In einem Beitrag habe ich kürzlich einmal erklärt, warum es so schwierig ist, über die Mogulgeschichte zu bloggen.
Im Falle der Geschichte des Delhi Sultanats sieht es nicht besser aus. Nur wenige zeitgenössische Chroniken liegen vor, Quellen aus Literatur oder Malerei sind so gut wie nicht existent. Viele Informationen können wir jedoch aus den Münzen bzw. der Architektur ableiten. Dieses gilt jedoch nicht für Shah Turkan (Schâh Turkân), die wichtigste Gegenspielerin von Razia Sultan. Dabei ist es schon interessant, dass zwei muslimische Frauen und ihre jeweiligen Herrschaftsansprüche die Geschichte des Delhi Sultanats bestimmten.
Muslimische Frauenbilder
Sowohl die wenigen Quellen als auch Filme und Serien Bollywoods stellen einen kompletten Gegensatz der beiden Frauenfiguren dar: zum einen Razia als Frau mit Gerechtigkeitssinn, die eigensinnig den Palast verlässt und sich in Gefahren begibt, auf der anderen Seite Shah Turkan, die nur ihre eigene Interessen verfolgt und dabei den Sultan Iltutmish mit ihrer Erotik, Tanz und Poesie umgarnt. Razia ist eine Frau, die in männlicher Kleidung ohne Schleier die Vorstellungen einer “ehrbaren” muslimischen Frau bricht, Shah Turkan ist als Kurtisane ebenfalls außerhalb der Gesellschaftsordnung.
Langfristig kann sich Razia durchsetzen, indem sie fast vier Jahre über das Delhi Sultanat herrschte.
Eine ehrgeizige Frau
Doch was wissen wir über Shah Turkan? Leider ziemlich wenig. So ist es zum Beispiel nicht belegt, wann und wo sie geboren wurde – lediglich ihr Todesjahr 1236 ist bekannt. Zunächst (in ihrer Kindheit) war sie wohl eine einfache Dienerin, die später die Gunst Iltutmishs erlangte und seine Geliebte wurde. Als Kurtisane verfügte sie über eine Ausbildung in Tanz, Musik und Poesie. Später brachte sie Rukn ud-Din Firuz zur Welt. Als Sohn Iltutmishs wurde er als Krieger ausgebildet – Iltutmish sorgte ebenfalls dafür, dass auch Rukn ud-Din die Fähigkeiten eines zukünftigen Herrschers erhielt. Leider interessierte sich der junge Mann nur wenig für die Verantwortlichkeiten des Regierens. Seine Mutter sorgte jedoch trotzdem dafür, dass Iltutmish Rukn ud-Dins Ansprüche nicht vergaß. Vor allem arbeitete sie kontinuierlich daran, ihren eigenen Status zu verbessern.
Terror im Harem?
Schließlich erreichte Shah Turkan ihr Ziel: Iltutmish heirate sie, d.h., er ging einen Ehevertrag nach islamischem Recht mit ihr ein. Anschließend beauftragte er Shah Turkan mit der Aufsicht über den königlichen Harem am Hofe Delhis.Shah Turkan nutzte ihre Position allerdings, um sich für die vergangenen Kränkungen durch die Angehörigen des Adels zu rächen. So ließ sie einige der Frauen des Harems hinrichten – und ließ auch einen der jüngeren Söhne Iltutmishs blenden und anschließend töten, damit er Rukn ud-Dins Ansprüche nicht gefährdete.Auch Razia war Shah Turkan ein Dorn im Auge: Iltutmish hatte ihr bereits mehrfach während seiner Abwesenheit die Herrschaft übergeben und sich positiv über ihre Fähigkeiten als Herrscherin geäußert.So ist es überliefert, dass sie plante, Razia zu töten, indem sie auf ihrer täglichen Reitstrecke einen Graben ausheben und mit Büschen bedecken ließ. Der Plan wurde jedoch aufgedeckt – Razia entkam diesem geplanten Reitunfall….
Eine kurze Herrschaft
Als Iltutmish 1236 starb, schien Shah Turkan am Ziel zu sein. Rukn ud-Din wurde Nachfolger seines Vaters. Er fiel jedoch durch Inkompetenz und Verschwendungssucht auf.
Razia konnte die Stimmung im Volk für sich nutzen: ein aufgebrachter Mob tötete Rukn ud-Din und Shah Turkan nach nur sechs Monaten an der Macht. Razia wurde zur Herrscherin ernannt.
Insgesamt sind die Quellen bezüglich Shah Turkan alle negativ – ob diese Überlieferungen alle so eindeutig sind wie es scheint, muss eine zukünftige Forschung zeigen.
Beitragssbild: G.K.L. Richter (st. 1884): Odalisque. Das Bild ist Public Domain
Literatur:
Eraly, Abraham: The Age of Wrath: a History of the Delhi Sultanate. Delhi: Penguin, 2015.
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