten Mal nach Agra, das sie 1540 wieder verlassen musste, als ihr Bruder Humâyûn das indische Gebiet wieder verlor und mehr als 15 Jahre im Exil in Lahore, Kabul und Persien lebte.

Gulbadan Begum kehrte nach Kabul zurück, zu dieser Zeit wohl schon verwitwet. Sie war in Indien mit 17 Jahren mit Khizr Khwâja Khân verheiratet worden. Mit ihm hatte sie wahrscheinlich mehrere Kinder, die jedoch wohl alle sehr jung starben – leider erfahren wir aus den Quellen nicht mehr darüber.

Gulbadan Begum kommt nach Agra

1556 änderte sich Gulbadan Begums noch einmal entscheidend, denn ihr Neffe Akbar wurde nach dem plötzlichen Tod seines Vaters Humâyûn mit nur 14 Jahren Herrscher des Mogulreiches.

1557 traf Gulbadan zusammen mit Akbars Mutter Hamîda Begum in Agra ein. Die beiden Frauen zählten nun mit Akbars Ratgebern Bairam Khân  (st. 1561) und Atga Khân (st. 1562) zu den wichtigsten Personen am Hof.

Gulbadan war dafür bekannt, dass sie ein gewisses erzählerisches Talent hatte und gut Geschichten erzählen konnte. Aus diesem Grund war sie die Person, die Akbar beauftragte, eine Geschichte der Ereignisse rund um Bâbur und Humâyûn zu verfassen.

Gulbadan Begums „Familiengeschichte“

Dieser Aufgabe kam Gulbadan Begum gerne nach, und sie verfasste das Werk, das unter dem Titel Humâyûn-nâma („Nachrichten über Humâyûn“) bekannt wurde. Darin thematisierte sie nicht nur die positiven Seiten ihres Vaters und ihres Bruders, sondern beschrieb auch in Details dessen Konflikt mit dem weiteren Bruder Kâmrân Mîrzâ (st. 1557). Aus dem Werk können wir auch entnehmen, dass sie sich besonders gut mit ihrem Bruder Hindal Mîrzâ, dem Vater von Akbars Cousine und Ehefrau Ruqaiya Begum verstand.

Die Rolle der Frauen im Harem bei der Vermittlung in familiären Streitigkeiten und bei der Ehestiftung wird von Gulbadan hervorgehoben. Das Werk ist auf Persisch verfasst – und die einzige erhaltene Biographie dieser Zeit, die von einer Frau geschrieben wurde. Es endet aber vier Jahre vor dem Tod Humâyûns.

Über das weitere Leben Gulbadans wissen wir nicht sehr viel, denn darüber berichtet sie ja nichts mehr.

Gulbadan Begums Pilgerfahrt nach Mekka

1575 brach Gulbadan Begum  zusammen mit Hamîda Bâno und Salîma Sultân zu einer Pilgerfahrt nach Mekka auf. Doch Gulbadan Begum verbrachte insgesamt vier Jahre in Mekka und zusätzlich zwei Jahre in Aden (Jemen), bevor sie nach sieben Jahren wieder an Akbars Hof ankam. Dort wurde sie von Akbar mit besonderen Ehren empfangen.

Um ihre Pilgerfahrt soll es noch ein einem separaten Blogbeitrag gehen.

Gulbadan Begum starb 1603. Sie wurde von Akbar besonders betrauert. Ihr Werk ist bis heute ein interessantes Gegengewicht zu allen von Männern geschriebenen Quellen dieser Zeit.

Literatur

Gulbadan Begum: Humayun-nama :The history of Humayun. (tr. by Annette S. Beveridge) Royal Asiatic Society, 1902.

Purnaqcheband, Nader: „Perspektiven aus Harem und Heerlager in der frühen Mogulzeit“, in: Susanne Kurz, Claudia Preckel, Stefan Reichmuth (eds.): Muslim Bodies. Münster 2016, 213-238.

+++HIER +++gibt es einen Überblick über unsere Beiträge zur Mogulgeschichte

Berühmte Frauen an den islamischen Höfen Indiens – Internationaler Frauentag 2021

Frauen im Sultanat von Delhi

Razia Sultan und die TV-Serie

Der Mordanschlag auf Razia Sultan- und warum diese trotzdem Herrscherin wurde

Razia Sultan und ihre Kleidung

Vom Feind zum Ehemann – Razia Sultan und Malik Altunia

Hatte Razia Sultan eine Affäre mit dem Sklaven Yaqut?

Frauen am Mogulhof

Akbars Mutter Hamîda Bâno

Akbars Amme Jîjî Anga

Mahâm Anga – Akbars Amme und Ministerin

Mâh Chûchak – Akbars „böse Stiefmutter“

Akbars Ehefrau Jodha Bai

Das Grab Jodha Bais?

Akbars Ehefrau (und Cousine) Ruqaiya Begum

Akbars Ehefrau (und Cousine) Salîma Begum

Akbars Töchter

Dschahângîrs Ehefrau Mân Bai

Dschahângîr Ehefrau Jagat Gosain

Dschahângîrs Ehefrau Nûr Dschahân, Teil 1

Dschahângîrs Ehefrau Nûr Dschahân, Teil 2

Ein vorhergesagter Tod? Dschahângîrs Ehefrau Sâliha Begum

Dschahângîrs fast verhinderte Hochzeiten

Dschahângîr und Anarkali

Mumtâz Mahall und das Tâdsch Mahall

Mumtâz Mahall – eine Biographie

Dschahânâra Begum – First Lady des Mogulreiches und Dichterin

Dschahânâra Begums schwerer Unfall und der Bericht darüber

Gefährliche Liebschaften? Die Affären zweier Mogulprizessinnen

Die Begums von Bhopal

Sultân Dschahân Begum, Teil 1

Sultân Dschahân Begum, Teil 2

Sonstige (nicht Indien)

Schadscharat ad-Durr, Herrscherin über Ägypten (13. Jh)

Die Herrscherinnen der Qara-Kitai – Vorbilder für Razia Sultan?

Beitragsbild

Das Beitragsbild zeigt die Mogulprinzessin Nadîra Bâno Begum – Atrribution Balchand [Public domain]


Eine verhängnisvolle Affäre? Razia Sultan und Yaqut

Heute soll endlich eine der wichtigsten Figuren am indischen Hof von Sultan Iltutmish (reg. 1211-1236) beleuchtet werden: Yaqut (Dschamâl ud-Dîn Yâqût etwa 1200 bis 1240). Iltutmish, selber ehemaliger Militärsklave mit türkischen Wurzeln, konnte die Herrschaft des Delhi Sultanats festigen und die Herrschaft der Sklavendynastie etablieren. Nicht seine beiden Söhne Mu’izz ud-Dîn  (st. 1242) und Rukn ud-Dîn (st. 1236), sondern seine Tochter Razia Sultan (st. 1240) sollte nach Iltutmishs Willen seine Nachfolge antreten.  Doch nach seinem Tod wurde zunächst Rukn ud-Dîn Sultan – mit dem bekannten „Erfolg“ – er wurde von der türkischen Elite ermordet und Razia wurde auf dem Thron installiert.

Yaqut und seine Identität als Afrikaner

Razia war als fähige und gerechte Herrscherin bekannt. Zunächst hatte sie auch die Unterstützung der türkischen Elite (Turkan-e chihalgan), die dann jedoch ihren Bruder Mu’izz ud-Dîn unterstützte. Dieses war zum Teil daran begründet, dass Razia ihren Militärsklaven Yaqut zu ihrem Ratgeber und Vertrauten machte. Yaqut war kein Mitglied der türkischen Elite, sondern ein abessinischer Militärsklave. Das Königreich Abessinien war auf dem Gebiet der heutigen Staaten Äthiopien und Eritrea. Aus diesem ostafrikanischen Gebiet kamen viele so genannte Siddis, Shiddis oder auch Habshis freiwillig oder unfreiwillig als Händler, Sklaven oder Söldner nach Asien, vor allem auf den Dekkan oder nach Gujarat. Dort und am Mogulhof konnten Siddis einen großen Einfluss erlangen. Die Siddis, Nachkommen der Bantus pflegen bis heute ihre afrikanische Identität in Südasien.

Über Yaquts genaue Herkunft ist nichts bekannt, wir wissen auch nicht, wann genau er nach Indien kam. Einige Quellen berichten, dass er bereits zu Lebzeiten Iltutmishs am Hof in Delhi lebte und dort als Stallmeister tätig war. Andere Quellen sagen, dass Yaqut erst von Razia zum Obersten Stallmeister gemacht wurde. In jedem Fall wurde Yaqut erst von Razia zum obersten Befehlshaber (amîr al-‚umarâ) gemacht wurde.

Dieser Schritt ging vielen Mitgliedern der türkischen Elite zu weit, waren doch die beiden Ämter als Stallmeister und Befehlshaber eigentlich den Türken vorbehalten gewesen. Es ist wahrscheinlich, dass aufgrund des Vertrauensverhältnisses zwischen Razia und Yaqut die Gerüchte gestreut wurden, dass die beiden eine Affäre miteinander hätten. Gibt es für eine solche Affäre Beweise in den historischen Quellen?

Die historischen Quellen

Der berühmte marokkanische Reisende Ibn Battûta (geb. 1304) besuchte knapp 100 Jahre nach Razia Sultans Tod das Sultanat von Delhi und berichtet über Razias Herrschaft.  So schrieb er, „dass Razia angeklagt wurde, Verbindungen zu Yaqut zu haben“ (Rehla, S. 34, übersetzt aus dem Englischen von CP) – Beweise wurden auch nicht gebracht.

Auch meine bevorzugte Quelle zum Delhi Sultanat, das Tabaqât-e Akbarî von Nizâm ud-Dîn Ahmad  wusste zu berichten (Tabaqât, S. 76, Übersetzung aus dem Englischen von CP) :

Er (i.e. Yaqut) erreichte eine solche Stufe der Intimität mit der Königin, dass wenn sie auf ein Reittier aufstieg, seine Hände unter ihre Arme legte und sie auf dem Reittier platzierte

Diese historische Quelle entstand allerdings über 300 Jahre nach Razias Tod und kann somit nicht als authentisch gelten.

Fakt ist aber, dass sowohl Yaqut als auch Razia, ihr Mann Malik Altunia (und später auch Mu’izz ud-Dîn) von der türkischen Elite getötet wurde.

Razia und Yaqut in der populären Kultur

Die angebliche Affäre zwischen Razia und Yaqut inspirierte auch Literaten und Schreiber von Bollywood. 1835 schrieb H. Caunter in seinem Buch Romance of History: India, dass Razia für Yaqut schwärmte, er aber in eine ihrer Hofdamen verliebt war.

Yaqut wird als attraktiver Mann dargestellt, dem Razia nicht widerstehen konnte (Romance of History, S. 195):

Er war ein außerordentlich attraktiver Mann, mit einer Gestalt von Herkules,  gegossen in eine anmutige Gestalt. Er war groß und kräftig, breit gebaut, aber kompakt geformt, und da er von der Taille aufwärts und von den Knien abwärts nackt war, konnte man jede  Muskelbewegung sehen, die mit einer Symmetrie erfolgte, welche nahe an der männlichen Perfektion war. Sein ruhiger aber intensiver Blick gab ein Zeugnis ab von seiner Willensstärke.

Caunter beschrieb ebenso die Version, dass die türkischen Notabeln Razia und Yaqut töteten, weil sie sich übergangen fühlten. Razia wird als Frau dargestellt, die der körperlichen Anziehungskraft Yaquts nicht widerstehen kann und äußerst eifersüchtig auf Yaquts Beziehung zu ihrer Hofdame reagiert. Einer politischen Eheschließung mit Malik Altunia stimmt sie letztendlich zu.

Eine gegenseitige Liebe (und heimliche angedeutete Affäre) zwischen Razia und Yaqut zeigt der berühmte Film Razia Sultana von Kamal Amrohi aus dem Jahr 1983. Doch der Film wird auch interessant durch die erotische Szene zwischen Razia und ihrer Vertrauten Khakun (gespielt von Hema Malini und Parveen Babi), die den Zuschauer mit einigen Interpretationsmöglichkeiten zurücklässt.

Zee.one gibt in der Serie Razia Sultan: die Herrscherin von Delhi eine dritte Version: hier verliebt sich der durchtriebene Yaqut in Razia, die ihrer Liebe zu Malik Altunia treu bleibt. Yaquts Identität als Siddi wird in der Serie nicht thematisiert – hier kommt er aus Belutschistan.

Die Figur des Yaqut bleibt eine schillernde – sie schwankt je nach Auslegung zwischen dem „edlen Schwarzen“, dem selbst die Herrscherin nicht widerstehen kann und dem verschlagenen Sklaven, der Razia liebt – und dessen Identität als Inder afrikanischer Herkunft von Bollywood verschwiegen wird.

Interessant ist die Beschreibung Yaquts als „muslimischer Körper“ und die Frage der Kontrolle der (weiblichen) Sexualität, die nach heutigen Vorstellungen der indischen Filmindustrie funktioniert und auch auf historische Stoffe projiziert wird.

Literatur

Hobar Caunter: Romance in History.  Vol. 1 : India. London1836.

Ibn Battuta: The Rehla of Ibn Battuta: (India, Maledive Islands and Ceylon). Transl. By Mahdi Husain. Baroda 1976.

Nizam ud-Din Ahmad: The Tabaqat-i-Akbari. Vol. 1. Trans. By B. De. Calcutta 1927.

Beitragsbild: Leider haben wir ja aus dem Lebenszeit Razias keine bildlichen Darstellungen der jeweiligen Personen. Ich habe deshalb das Bild des berühmten ehemaligen Militärsklaven Malik Ambar (st. 1627),  der ebenso wie Yâqût ein Siddi war. Er regierte faktisch den Staat von Ahmadnagar auf dem Dekkan und sagte sich von der Herrschaft der Moguln (vor allem von Akbar) los.

Malik al-Ambar: Victoria and Albert Museum [Public domain]

+++ Hier gibt es einen Überblick über unsere Beiträge zum Sultanat von Delhi ++++

Die Frau hinter Dschahângîr – die „Mogulkaiserin“ Nûr Dschahân

Bekanntermaßen bin ich immer wieder besonders begeistert vom indischen Mogulherrscher Dschahângîr (regierte 1605-1627) und seinen Memoiren, in denen er wie einem Tagebuch von den Ereignissen am Mogulhof berichtet. Besonders interessant sind seine Schilderungen der Tiere und Pflanzen Indiens. Doch es klingen auch persönliche Töne an, so zum Beispiel über seine unglückliche erste Ehe mit seiner Cousine Mân Bai. – seine Affäre mit der Kurtisane Anarkali (falls es sie denn je gegeben hat), wurde jedoch nicht erwähnt.

Erst mit seiner 20. und letzten Ehefrau Mehr un-Nisâ (genannt Nûr Dschahân) schien er auch sein privates Glück gefunden zu haben. In einem älteren Beitrag habe ich von Nûr Dschahâns Aufstieg vom persischen Flüchtling zur einflussreichen indischen Mogulkaiserin an der Seite des Herrschers Dschahângîrs berichtet.

Heute  beleuchte ich nochmals die Figur der Nûr Dschahân und zeige, wie diese ihren Aufstieg zur wichtigsten Person am Mogulhof vollzog.

Unterstützung in Hofkreisen

Als Dschahângîr 1611 Nûr Dschahân zu seiner zwanzigsten Ehefrau (!) machte, war die Braut am Hof des Mogulkaisers keine Unbekannte. Ihr Vater Ghiyâs ud-Dîn (st. 1622) war bereits unter Dschahângîrs Vater Akbar (reg. 1556 bis 1605) im Staatsdienst gewesen. Auch Nûr Dschahâns erster Ehemann Shêr Afghân (ermordet 1607) war am Hof tätig gewesen. Kurz nachdem Nûr Dschahân verwitwet war, wurde sie zur Hofdame von Akbars Witwe Ruqaiya Begum  (st. 1626) ernannt. Nun siedelten Nûr Dschahân und ihre Tochter Ladlî Begum endgültig nach Agra in den königlichen Harem über.

Zwei Frauen traten dabei als besondere Förderinnen Nûr Dschahâns auf: Dschahângîrs leibliche Mutter Jodha Bai / Maryam uz-Zamânî und Ruqaiya Begum selbst, in deren engstem Umfeld Nûr Dschahân nun lebte. Ruqaiya Begum hatte ja Dschahângîr großgezogen und stets eine enge Beziehung zu ihm gehabt.

Ruqaiya Begum dürfte eine entscheidende Bedeutung für die Begegnung ihres Ziehsohnes und ihrer Hofdame gehabt haben, die zur Heirat im Jahr 1611 führte.

Danach gab es mehrere Bereiche, in denen sich in der Folgezeit Nûr Dschahâns Einfluss widerspiegelte:

  • Nûr Dschahâns Anordnungen und Edikte in ihrem Namen
  • Münzen mit ihrem Namen

Zunächst einmal ist es interessant, dass Dschahângîr seiner Ehefrau den offiziellen Namen Nûr Dschahân – Licht der Welt – verlieh. Dieses entspricht der Bedeutung der Lichtsymbolik, die er selbst für sich als so wichtig erachtete. Sein eigener Beiname war Nûr ud-Dîn – Licht der Religion. So wie sein Vater Akbar war Dschahângîr davon überzeugt, dass der Herrscher göttliches Licht aufnimmt und ausstrahlt. In der Mogulkunst zeigte sich das in der Kunst: so wurden die Mogulherrscher von Akbars Herrschaftszeit an oft mit einem Heiligenschein dargestellt. Es gibt im übrigen auch mehrere Bilder, auf denen Nûr Dschahân genau wie Dschahângîr mit einem Heiligenschein zu sehen ist.

Doch Nûr Dschahân hatte am Hof andere Freiheiten, die ansonsten nur den Männern des Hofes vorbehalten war. Akbar hatte Wert darauf gelegt, dass die Frauen seines Hofes die strengen Richtlinien des Harems einhielten. Nûr Dschahân jedoch trat auch öffentlich in Erscheinung. Zudem sind, wie erwähnt, ihre Spuren in verschiedenen Dokumenten und auf Münzen zu finden.

Die Erlasse Nûr Dschahâns

Ich hatte bereits in einem Beitrag über Dschahângîrs leibliche Mutter Jodha geschrieben, dass diese Verfügungen erlassen durfte, die vor allem mit dem Handel zu tun hatten. Auch Akbars Mutter Hamîda Bano Begum war bekannt für einige Erlasse. Diese Erlasse von einer Königinmutter waren nach der zentralasiatischen Tradition als hukm bekannt. Erlasse von einer Schwester oder Ehefrau eines Herrschers waren als nishân bekannt. Sie befassten sich mit weniger bedeutenden Angelegenheiten als die Verfügungen des Herrschers, die man farmân nennt. Nûr Dschahâns Erlasse jedoch waren viel weitreichender als die der anderen Frauen bei Hofe – in ihnen erfolgten militärische Ernennungen, Festsetzungen von Landbesitz und Besteuerungen (Lal: Empress, S. 141). Nûr Dschahân hatten also Inhalte wie ein farmân und waren unterzeichnet mit Nûr Dschahân Pâdshâh Begum – und Pâdshâh bedeutet „Großkönig“. Einige von Nûr Dschahâns Erlassen sind übrigens noch bis heute erhalten und befinden sich in verschiedenen Museen dieser Welt.

Die Münzen

Ebenso erhalten sind einige Münzen, die neben dem Namen Dschahângîrs auch den Nûr Dschahâns enthielt – ebenso mit dem Titel Pâdshâh Begum. Der Text auf einer Münze lautet (Lal: Empress, S. 143).

Durch die Order von Shâh Dschahângîr

Wurde dem Gold hundert Ehren hinzugefügt

Durch die Hinzufügung des ihres Namens auf ihm

Nûr Dschahân Pâdschâh Begum

Diese Erwähnung des Namens ist sehr ungewöhnlich und zeigt die Macht der Nûr Dschahâns.

Es gab noch weitere Beispiele zu Nûr Dschahâns außergewöhnlicher Stellung bei Hof, so zu Beispiel ihre (halb-)öffentlichen Auftritte bei Paraden des (männlichen) Hofstaates, die Erwähnung ihres Namens beim Freitagsgebet (zusätzlich zu dem des Herrschers) oder ihre Fähigkeiten bei der Tigerjagd.

Nûr Dschahân war wahrscheinlich eher die Frau „neben“ Dschahângîr, nicht „hinter“ ihm, auch wenn die Ihr Beispiel zeigt, dass Frauen des Harems zu großer Macht und Einfluss gelangen konnten – selbst wenn es sich „nur“ um Einzelfälle handelte.

Literatur:

Ruby Lal: Empress. The Astonishing Reign of Nur Jahan. New York et al., 2018 (Kindle Edition)

Das Beitragsbild zeigt eine idealisierte Darstellung Nûr Jahâns.  LACMA [1] [Public domain]

+++HIER +++gibt es einen Überblick über unsere Beiträge zur Mogulgeschichte

Keine Geschwisterliebe – Razia Sultan (st. 1236) und ihr Bruder Mu’izz ud-Dîn

Dass die Beziehungen zwischen Geschwistern kulturübergreifend in vielen Familien schwierig sein können, hatte ich ja bereits in meinem Beitrag über die Streitigkeiten am indischen Mogulhof zwischen Kronprinz Salîm (dem späteren Herrscher Dschahângîr, st. 1627) und seinem Bruder Dânyâl (st. 1605).

Auch bereits dreihundert Jahre vorher, unter der Herrschaft des Sultanats von Delhi kam es zu heftigen Auseinandersetzungen um die Nachfolge Sultan Iltutmishs (st. 1236). Iltutmish, einst selbst ein Militärsklave, hatte den Thron (masnad) von seinem Schwiegervater Qutb ud-Dîn Aibek geerbt und die Herrschaft der Sklavendynastie gefestigt.

Die türkische Elite

Iltutmishs Herrschaft wurde durch die sogenannten Chihalgani ( Turkân-e Chihâlgânî, „die Gruppe der 40“) entscheidend gefestigt. Die Chihalgani war ein Rat aus 40 Verwaltungs- und  Militärsklaven, die die wichtigsten Ämter im Staat übernahmen. Ohne ihre Zustimmung konnte – wie wir noch sehen werden – niemand Herrscher werden oder sich lange an der Macht halten.

Doch zurück zu Iltutmish und seinen Nachfolgern. Die Quellen berichten davon, dass Iltutmish nicht viel von seinen drei Söhnen Nasîr ud-Dîn, Rukn ud-Dîn und Mu’izz ud-Dîn hielt und der Ansicht war, dass seine Tochter Razia Sultan über größere Fähigkeiten verfügte als seine Söhne. Als Nasîr ud-Dîn überraschend noch vor seinem Vater vertarb, war es Iltutmishs Plan, Razia Sultan zu seiner Nachfolgerin zu bestimmen. Als Iltutmish 1236 starb, wurde jedoch nicht Razia, sondern Rukn ud-Dîn Sultan. Rukn ud-Dîn, Sohn Iltutmishs und der Kurtisane Shâh Turkân, hatte zu diesem Zeitpunkt die Unterstützung der Chihalgani und konnte Herrscher werden.

Herrschaft und Ermordung Razia Sultans

Sowohl Razia als auch Mu’izz ud-Dîn gaben ihre Herrschaftsansprüche auf den Thron Delhis nicht auf. Das Schicksal der Thronanwärter lag jedoch auch in den Händen der Chihalgani. Rukn ud-Dîn verlor bereits sechs Monate, nachdem er zum Sultan geworden war, die Zustimmung der türkischen Elite. Grund dafür waren offensichtlich sein unberechenbares Verhalten sowie seine Verschwendungssucht. Die Chihalgani beschlossen also die Ermordung Shâh Turkâns und Rukn ud-Dîns und Razias Thronbesteigung im Jahr 1236. In dieser Frage der Herrschaft von Frauen  waren die türkischen Notabeln uneins – einige befürworteten eine Herrscherin, andere nicht. Diese schlugen sich zum Teil auf die Seite abtrünniger Provinzherrscher, gegen die Razia erfolgreich einen Krieg führte.

Andere Mitglieder der Chihalgani rebellierten nicht offen gegen Razia, sondern unterstützten heimlich Mu’izz ud-Dîn.

Als der Statthalter von Lahore 1240 gegen Razia rebellierte, zog Razia mit ihrem Ehemann Malik Altunia, dem Herrscher von Bathinda, gegen ihn. Doch Mu’izz ud-Dîn unterstützte den Statthalter von Lahore und schickte Malik Tigin mit seinen Truppen gegen Razia und Altunia. Diese wurden geschlagen und auf der Flucht nach Delhi von Malik Tigins Truppen ermordet.

Mu’izz ud-Dîn bestiegt 1240 nach dem Tod seiner Geschwister den Thron von Delhi. Er wurde unter seinem Thronnamen Mu’izz ud-Dîn Bahrâm Schâh bekannt. Obwohl er Sultan war, wissen wir leider sehr wenig über ihn. Schon alleine über seine Mutter ist nichts bekannt.

Ein schwacher Herrscher

Das Bild von Mu’izz ud-Dîn, das in der TV-Serie Razia Sultan von ihm gezeichnet wird, ist wenig schmeichelhaft:  er wird als völlig verweichlichtes Muttersöhnchen dargestellt – die Ursachen dafür seien, so die Serienmacher,  in der späten Schwangerschaft der Mutter sowie in deren Alkoholkonsum während dieser Zeit zu sehen. Zu derartigen Behauptungen gibt es keine Belege in den wenigen vorhandenen Quellen. Die Person hinter dem Sultan Mu’izz ud-Dîn bleibt blass.

Während die Quellen über Mu’izz ud-Dîns Bruder Rukn ud-Dîn sehr ausführlich berichten und dessen Verschwendungssucht und Geltungsdrang anprangern, finden sich über Mu’izz ud-Dîn solche Informationen nicht. In der vielleicht bedeutendsten Quelle über die Zeit des Delhi Sultanats – dem Reisebericht („Rihla„) des marrokaninischen Gelehrten Ibn Battûta (st. 1377) – erscheint Mu’izz ud-Dîn gar nicht erst.

Auch in der wichtigen Quelle Tabaqât-e Akbarî von Nizâm ud-Dîn Ahmad (st. 1621) bleiben die Informationen über ihn nur schemenhaft (engl. Übersetzung B. De, Calcutta 1927, Bd. 1, 78 ff.).

Auffällig sind seine engen Beziehungen zu den Chihalgan, den türkischen Notabeln. Mu’izz ud-Dîns Schwester war mit Malik Ikhtiyâr ud-Dîn verheiratet, der wohl in Wahrheit die Regierungsgeschäfte für Mu’izz führte.

Ein Vorfall verdeutlicht jedoch auch die Befindlichkeiten Mu’izz ud-Dîns. Sein Schwager Malik Ikhtiyâr ud-Dîn soll an den Toren seines Palastes regelmäßig einen großen Kriegselefanten angebunden (und somit der Öffentlichkeit gezeigt) haben. Dieses sei jedoch dem Sultan vorbehalten gewesen.

Mu’izz ud-Dîn ud-Dîn fühlte sich dadurch in seiner Ehre als Sultan gekränkt und ließ Malik Ikhtiyâr ud-Dîn von den anderen Chihalgan ermorden.

Er selber erlitt jedoch dasselbe Schicksal. Im Dezember 1241 überfiel der mongolische Herrscher Ögedei Khân (st. 1241), ein Sohn Dschingis Khâns, die Stadt Lahore (heute Pakistan), die Stadt Lahore. Lahore gehörte zu diesem Zeitpunkt ebenfalls zum Delhi Sultanate. Bevor die mongolischen Truppen wieder abzogen, zerstörten sie die Stadt und ermordeten unzählige Bewohner.

Mu’izz ud-Dîn war zu schwach, um Lahore zu schützen und zu verteidigen. Die Turkân-e Chihalgan ließen Mu’izz ud-Dîn daraufhin 1242 ermorden. Sein Nachfolger wurde sein Neffe, Alâ ud-Dîn Mas’ud, der Sohn von Rukn ud-Dîn. Dieser herrschte immerhin vier Jahre.

Insgesamt wird hier wieder deutlich, dass es nicht selbstverständlich war, dass ein Herrscher sich aus eigener Kraft an der Macht halten konnte – und dass es auch am Hof des Delhi Sultanats viele unterschiedliche Interessengruppen gab.

Beitragsbild:

Das Beitragsbild zeigt eine sehr seltene von Mu’izz ud-Dîn herausgegebene Münze. Es unterliegt der Wikimedia Common License.

Mohammed Tariq [CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)], from Wikimedia Commons.

Literatur:

Siehe die Hinweise im Beitrag

+++ Hier gibt es einen Überblick über unsere Beiträge zum Sultanat von Delhi ++++