Im Osterspecial 2015 hatte ich bereits einiges zur Rolle von Jesus in der islamischen Theologie geschrieben. Dann habe ich mich im Osterspecial 2016 mit den Oster-Feierlichkeiten am Mogulhof beschäftigt. Dieses Thema hängt unmittelbar mit der christlichen Missionierung unter den Muslimen Indiens zusammen, der ich mich im Osterspecial 2017 widmen möchte.
Dabei möchte ich einen der prominentesten christlichen Missionare des 19. Jahrhunderts in Indien zu Wort kommen lassen, ʿImâd ud-Dîn Lahiz (st. 1900). In diesem Beitrag geht es um die Darstellung der oft hitzig geführten Diskussionen im multi-religiösen Umfeld des kolinialen Indiens im 19. Jahrhundert. Warum konvertierte ʿImâd ud-Dîn schließlich? Wo sah er die Vorteile des Christentums gegenüber dem Islam?
Ich lasse ʿImâd ud-Dîn gleich selbst sprechen und zitiere aus seiner Autobiographie A Mohammadan Brought to Christ, Being the Autobiography of the Rev. ʿImad ud-Din, D.D. (London 1885), die schon früh aus dem Urdu ins Englische übersetzt wurde.
Doch zunächst ein paar historische Hintergrundinformationen: Die Missionierung Nordindiens war unter schwierigen Bedingungen gestartet. Nach der Eroberung der Malabar-Küste im Jahr 1498 begann der Jesuitenorden mit der Verbreitung der Heiligen Schrift in Südindien.
Anfänge christlicher Missionierung in Indien
Auf Einladung des Mogulherrschers Akbar (reg. 1556-1605) hielten sich drei Delegationen von Jesuiten längere Zeit am Mogulhof der Hauptstädte Delhi, Agra und Lahore auf, so dass sie den Einflussbereich katholischer Mission nach Nordindien und in das heutige Pakistan ausdehnen konnten.
Die Erfolge waren jedoch nur kurzfristig: die öffentlichkeitswirksame Konversion von drei Mogul-Prinzen in Agra 1610 hielt nur etwa zwei Jahre. Die Jesuiten zogen sich zeitweise aus Nordindien zurück.
Auch die Publikation christlicher Schriften in Indien blieb eingeschränkt. Vor 1857 waren christliche Traktate zumeist illegal über die dänische Kolonie Serampore (Bengalen) in andere Gebiete Indiens gelangt. Die von zwei Briten betriebene Serampore Mission Press war zwischen 1800 und 1832 aktiv und druckte neben vielen anderen Traktaten in indischen Lokalsprachen im Jahr 1804 eine Bibelübersetzung.
Pfander, Kairânawî und die Kreuzigung Jesu
Agra blieb sowohl in der Mogulzeit als auch unter britischer Kolonialherrschaft ein Zentrum christlicher Mission Das war vor allem dem aus Württemberg stammenden Missionar Carl Gottlieb Pfander (st. 1865) zu verdanken. Er führte 1854 in Agra eine große Debatte mit dem muslimischen Gelehrten Raḥmatullâh Kairânawî (st. 1891).
Dieser hatte in seiner Schrift Izhâr al-haqq behauptet, dass die Christen ihre eigenen Lehren verfälscht hätten: so sei doch im Barnabasevanglieum zu lesen, dass nicht Jesus, sondern Judas gekreuzigt worden sei. Diese Lehre decke sich mit der muslimischen Auffassung, dass nicht Jesus, sondern ein anderer gekreuzigt worden sei, da es für Muslime undenkbar sei, dass Gott die Kreuzigung seines Propheten Jesus zugelassen hätte.
ʿImâd ud-Dîns spirituelle Suche
Doch nun zurück zu ‘Imâd ud-Dîn! Er war als Zuhörer bei der Debatte zwischen Pfander und Kairânawî anwesend – und zwar auf der Seite der Muslime. Zwölf Jahre später (1866) konvertierte ʿImâd ud-Dîn zum Christentum – zusammen mit seinem Vater und seinem Bruder. Schließlich konvertierten auch ʿImâd ud-Dîns Ehefrau und seine vier Töchter und fünf Söhne.
Vorausgegangen war, wie ʿImâd ud-Dîn in seiner Autobiographie schreibt, eine lange Suche nach spiritueller Erkenntnis. ʿImâd ud-Dîn entstammte einer Familie von islamischen Gelehrten (maulvîs), die in Panipat (Haryana) zu Einfluss und Landbesitz gekommen waren. Der Landbesitz wurde allerdings von den Briten konfisziert.
Mit 15 Jahren ging ʿImâd ud-Dîn nach Agra, um dort seine Studien fortzusetzen. In dieser Zeit habe er noch keine Kontakte zum Christentum gehabt – aber er habe erste Zweifel am muslimischen Glauben bekommen, die er nach Diskussionen mit muslimischen Gelehrten beiseite gewischt habe.
Während seiner Ausbildung habe er die äußerlich zugänglichen Dinge (Exoterik) des Islam kennen gelernt, doch es habe ihm die Spiritualität gefehlt. Aus diesem Grunde habe er sich dem Sufismus zugewandt.
Unter der Leitung eines gewissen Wazîr Khân (Wuzeer Khán), der sich für eine heilige Person hielt, beschäftigte sich ʿImâd ud-Dîn mit der islamischen Mystik. Dabei habe es ihn besonders gestört, dass ihn die Muslime davon abgehalten hätten, die Thora oder die Bibel zu lesen.
Sogar Muhammad sei bereits bewusst gewesen, dass diejenigen, die das Wort des Herrn (i.e. die Bibel, C.P.) lesen würden, niemals den Koran akzeptieren würden (ʿImâd ud-Dîn, S. 10). Insgeheim, so berichtet ʿImâd ud-Dîn weiter, seien viele Muslime davon überzeugt, dass die Bibel Recht habe und dass Muhammad nicht der Vermittler der Religion sei. Doch aus gesellschaftlichem Druck solle man nach außen weiter Muslim bleiben.
Andere, so ʿImâd ud-Dîn, seien der Ansicht, dass das Christentum richtig und rational sei, aber sie verstünden das Konzept der Trinität (Dreifaltigkeit) nicht und blieben Muslime. Wiederum andere lehnten die Praktiken und Gewohnheiten der Christen ab. (S. 18)
Nach dieser Erkenntnis über den vermeintlichen Glauben vieler Muslime habe ʿImâd ud-Dîn den Beschluss gefasst, zum Christentum zu konvertieren. Er reiste nach Amritsar (Punjab) und ließ sich von R. Clark von der Church of England taufen.
Nach seiner Konversion verfasste ʿImâd ud-Dîn zahlreiche Werke über das Christentum. So kommentierte er zahlreiche Bibelverse. Zuvor hatte er eine Übersetzung des Qur’ân ins Urdu vorgelegt. Außerdem setzte er sich in einigen Werken mit der neu entstandenden Bewegung der Ahmadiyya auseinander.
Am Ende seiner Autobiographie beschreibt ʿImâd ud-Din die Auswirkungen seiner Konversion auf sein Leben (S. 20):
Seit ich die Gnade unseres Herrn Jesu Christ erfahre, erlangte ich sehr viel spirituelle Befriedigung. Die vorherige Aufruhe und Unruhe sind vergangen. Mein Gesicht ist nicht mehr so bleich wie zuvor. Zudem erfahre ich nicht mehr diese große Angst in meinem Herzen. Durch die Lektüre von Gottes Wort habe ich große Lebensfreude erfahren. Nur noch ganz wenig ist übrig von der Krankheit der Furcht vor dem Tod und dem Grab, und ich bin glücklich mit dem Herrn. Durch seine Gnade erfahre ich spirituellen Fortschritt. Der Herr gibt Frieden im Herzen.
ʿImâd ud-Dîn war als Missionar unter den Muslimen Indiens besonders bedeutsam, weil er auf Arabisch, Persisch und Urdu schrieb und sich mit der islamischen Theologie mehr als sehr gut auskannte. Seine Werke wurden u.a. in Ludhiana gedruckt.
Insgesamt ist die christliche Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts auf Urdu noch nicht vollständig erschlossen worden – hier wäre es interessant zu schauen, auf welche Weise christliche Missionare versuchten, auf Arabisch, Persisch und Urdu Konzepte wie die Dreifaltigkeit oder das Wesen Jesu zu erklären.
In diesem Sinne wünsche ich allen, die es feiern
Frohe Ostern!
Das Beitragsbild stellt ʿImad ud-Dîn dar. Es steht unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported.