Vorbild für Razia Sultan? Die Qara-Khitai und weibliche Herrschaft im 12. Jahrhundert

Bis heute gilt in Indien die Herrschaft von Razia Sultan (st. 1240 ) als ungewöhnlich, war sie doch die erste Herrscherin über das Sultanat von Delhi – damit war sie eine der ersten muslimischen Herrscherinnen überhaupt.

Schaut man jedoch genauer auf die Herkunft der Eliten des Delhi Sultanats, ist die Krönung einer Herrscherin im Indien des 13. Jahrhunderts vielleicht doch nicht so verwunderlich.

Nomadische Herkunft

Razia Sultan stammte aus der so genannten Sklavendynastie (Mamlukendynastie) des indisches Delhi Sultanats – und somit ist es sehr schwierig, Informationen zur genauen Herkunft ihrer Vorfahren zu machen. Zur genauen Herkunft ihres Großvaters Qutb ud-Dîn Aibek (st. 1210 ) oder ihres Vaters Iltutmish (st. 1236) können wir quasi gar nichts sagen – außer, dass sie wahrscheinlich kaukasischer Herkunft waren oder turk-stämmig waren.

Wir wissen aber auch, dass ein Teil der herrschenden Elite des Delhi Sultanats eine Abstammung von den Qara-Khitai (Kara Kitai) beanspruchte. Qara-Khitai bedeutet “Schwarze Khitai” – es handelte sich um Nachfahren der Khitan, also nomadisch lebender Volksstämme, die ab dem 6.Jahrhundert ein Reich zunächst von Kirgisien aus bis in das heutige Nordostchina und die nördlichen Provinzen Koreas in der heutigen Mandschurei errichten konnten. Zu Beginn des 12. Jahrhunderts wurde dieses Liao-Reich von den Jurchen übernommen, die ebenfalls aus der Mandschurei stammten. Die Khitan flüchteten in Richtung Westen und kamen dabei zum Teil durch Südsibirien. Erst unter dem Großkhân Yelü Dashi (st. 1143) gründeten die Qara-Khitai ein neues Reich, das unter “Westliches Liao-Reich” bekannt wurde. Das Gebiet umfasste etwa das heutige Xinjang der muslimischen Uiguren (Uigurisches Autonomes Gebiet Xinjang) in China.

Regentinnen

Xiao Tabuyan

Nach Yelü Dashis Tod wurde seine Witwe (und Cousine) Xiao Tabuyan Regentin. Von 1143-1150 führte sie für den noch minderjährigen Sohn Yelü Dahis, Yelü Yelie, die Regierungsgeschäfte. Dieses war zu der Zeit nicht einfach, denn das Reich der Qara-Khitai waren militärisch ständig bedroht. 1143/44 führte der mächtige Seldschuken-Fürst Ahmad Sandschar (st. 1157) Feldzüge in den von Qara-Katai beherrschten Gebieten und unterwarf sogar die mächtigen Khwarazm-Shâhs, die nun den Qara-Khitai und den Seldschuken tributpflichtig waren.

Dennoch behauptete sich Xiao Tabuyan als Herrscherin, wie die folgende Anekdote zeigt: ein Gesandter der Jurchen wurde zu Xiao Tabuyan geschickt, um den Gebietsanspruch der Jurchen gegenüber der Regentin zu erklären. Xiao Tabuyan befand sich jedoch auf der Jagd und weigerte sich, vom Rücken des Pferdes zu steigen. Als der Gesandte die Herrschaftsansprüche der Jurchen mehrfach wiederholte, ließ Xiao Tabuyan ihn hinrichten.

Yelü Pusuwan

Xiao Tabuyan trat zurück, als Yelü Yelie 1150 die Regierung übernehmen konnte. Doch dieser blieb bis zu seinem Tod 1163 ein eher schwacher Herrscher. Sein Sohn Yelü Zhilogu war noch zu jung, um die Herrschaft zu übernehmen, deshalb übernahm seine Schwester Yelü Pusuwan ab 1164 die Herrschaft. Sie war erheblich aktiver als ihr Bruder und ließ 1168 von ihren Truppen Balkh (heute Afghanistan) erobern. Sie mischte sich auch aktiv in die Nachfolgestreitigkeiten unter den Khwarazm-Shâhs ein, als Il-Arslan 1172 starb: so ließ sie dessen Sohn Tekish (st. 1200) auf dem Thron installieren.

Ihre Regentschaft wurde durch einen handfesten Skandal am Hof beendet: so berichten chinesische Chroniken, dass Yelü Pusuwan ihren Ehemann Xiao Duolubo auf militärische Expeditionen schickte, damit ihre Affäre mit dessen Bruder Xiao Pughuzi unentdeckt blieb. Schließlich ließ Yelü Pusuwan ihren Mann ermorden – doch ihr Schwiegervater entdeckte die Affäre zwischen Xiao Pughuzi und Yelü Pusuwan und tötete beide. Yelü Yelies Sohn Yelü Zhilugu (st. 1213) wurde der letzte Gur-Khân. Das Reich der Qara-Khitai wurde von Dschingis Khân (st. 1227) erobert.

Der Einfluss der Frauen der Eliten der Qara-Khitai ist in der Tat bemerkenswert, und es ist nicht unwahrscheinlich, dass dieser sich bis zur Zeit Razia Sultans und bis nach Indien fortsetzte. Interessant ist aber auch, dass tatsächliche oder angebliche Affären weibliche Herrschaft (und das Leben der Betroffenen) sehr schnell beenden konnten – wie es auch bei Razia und ihrer angeblichen Affäre mit Yâqût der Fall gewesen ist.

Beitragsbild:

Das Bild zeigt die Kitan im 10. Jh. : English: Hu Gui中文: 胡瓌 [Public domain]

Literatur:

Baumer, Christoph: The History of Central Asia: The Age of Islam and the Mongols. London: I.B. Tauris 2016.

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