Susanne Kurz und ich haben vor einigen Jahren an der Ruhr-Uni Bochum im Fach Islamwissenschaften ein Seminar über „Sexualität und Drogen am Mogulhof“ gegeben. Schon damals war uns die große Zahl an Quellen über das (angeblich) ausschweifende Sexualleben des Mogulherrschers Schâh Dschahân (starb 1666) aufgefallen.
Schaut man heute in Internetforen über die Geschichte der Mogulzeit, fallen einem sofort Threads über das Liebesleben Schâh Dschahâns ins Auge. Die zumeist sehr negativen Aussagen umfassen die folgenden Vorwürfe:
- Die sexuellen Ausschweifungen Schâh Dschahâns hätten in der Familie gelegen: Ebenso wie sein Großvater Akbar sei Schâh Dschahân ein unersättlicher Liebhaber gewesen, der auch vor der eigenen Familie nicht zurückgeschreckt sei (s.u.). Akbar habe zwar ca. 8000 Frauen in seinem Harem gehabt, aber auch mit den Ehefrauen seines Sohns Salîm/ Dschahângîr geschlafen. Dschahângîr habe aus diesem Grund nicht mehr gewusst, ob seine Kinder (wie Schâh Dschahân) nicht seine Geschwister gewesen sein.
- Die Geschichte der Liebe zwischen Schâh Dschahân, seiner Frau Mumtâz Mahal und dem Taj Mahal als Symbol der ewigen Liebe entspreche nicht der Wahrheit: Schâh Dschahân habe Mumtâz Mahal niemals geliebt, sie sei ja nur eine von mehreren Ehefrauen gewesen.
- Bereits kurz innerhalb einer Woche nach dem Tod von Mumtâz Mahal hat Schâh Dschahân Mumtâz Mahals Schwester geheiratet.
- Da seine Tochter Dschahânâra Begum ihrer Mutter Mumtâz Mahal sehr ähnlich sah, begann Schâh Dschahân ein Verhältnis auch mit ihr.
Welche Quellen gibt es über das Sexualleben Schâh Dschahâns? Stimmen sie?
Zugegeben, diese Anschuldigungen gegen Schâh Dschahân klingen, als ob sie der heutigen Boulevardpresse entnommen wären. Sie stammen jedoch aus zwei zeitgenössischen Reiseberichten – zum einen aus dem Reisebericht des italienischen Abenteurers, Reisenden und Autors Niccol(a)o Manucci (starb ca. 1717). Manucci, der aus Venedig stammte, bereiste Indien, beherrschte die türkische und die persische Sprache und hielt sich länger am Mogulhof auf. Später arbeitete er an mehreren Höfen Indiens als Arzt, ohne jedoch jemals Medizin studiert zu haben.
Der zweite Reisebericht stammt von Francois Bernier (st. 1688), einem französischen Reisenden, Arzt und Philosophen. Er war der Leibarzt von Schâh Dschahâns Sohn Auranzeb (st. 1707), als dieser Nachfolger seines Vaters wurde.
In beiden Reiseberichten finden sich umfangreiche Berichte über Schâh Dschahâns Liebesleben. Zunächst lässt sich sagen, dass es keinerlei Hinweise darüber gibt, dass Schâh Dschahân tatsächlich nur eine Woche nach Mumtâz Mahals Tod ihre Schwester heiratete. Über das angebliche inzestuöse Verhältnis Schâh Dschahâns finden wir Andeutungen nur bei Bernier, Manucci berichtet uns nichts darüber.
Eindeutig (und auch aus anderen Quellen des Hofes bestätigt) ist, dass Schâh Dschahân erst nach dem Tod Mumtâz Mahals mit seinem ausschweifenden Liebesleben begann.
Schâh Dschahâns Prunk
Bernier und Manucci waren sich darüber einig, dass Schâh Dschahân zahlreiche Affären hatte. Legendär ist seine Vorliebe für Musik, Tanzdarbietungen – und Sängerinnen.
Manucci beschreibt auch sehr eindrücklich, dass Schâh Dschahân keine Kosten und Mühen scheute, seine Favoritinnen mit seinem Reichtum zu beeindrucken (Manucci Vol. 1, 196):
Zur größeren Befriedigung seiner Gelüste ordnete Schâh Dschahân den Bau einer großen Halle (ca. 10 x4 Meter) an, geschmückt mit großen Spiegeln. Das Gold alleine kostete 15 Millionen Rupien, die Arbeiten mit Emaille und Edelsteinen nicht mit eingerechnet. An der Decke der besagten Halle, zwischen den Spiegeln, waren goldene Streifen, die mit Edelsteinen verziert waren. An den Ecken der Spiegel waren große „Trauben“ von Perlen, und die Wände waren mit Jaspis geschmückt. Diese ganzen Ausgaben wurden gemachten, damit er sich in obszöner Weise mit seinen Favoritinnen amüsieren konnte.
Sowohl Manucci als auch Bernier berichten zudem, dass zu diesen Favoritinnen des Herrschers vor allem die Frauen seiner Gouverneure, Amîre und Wazîre zählten. Manucci war besonders empört darüber, dass zu Schâh Dschahâns Geliebten auch die Frau seines Schwagers Abû Tâlib (genannt Shâ’ista Khân) gehört hat. Noch empörter war Manucci darüber, dass Schâh Dschahâns Tochter Dschahânâra Begum ihm scheinbar dabei half, die Frauen zu verführen. So schreibt (Manucci Vol. 1, 197, Übersetzung aus dem Englischen C.P)
Schâh Dschahâns Favoritinnen
Schâh Dschahân verschonte auch die Frau seines Schwagers Schâ’ista Khan nicht, – auch wenn das mit Hilfe eines Tricks geschah, zu dem sie nicht zugestimmt hätte. Die Kupplerin in dieser Affäre war Begum Sahib, die Tochter Schâh Dschahâns, die aus Gefälligkeit für ihren Vater die besagte Frau zu einer Feier einlud, an dessen Ende Schâh Dschahân sie verletzte (Englisch: violated, gemeint ist wohl „vergewaltigte“ C.P.) Die Frau war davon so getroffen, dass sie, nachdem sie wieder nach Hause ging, weder aß noch ihre Kleidung wechselte – und so beendete sie voller Schmerz ihr Leben. Schâ’ista Khan zog sich zurück und hoffte, dass die Zeit seiner Rache kommen würde.
Schâh Dschahân und Meena Bazâr
Dieser Vorfall liest sich sehr dramatisch – andere Beispiele klingen weniger drastisch. Sie endeten, glaubt man Manucci, allerdings genau so. Sowohl Bernier als auch Manucci schreiben, dass Schâh Dschahân vor allem eine Gelegenheit nutzte, um Frauen zu treffen und sie zu seiner Geliebten zu machen: den Meena Bazâr.
Akbar hatte während seiner Herrschaft den Meena Bazâr erstmals ausgerichtet. An acht Tagen waren auf einem von der Öffentlichkeit abgeschirmten Gelände die Frauen des Harems sowie die Frauen von Prominenten des Hofes als Händlerinnen tätig. Es war normalerweise nicht üblich, dass Frauen auf dem Bazâr handelten. Zutritt zum Meena Bazâr hatten nur Frauen und hijras („Eunuchen“, „das dritte Geschlecht“).
Eine Ausnahme wurde allerdings gemacht: der Herrscher selbst und häufig seine engsten männlichen Verwandten waren die einzigen männlichen Besucher, die den Meena Bazâr besuchen durften. Dieses soll Schâh Dschahân ausgenutzt haben. So soll er in den acht Tagen rund um das persische Nourûz-Fest täglich zwei Mal den Meena Bazâr aufgesucht haben – zum alleinigen Zweck, dort Frauen zu treffen. So schrieb Manucci (Übersetzung aus dem Englischen C.P.):
Er (i.e. Schâh Dschahân) saß dabei auf einem kleinen Thron, der von einigen tartarischen Frauen getragen wurde. Begleitet wurde er von einigen älteren Frauen (des Harems), die Stäbe aus emaillierten Gold in den Händen hielte, und zahlreichen Eunuchen. Außerdem waren einige Musikerinnen dabei.
Schâh Dschahân ging an den Ständen sehr aufmerksam vorbei, und wenn eine der Verkäuferinnen seine Aufmerksamkeit erregt, geht er zu diesem Stand, spricht sehr höflich vor, wählt etwas aus und ordnet an, dass bezahlt würde, was die Verkäuferin verlangt.
Wenn der König ein vereinbartes Zeichen gibt, und er bereits weiter gegangen ist, kümmern sich die älteren Frauen des Harems, die diese Angelegenheit bereits kennen, um die (auserwählte, C.P.) Frau und sorgen dafür, dass sie zur passenden Zeit zum König kommen. Viele von ihnen kehren reich und zufrieden aus dem Palast zurück, während andere dort mit der Würde einer Konkubine verweilen.
Manucci, Vol. 1, 196.
Nun, was soll man abschließend zu diesen Berichten sagen? Manucci und Bernier hatten zwar den Herrscher auch mehrfach persönlich erlebt, doch zählten sie als Fremde nicht zum engeren Zirkel des Hofes. Dennoch hörten sie scheinbar viele Gerüchte, die in Hofkreisen umhergingen. So ist natürlich nicht auszuschließen, dass an diesen Gerüchten etwas Wahres dran war. Dass die offiziellen Chroniken zu diesen Dingen schweigen, ist verständlich, bedeutet aber nicht, dass sie nicht passiert sind.
Vielleicht finden sich ja eines Tages weitere Quellen zu diesem Thema, das, wie erwähnt, auch heute noch die Menschen beschäftigt.
Literatur:
Bernier, Francois: Travels in the Mogul Empire: AD 1656-1668. 2.ed. London et al. 1916.
Eraly, Abraham: Last Spring: The Lives and Times of the Great Mughals. Kindle Edition (Ursprünglich Delhi 2000).
Manucci, Niccolao: Storia do Mogor, or Mogul India. 1653-1708. Vol 1-3./ transl. William Irvine. London 1907.
Das Beitragsbild zeigt ein Portrait von Schâh Dschahân, gemalt von Bichitr (ca. 1630).
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