Bei der Aufwiegezeremonie ließen sich die Mogulherrscher gegen Gold, Silber und andere Kostbarkeiten aufwiegen – Ganze Säcke gefüllt mit wertvollen Dingen und mit Lebensmitteln wurden an die Untertanen verteilt.
Schon seit vielen Jahrhunderten ließen sich hinduistische Herrscher Indiens in Gold aufwiegen. Diese Zeremonie war als tulâdhâna bekannt. Als die muslimischen Mogulherrscher von Zentalasien aus Indien eroberten, übernahmen sie diesen Brauch. Einige Quellen sagen, dass schon der erste Mogul-Kaiser Bâbur (st. 1530) die Aufwiegezeremonie am Mogulhof einführte. In den Memoiren von Bâburs Enkel Akbar (st. 1605) finden wir eine ausführliche Beschreibung der Aufwieg- Zeremonien.
Das Aufwiegen (wazn) am Hof Dschahângîrs
Doch besonders umfassende Berichte haben wir aus der Zeit von Akbars Sohn Dschahângîr (st. 1627). Der englische Diplomat Sir Thomas Roe (st. 1644), der sich eine längere Zeit an Dschahângîrs Hof aufhielt, beschrieb die Feierlichkeit und die großen Reichtümer, gegen die Dschahângîr aufgewogen und die an die Bedürftigen verteilt wurden:
Der erste September war der Geburtstag des Königs, und die Feierlichkeiten des Aufwiegens, die ich besuchte, wurden in einem großen und wunderschönen Garten gefeiert. In der Mitte des Gartens befand sich ein mit Wasser gefülltes Viereck, an der Seite standen Blumen und Bäume. Auf einer Anhöhe wurde die Waage vorbereitet. Diese wurde in ein ein großes Gestell gehängt, die Waagschalen waren aus reinem Gold. An ihren Rändern waren sie mit Rubinen und Türkisen besetzt. Die Ketten der Waage waren aus massivem Gold, aber dennoch verstärkt mit Kordeln aus reiner Seide.
Die Adeligen des Hofes nahmen an der Zeremonie teil, sie saßen auf Teppichen, bis der König endlich kam.
Er (Dschahângîr) war bekleidet oder besser – beladen – mit Diamanten, Rubinen, Perlen und anderen kostbaren Eitelkeiten. So großartig! So ruhmreich! Ebenso überladen waren sein Schwert, sein Schild, sein Thron. Zudem sein Kopf, sein Nacken, seine Brust, Arme, Oberarme und seine Handgelenke. An jedem seiner Finger trug er zwei oder drei Ringe, die mit Ketten verbunden waren. Rubine so groß wie Nüsse, einige sogar noch größer, und Perlen so groß wie meine Augen konnten bewundert werden.
Plötzlich bestieg er (Dschahângîr) die Waagschalen und setzte sich wie eine Frau auf seine Beine. Dann wurden in die anderen Waagschalen viele Säcke mit Kostbarkeiten getan, um sein Gewicht zu erreichen. Diese wurden sechs mal ausgetauscht. Sie sagten, dass es sich um Silber handelt (….) , danach um Gold, Juwelen und Edelsteine. Allerdings habe ich nichts davon gesehen, und da es in Säcken war, könnten es auch Kieselseine gewesen sein.
Danach wurde Dschahângîr erneut aufgewogen, dieses Mal gegen kostbare Stoffe, die mit Gold durchwirkt waren und gegen Stoffe aus Seide und Leinen. Zumindest musste ich das so glauben, da die Stoffe in Bündeln waren. Zuletzt wurde der Herrscher gegen Lebensmittel wie Getreide und Butter aufgewogen. Diese wurden ebenfalls an die Bedürftigen verteilt.
In jedem Jahr ließ sich Dschahângîr mindestens zwei Mal aufwiegen: zu Beginn eines Sonnenjahres (das 365 Tage andauert) und zu Beginn eines Mondjahres (das 354 Tage hat) sowie an seinem Geburtstag und anderen außergewöhnlichen Gelegenheiten.
Dschahângîr lässt Khurram aufwiegen
In Dschahângîrs Memoiren, dem Dschahângîr-nâma (“Nachrichten über Dschâhângîr”) findet sich ein Bericht über die Aufwiegezeremonie von Prinz Khurram, dem späteren Mogulherrscher Schâh Dschahân (st. 1666).
Khurram, der später für seine Frau Mumtâz Mahal das Tâj Mahal erbauen ließ, war der Lieblingsenkel seines Großvaters Akbar, mit seinem Vater Dschahângîr war das Verhältnis eher schwierig.
Als Khurram kurz vor seinem sechzehnten Geburtstag im Mondjahr stand, veranstaltete Dschahângîr ein Aufwiegefest für seinen Sohn. Ein Grund war, dass das Horoskop für Khurram laut der Hofastrologen ungünstig für das kommende Jahr war. Zudem kränkelte Khurram.
Zu diesem Zeitpunkt hielt die Familie sich in Kabul auf, und Dschahângîr veranstaltete die Aufwiegezeremonie im Haus Khurrams im Orta Bagh (“Garten”). Khurram wurde bei der Zeremonie gegen Gold, Silber und andere Metalle aufgegwogen, und das Gold wurde an die Bedürftigen verteilt.
Als Khurram später zum Mogulherrscher Schâh Dschahân wurde, führte er die Tradition der Aufwiegezeremonien weiter. Nachdem seine Tochter Dschahânâra Begum sich von ihren schweren Brandverletzungen erholt hatte, ließ er sie gegen Gold und andere Metalle aufwiegen.
Obwohl Thomas Roe argwöhnisch meinte, dass Dschahângîr nicht wirklich gegen Gold und Edelsteine aufgewogen wurde, gibt es daran aufgrund der Reichtümer der Moguln keinen Zweifel.
Literatur:
Jahangir. The Jahangirnama : memoirs of Jahangir, Emperor of India / transl., ed. and annotated by Wheeler M. Thackston. Oxford: OUP, 1999, S. 81.
Beitragsbild:
“Dschahângîr lässt Khurram (später Schâh Dschahân) aufwiegen”
Mughal Style, Public domain, via Wikimedia Commons