Schon mal einen Ney-Spieler gehört? – Hier ist einer!

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Manche Musik ist wirklich alt. Sehr alt. Wie alt diese Musik ist, kann ich nicht sagen. Doch das Instrument, das hier gespielt wird ist in seiner Art sehr, sehr alt. Auf Wikipedia findet sich über den Künstler dieses: Hassan Kassai war ein Musiker und spielte klassische persische Musik. Er spielte die Ney, eine traditionelle Flöte […]

über Ostad Hasan Kassai — Tristan Dzikowski

„Tage der Freude“ – der Meena Bazar am Mogulhof

Am Mogulhof wurden Feste und Feierlichkeiten immer besonders prunkvoll gefeiert, so z.B. Holi, Diwali oder das Islamische Neujahr Nourûz. Die Feierlichkeiten wurden am Hof sowohl von Hindus als auch Muslimen, von Männern und Frauen begangen. Feste und Feierlichkeiten brachten und bringen im Idealfall die Menschen zusammen.

Am Mogulhof gab es eine Feierlichkeit, die speziell für die Frauen des Harem angelegt war: der Meena Bazar. Das Besondere daran war, dass die Frauen des Harems sowohl Waren kauften als auch verkauften. Außerdem waren Frauen von Händlern zu diesem Anlass zugelassen. Alle Frauen mussten an diesem Tag keine Verschleierung (purdah) tragen.

Als männliche Besucher kamen lediglich der Kaiser selbst, die Prinzen sowie einige besondere ranghohe Mitglieder des Hofes in Frage. Eine weitere Besonderheit war, dass die meisten Einnahmen für wohltätige Zwecke gespendet wurden.

Es ist nicht ganz klar, welcher Mogulherrscher den Meena Bazar eingeführt hat. Eine eindeutige Humâyûn-nâma von Humâyûns Schwester Gulbadan Begum (st. 1603)  lesen wir (S. 226), dass es häufiger zu bestimmten Anlässen Bazare nur für Frauen gab. Die Stände der Bazare waren besonders geschmückt und beleuchtet, die Stoffe und Dekorationen kamen zum Teil sogar aus Europa. Die Bazare waren auch schon unter Humâyûn als „glückliche Tage“ (khush rûz) bekannt – eine Bezeichnung, die es auch später noch gab.

Unter Akbars Herrschaft schrieb der Chronist Abu l-Fazl (st. 1602) in seiner Chronik ‘Ain-i Akbarî, dass diese Art von Bazar als „Akbars Bazar“ bekannt sei. Er führte weiter aus:

Am dritten Festtag jedes Monat veranstaltete Seine Majästät eine Versammlung, um etwas über die wundervollen Dinge auf dieser Welt herauszufinden. Die Kaufleute sind bestrebt, daran teilzunehmen und die Waren kommen aus aller Welt. Die Bewohner des Harems Seiner Majestät nehmen teil, und die Frauen der Kaufleute sind ebenso eingeladen. es wird eifrig gekauft  und verkauft. Seine Majestät nutzt diese Tage, um Dinge zum Kauf auszuwählen oder die Preise festzusetzen – auf diese Weise trägt das Ereignis zu seinem Wissen bei.

Während in dieser Quelle davon die Rede ist, dass der Bazar regelmäßig jeden Monat stattfand, schildern andere Quellen, dass der Meena Bazar hauptsächlich am Persischen Neujahrfest Nourûz stattfand.

Es ist auch davon die Rede, dass der Herrscher gelegentlich ein Motto bekannt gab, unter dem der ganze Meena Bazar stattfand. Dieser wurde somit zum Wettbewerb der Damen des Harems um die Aufmerksamkeit des Herrschers.

Überhaupt schien das ja auch einer der Zwecke des Meena Bazars zu sein: die Frauen des Harems konnten sich beim Herrscher in Erinnerung bringen – und die anwesenden Prinzen und Mitglieder der Hofelite schauten nach potentiellen Kandidatinnen für ihren Harem. Eine Diskussion über Rechte der Frauen spare ich mir an dieser Stelle….

Die Literatur schildert jedoch eine besondere Begegnung im Meena Bazar des Jahres 1607: dort begegnete der junge, erst 16-jährige Prinz Khurram (der spätere Herrscher Schâh Dschahân) Arjumand Begum (später: Mumtâz Mahal, st. 1631), der Tochter eines Ministers von Dschahângîr. Das Taj Mahal sollte zum Symbol der Liebesgeschichte der beiden werden, die im Meena Bazar angefangen hatte.

Interessant ist noch eine Sache: nicht nur die muslimischen Prinzessinnen nahmen am Meena Bazar teil, auch die Frauen der Rajputen. Daher beeinflusste sich z.B. der Modegeschmack der Frauen gegenseitig:. So trugen auch die Frauen der Rajputen Kleidung, wie sie bei den Frauen der Moguln üblich waren – dies lässt sich anhand der Malerei aus dieser Zeit belegen. Der Meena Bazar war also eine wichtige soziale Institution des Mogulhofes, die auch zeigte, dass die Frauen des Harem über eine eigene wirtschaftliche Macht verfügten. Weitere Forschungen zu diesem Thema sind allerdings notwendig.

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Ein Überblick über unsere Beiträge zur Mogulgeschichte

Das Beitragsbild zeigt ein weibliches Mitglied der Elite am Mogulhof (17. Jh.). Es unterliegt der Wikimedia Commons License.

Unsere Beiträge zur Geschichte der Moguln: ein Überblick

In den letzten Jahren haben Susanne Kurz und ich einige Seminare an den Universitäten von Bochum und Tübingen (das gilt für Susanne Kurz) zur Geschichte der Moguln unterrichtet. Deshalb sind auf unserem Blog schon so einige Beiträge über die Moguln zusammen gekommen. Hier ist ein Überblick:

Zu den ersten Mogulherrschern:

Thronfolgeregelungen (nicht nur Moguln)

Timuriden und der Bruderkrieg – Humâyûn

Akbars Lieblingstante Gulbadân Begum

Humâyûn und Hamîda Bâno Begum

Humâyûns dritte Ehefrau Mâh Chûchak

Humâyûns Ehefrau / Akbars (Stief-)Mutter Bega Begum

Zu Akbar:

Akbar und sein Bruder Mirzâ Hakîm

Mirzâ Hakîm als Symbol des Widerstandes gegen Akbar

Wie sah Akbar „wirklich“ aus?

Mogulgeschichte – TV-Ereignis – Jodha Akbar

Akbars Amme und Premierministern Mâham Anga

Akbars Amme Jîjî Anga und Akbars Wunder

Akbars Milchbruder Mirzâ ‚Azîz Koka

Adham Khans Todessturz

Bairam Khân

Atga Khân

Salîma Sultân Begum

Ruqaiya Begums Grab in Kabul

Gott ist groß oder Gott ist Akbar?

Akbars Nachkommen

Akbars Sohn Murâd

Akbar und seine Beziehung zu islamischen Mystikern

Die neun Juwelen I: ‘Abd ur-Rahîm Khân-e Khânân

Die neun Juwelen II: Tansen

Die neun Juwelen III  Abû l-Fazl

Akbars Tod

Akbars Grabmal in Sikandra

Akbar und die „Kopfsteuer“

Akbars Kriegselefanten

Akbar als heilender Kaiser

Maryam uz-Zamânî – Akbars christliche Ehefrau? 

Akbar und der Skandal um Daulat Shâd

 

Zu Salîm – Jahângîr / Dschahângîr

Jahângîr und seine Schwestern 

Alkoholismus – Ambiguitätstoleranz

Die Anarkali-Legende

Salîm und sein Bruder Dâniyâl

Säufer und Ästhet

Pflanzen in den Memoiren Jahângîrs

Salîm und die Ehe mit seiner Cousine Mân Bai

Salîm und seine 20. Ehefrau Nûr Dschahân

Nûr Dschahân – die Frau hinter Salîm

Kurtisanen am Mogulhof

Akbar, Dschahângîr und der Umgang  mit der Familie aus Kabul

Dschahângîr, seine Frau Sâliha und die Astrologie

Die Pest in Agra und Dschahângîrs Memoiren

Nûr Jahân Begums Tochter Lâdlî Begum heiratet Jahângîrs Sohn

Zu Khurram (Shâh Jahân / Schâh Dschahân)

4 Dinge, in denen Schâh Dschahân erster war

Das Taj Mahal

Dschahânâra als „First Lady“ an der Seite ihres Vaters

Dschahânâras Unfall und der Bericht darüber in der islamischen Welt

Die „gefährlichen Liebschaften von Schâh Dschahâns Töchtern

Zu Festen und Feierlichkeiten am Mogulhof

Holi am Mogulhof

Ostern am Mogulhof

Ostern an Akbars Hof

Nourûz 2016

„Das wichtigste aller Feste“ – Nourûz 2017

Der Meena Bazar

Diwali: Das Festival der Lichter am Mogulhof

Zu Kulturellem und Religiösem am Mogulhof

Hammam (nicht nur Moguln)

Hunde am Mogulhof

Tulpen aus Kaschmir

Jesus-Bilder am Mogulhof

Ostern in Lahore

Geschenke am Mogulhof 

Der Diamant Koh-i-Noor in Indien

Unser Beitragsbild zeigt Akbar nach einem Bild des berühmten Malers Manohar, der  bis ca. 1624 als Maler aktiv war. Es unterliegt der Wikimedia Commons License.

„Skinheads“ und biedere Bürger – gegensätzliche Modelle des Sufilebens

Da Sie spätestens seit vorletzter Woche über Techniken und Gemeinschaften des Sufismus oder der islamischen Mystik informiert sind, können wir uns jetzt den Gegensätzen und Skandalen zuwenden.

Es gab nämlich nicht nur Bruderschaften, die sich in einem mittleren Spektrum aufhielten und sich vor allem in Detailfragen voneinander unterschieden, sondern auch krasse Gegensätze.

Die „Skinheads“ aus der Überschrift nannte man qalandar. Sie kennen den Begriff vielleicht aus den Geschichten aus 1001 Nacht, wo gelegentlich einmal „Kalender-Derwische“ auftreten – je nach Übersetzung in dieser oder einer anderen Schreibweise.

Die Qalandars waren keine Bruderschaft, sondern eine Bewegung, die sich im frühen 13. Jahrhundert von Iran aus nach Westen ausbreitete. Sie zogen ständig umher, bestritten ihren Lebensunterhalt durch Bettelei, rasierten Kopf-, Gesichts- und Körperhaare ab und brachten Eisenringe am Körper an. Sie waren also nicht nur „Skinheads“, sondern auch gepierct. 😉

Doch am problematischsten für breite Teile der Gesellschaft, aber auch für andere Sufis war, daß die Qalandars die religiösen Vorschriften bewußt mißachteten. Zum Beispiel unterließen sie das fünf Mal am Tag zu vollziehende Ritualgebet und hielten das Ramadan-Fasten nicht ein.

Diese Ablehnung der rituellen Pflichten wird von manchen als Fortsetzung einer früheren sufischen Denkschule betrachtet, die davon ausging, daß man der Eitelkeit jegliche Grundlage entziehen müsse, wenn man wirklich eine innere Nähe zu Gott gewinnen wolle.

Wie sollte das aber gelingen, wenn andere Menschen einem wegen der eigenen Frömmigkeit Respekt zollten? Der beste Ausweg war, sich eben nicht an die anerkannten Regeln zu halten, so daß man nicht respektiert oder gar bewundert, sondern getadelt und verachtet wurde.

Inwieweit die Qalandars tatsächlich Erben dieser Auffassung waren, ist jedoch umstritten. Denn für die ältere Bewegung war Selbsterniedrigung zentral, während die Qalandars eher als Freigeister beschrieben werden.

Am anderen Ende des Spektrums, der Qalandariyya-Bewegung völlig entgegengesetzt, stand die Bruderschaft der Naqschbandiyya (die es übrigens heute noch gibt). Sie entstand im 14. Jahrhundert im persophonen Zentralasien und fand später Verbreitung bis nach Indien und Kleinasien.

Ein prominenter Vertreter der Naqschbandiyya-Bruderschaft ist der persische Dichter Dschâmî (st. 1492), der während der größten kulturellen Blüte der Stadt in Herât lebte. Er war eng mit dem Timuridenhof verbunden, und die Naqschbandîs hatten auch grundsätzlich nichts gegen Nähe zu den Machthabern einzuwenden – was für Sufis und Religionsgelehrte keineswegs selbstverständlich war.

Einen Gegensatz zur Qalandariyya-Bewegung bildet die Naqschbandiyya aber vor allem deshalb, weil ihre Mitglieder streng auf die Einhaltung der religiösen Vorschriften achteten. Außerdem legten sie Wert darauf, einer Arbeit nachzugehen und ihren Lebensunterhalt zu verdienen, statt ihn sich wie die Qalandars zusammenzubetteln.

Generell war es den Naqschbandîs wichtig, sich in die Gesellschaft einzubringen, während manche anderen Sufis und Asketen sich aus ihr zurückzogen oder sich – wie die Qalandars – sogar ihren Regeln und Konventionen entzogen und ihre Mitbürger brüskierten.

Zu dieser gesellschaftskonformen Ausrichtung der Naqschbandiyya paßte auch, daß sie das Gottesgedenken (dhikr) stumm ausführten und anstrebten, inmitten der Alltagsgeschäfte und in Gesellschaft anderer Menschen mit dem Bewußtsein bei Gott zu verweilen. Die Prinzipien, nach denen sich die Naqschbandîs richteten, erinnern denn auch sehr an das, was heute unter dem Schlagwort „Achtsamkeit“ zusammengefaßt wird.

Naqschbandîs standen also voll im Leben, verhielten sich ganz wie biedere Bürger, ja, ihre Scheiche mischten sogar immer wieder in der Politik mit oder übernahmen sogar selbst die Herrschaft über ihre Region. Gleichzeitig übten sie sich aber in ständigem Gottesgedenken, Achtsamkeit und Gedankenkontrolle.

So unterschiedlich konnte Sufismus aussehen. Und es gab noch eine ganze Reihe von Schattierungen dazwischen sowie Gegensätze in anderen Aspekten.

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Beitragsbild: Tanzende Derwische an Rûmîs Mausoleum in Konya
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Von Scheichen und Adepten – Bruderschaften und Läuterungsmethoden

Hinrichtung des Hallâdsch (Handschriftenillustration um 1600)

In meinem letzten Beitrag zum Sufismus haben Sie erfahren, daß die Sufis versuchten, eine direkte Gotteserfahrung herbeizuführen. Im besten Fall sollte diese in eine Einheitserfahrung münden, bei der sich das Ich des Sufis völlig im Wesen Gottes auflöst.

Diese höchste Stufe des mystischen Erlebens erreichten freilich nicht viele Sufis. Wer es schaffte, konnte in üble Schwierigkeiten geraten. Denn dieses Erlebnis verführte zu drastischen Aussagen, wie sie zum Beispiel der Bagdader Mystiker al-Hallâdsch (st. 922) getätigt hat. Er äußerte seine mystische Verzückung in dem berühmten Ausspruch: „Anâ l-haqq – Ich bin die absolute Wahrheit (d.h.: Gott)“.

Das kam bei den streng monotheistischen Zeitgenossen nicht besonders gut an. Daß er tatsächlich als „Ketzer“ hingerichtet wurde hat aber wahrscheinlich noch ganz andere Gründe. Restlos geklärt ist die Sache nicht.

Der göttliche Funke und die Entstehung der Bruderschaften

Im großen und ganzen vertrug sich die Mystik aber ganz gut mit dem Hauptstrom des sunnitischen Islam. Ab dem Ende des 11. Jahrhunderts verbreitete sich der Sufismus denn auch stärker in der Bevölkerung. Bis zum Ende des 12. Jahrhunderts entwickelten sich außerdem neue Ideen.

Man nahm jetzt aus den gnostischen Strömungen den Gedanken auf, daß es einen göttlichen Funken im Menschen gebe, der durch die Läuterungstechniken der Sufis befreit und zu seinem Ursprung zurückgeführt werden müsse.  Yahyâ as-Suhrawardî (st. 1191) entwickelte die einflußreiche Lehre der Erleuchtung (ischrâq), die von Gott als dem absoluten Licht ausgeht. Erst die Erleuchtung durch dieses göttlichd Licht ermöglicht es dem Licht im Menschen, sich von der Materie zu befreien.

Um dieselbe Zeit beginnen die Sufis auch langsam, sich in Bruderschaften oder „Orden“ zusammenzuschließen. Sicher nachweisen lassen sich solche Bruderschaften ab dem 13. Jahrhundert, und im 14. Jahrhundert erreichten sie eine Blütezeit.

Was wir als „Bruderschaft“ oder „Orden“ wiedergeben heißt auf arabisch tarîqa und bedeutet soviel wie „Weg“ oder „Methode“. Man spricht auch vom „mystischen Pfad“, den die Adepten, also die Sufi-Schüler beschreiten. Diese Bezeichnung wurde auf die Bruderschaften übertragen, in denen sich Menschen versammelten, um diesen Pfad zu beschreiten.

Dabei bildeten sich feste Rituale der Einweihung, Läuterungs- und Meditationsübungen heraus. Sie sind eines der wesentlichen Unterscheidungsmerkmale der verschiedenen Bruderschaften.

Gottesgedenken und Musikveranstaltungen

Das „Gedenken Gottes“ (zekr, arab.: dhikr) praktizierten zwar alle Bruderschaften als zentrale Meditationsübung. Doch die dabei verwendeten Anrufungen Gottes und Formeln unterschieden sich ebenso wie die Einstellung zum Hören von Musik und Dichtung und zum Tanz.

Manche Bruderschaften lehnten die letztgenannten Methoden ab, manche nutzten sie, um Trancezustände herbeizuführen. Dabei gab es auch Unterschiede, in welcher Form Musik und Tanz ala zulässig und zielführend betrachtet wurden.

Musik und Tanz zogen durchaus beißende Kritik und Spott von außerhalb der Bruderschaften auf sich. Bei unfreundlicher Betrachtung konnte man den Einsatz von Musik, Liebesdichtung und Tanz nämlich als Hingabe an sinnliche Genüsse auslegen. Zumal dann, wenn ein hübscher Jüngling anwesend war, dessen Schönheit man betrachtete, um sich in in die Wunder von  Gottes Schöpfung zu vertiefen oder sich die Schönheit Gottes symbolisch zu vergegenwärtigen.

Auch in der Frage, ob das Gottesgedenken laut oder leise, zu eigens festgesetzten Gelegenheiten oder beständig während der Alltagsgeschäfte durchgeführt werden sollte, unterschieden sich die Bruderschaften.

Dasselbe gilt für die Einstellung zum Broterwerb und Besitz und zur Einmischung in Politik und gesellschaftliche Angelegenheiten. Von Armut und sogar Bettelei bis zu ganz normalem Arbeitsleben, von völligem Rückzug bis hin zum Wirken an Herrscherhöfen und sogar zur Ausübung politischer Herrschaft durch die Scheiche gab es alle denkbaren Schattierungen.

Scheiche und Adepten

Gemeinsam war den Bruderschaften jedoch, daß sie von einem Oberhaupt geleitet wurden, das man auf arabisch Scheich, auf persisch Pîr nannte. Beides bedeutet „alter Herr“. Alter ist in diesem kulturellen Umfeld eine Eigenschaft, die Respekt hervorruft. Der Scheich weihte Schüler oder Adepten nach einem festgelegten Ritual in die Bruderschaft ein. Die arabische Bezeichnung für den Adepten ist murîd (persische Aussprache: morîd). Das heißt: jemand, der etwas anstrebt – nämlich das unmittelbare Gotteserleben.

Der Schrein des ʿAbd al-Qâdir Jîlânî (Gründervater der Qâdiriyya-Bruderschaft)

Im Rahmen der Einweihung schwor der Adept dem Scheich, dessen Anweisungen widerspruchslos zu folgen. Dafür begleitete der Scheich seine Fortschritte auf dem mystischen Pfad, indem er Erlebnisse wie Träume und Visionen deutete und dem Adepten Übungen auftrug und ihn dabei anleitete.

Auch die aktuelle Position des Adepten auf dem mystischen Pfad, seinen maqâm – zu deutsch: „Standplatz“ – hatte der Scheich einzuschätzen, um passende Übungen auswählen zu können. Neben diesen Positionen, die den Entwicklungsstand des Adepten markierten und die er über einen längeren Zeitraum hinweg innehatte, gab es auch noch kurzfristige Zustände (hâl), zum Beispiel solche der Verzückung in einer Trance.

Dazu konnte es auch unter dem Einfluß von Gedichtvorträgen, Musik und Tanz kommen. Sie fanden in gemeinschaftlichen Sitzungen in den Zentren der Bruderschaften statt. Diese dienten auch dazu, Fremden Unterkunft zu gewähren und Speisen an die Armen auszuteilen. Die arabische Bezeichnung für so ein Zentrum lautet zâwiya, auf persisch heißt es chân(a)qâh und auf türkisch tekye oder tekke.

Gründerväter, „Gottesfreunde“ und „Gnadengaben“

Bezeichnet wurden die Bruderschaften meist nach einem berühmten früheren Sufi, der als Gründervater gilt. Auf ihn führten sich die Bruderschaften über eine „spirituelle Kette“ (selsele, arab.: silsila) von Scheichen zurück. Oftmals wird die Kette dann vom Gründervater über eine Reihe von Zwischengliedern auf den Propheten Muhammad zurückgeführt.

Allerdings haben die Gründerväter meist nicht selbst die Bruderschaft ins Leben gerufen, sondern ihr Schülerkreis oder sogar erst die auf die unmittelbaren Schüler folgende Generation schlossen sich zu einer organisierten Bruderschaft zusammen und benannten sie nach dem Lehrer, auf dessen Lehren sie sich beriefen. Ein Beispiel dafür ist die Moulaviyya-/Mevlevî-Bruderschaft, die sich auf Rûmî als ihren Gründervater beruft.

Berühmte sufische Meister wir Rûmî sind es auch, die gemeinhin als „Gottesfreunde“ bezeichnet werden. Auf arabisch nennt man sie auliyâ‘ (im Singular: walî), also Menschen, die Gott besonders nahe sind. Deshalb werden sie auf deutsch auch manchmal als „Heilige“ bezeichnet. Das ist wie immer, wenn man Begriffe aus einer Religion in die einer anderen überträgt, nicht ganz richtig und nicht ganz falsch.

Tatsächlich wurden den „Gottesfreunden“ sogenannte „Wunder“ zugeschrieben. Für unser Wort Wunder gibt es allerdings mehrere arabische Bezeichnungen, je nachdem, wer das Wunder zu welchem Zweck wirkt. Die Wunder großer Sufi-Scheiche nennt man „Gnadengaben“ (karâmât). Damit ist auch schon gesagt, daß es sich nicht um eine Eigenleistung des Scheichs handelt, sondern um eine Gabe Gottes, mit der er dem „Gottesfreund“ eine besondere Gnade erweist.

Grundsätzlich steht dahinter die Vorstellung, daß Gott alles, was geschieht, direkt bewirkt. Er tut dies aber nicht willkürlich, sondern folgt gewissen „Gewohnheiten“, die das Weltgeschehen für die Menschen berechenbarer machen. So ist es zum Beispiel einer Gewohnheit Gottes zuzuschreiben, daß etwas, was ich in der Hand halte und dann loslasse, in der Regel nach unten fällt.

Das bedeutet aber nicht, daß Gott nicht in der Lage wäre, seine eigene Gewohnheit zu jedem beliebigen Zeitpunkt zu durchbrechen. Dieses „Durchbrechen der Gewohnheit“ ist es, was wir als Wunder wahrnehmen.

Anders als die Beglaubigungswunder der Propheten sollten die „Gnadengaben“ der Sufis übrigens nicht publik gemacht, sondern vielmehr geheimgehalten werden. Trotzdem werden solche Wunder aber regelmäßig in den Biographien der „Gottesfreunde“ berichtet, da sie die besondere Gottesnähe des betreffenden Scheichs verdeutlichen.

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Beitragsbild: Tanzende Derwische an Rûmîs Mausoleum in Konya
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Hinrichtung des Hallâdsch:
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Atga Khân: Akbars zweiter Ziehvater (Jodha Akbar)

In einem meiner älteren Beiträge zur indischen TV-Serie Jodha Akbar hatte ich bereits über Bairam Khân geschrieben, der in dieser Serie als grausamer Militärführer dargestellt wird. Auch für Akbars Grausamkeit wird Bairam Khân verantwortlich gemacht.

Demgegenüber gibt es einen weiteren einflussreichen Ratgeber Akbars, der in der Serie als weiser und loyaler Mann dargestellt wird. Atga Khân, manchmals auch Ataga Khân oder Ataka Khân geschrieben. Ataga Khân bedeutet im Chagatai-Türkischen, der Sprache Bâburs und auch Humâyûns, „Ziehvater“ – doch dazu später.

Atga Khân entstammte einfachen Verhältnissen, er wurde in Ghazni im heutigen Afghanistan geboren. Sein eigentlicher Name war Schams ud-Dîn Muhammad, was „Sonne der Religion“ bedeutet.

Kabul war ja zu diesem Zeitpunkt der Herrschaftsmittelpunkt der Mogulendynastie. Die Eroberungen in Indien konnten von Bâburs Sohn Humâyûn nicht dauerhaft gehalten werden – die Sur-Dynastie konnte eine Zwischenherrschaft in Indien errichten. Gleichzeitig versuchte in und um Kabul, Humâyûns Halbbruder Kamrân Mîrzâ die Macht zu ergreifen – unruhige Zeiten für Humâyûn… Zu dieser Zeit war Atga Khân nur ein einfacher Soldat in Humâyûns Armee.

Atga Khân – der Lebensretter

Doch dann kam der Augenblick, der Atga Khâns Leben und seiner Karriere eine Wendung gab. Als Humâyûn sich nach der verlorenen Schlacht von Kannauj im Jahr 1540 zurückzog, hatte er einen Unfall mit seinem Reitelefanten: Während er den Ganges überquerte, wurde er von seinem Elefanten abgeworfen und wäre beinahe ertrunken. Nur das schnelle Eingreifen des einfachen Soldaten Atga Khâns bewahrte Humâyûn vor dem Tod. Humâyûn machte Atga Khân zu einem seiner persönlichen Wachen. Im Laufe der Zeit konnte Atga Khân immer mehr das Vertrauen des Herrschers gewinnen.

Aus diesem Grund ließ Humayûn, der mehrere Niederlagen gegen Sher Schâh Surî erlitt und ins Exil nach Persien ging, seinen Sohn Akbar in Umerkot (heute Pakistan) zurück. Akbar wurde von Bairam Khân in der Kriegskunst ausgebildet und von Atga Khân erzogen und beraten.

Der Einfluss der Ammen

An dieser Stelle ist jedoch auch der weibliche Einfluss nicht zu unterschätzen: Von Akbars Amme Mahâm Anga, die später unter Akbars Herrschaft Premierminister wurde, war schon die Rede. Akbar hatte jedoch insgesamt fünf Ammen, von denen eine andere Jîjî Anga war – Atga Khâns Frau. Somit wuchsen Akbar, Mahâm Angas Sohn Adham Khan und Atga Khâns Mîrzâ ‚Azîz „Kokah“  im Harem zusammen als (Milch-) Brüder auf. Akbars Ammen beobachteten misstrauisch, wem Akbar am Hof eine bedeutende Stellung einräumte. Mahâm Anga war der zunehmende Einfluss der Familie Atga Khâns ein Dorn im Auge: Akbar machte seinen Ziehvater Atga Khân zum Minister (wakîl) am Hofe, während Adham Khân weiter als Militärführer ohne beratende Funktion tätig war, bei bedeutenden Entscheidungen aber ohne Einfluss blieb.

Diese Spannungen zwischen den Familien Jîjî Angas und Mahâm Angas schaukelten sich weiterhin hoch, bis im Jahr 1562 Mahâm Angas Sohn Adham Khân in Akbars Audienzhalle (dîwân-e ‚âmm) stürmte und Atga Khân ermordete. Obwohl Adham Khân ja Akbars Milchbruder war, ließ Akbar Adham sofort hinrichten: indem er ihn zwei Mal von der höchsten Stelle des Forts in Agra werfen ließ. Mahâm Anga starb nur knapp sechs Wochen nach ihrem Sohn.

Mîrzâ ‚Azîz Kokah ließ für seinen ermordeten Vater ein großes Grabmal in der Nähe des berühmten Sufi-Schreins von Nizâm ud-Dîn Auliyâ‘ (st. 1325) errichten. Er selbst hielt wichtige Ämter unter Akbar und dessen Sohn Dschahângîr inne. Zudem verheiratete er zwei seiner Töchter Söhnen Akbars aus Beziehungen mit seinen Dienerinnen bzw. Tänzerinnen.

Mirza_Aziz_Koka

Auch Adham Khâns Kinder (von drei Ehefrauen) heirateten weiterhin im Umfeld des Harem, eine Tochter von ihm heiratete sogar Akbar selbst, einer seiner Söhne heirate eine von Akbars Töchtern.

Das Beispiel von Atga Khân zeigt deutlich die Auseinandersetzungen verschiedener Gruppen und Familien im Harem und bei Hofe. Verbindungen und Allianzen zwischen Familien wurden oft über Generationen geschlossen und hielten trotz Belastungen auch Streitigkeiten und sogar Mord stand……

Das Beitragsbild zeigt den ‘Abd ul-Rahîm Khân, den späteren Khân-e Khanân, der als Kind am Hof Akbars vorgestellt wird. Bei dieser Vorstellung wird er von Atga Khân unterstützt. Das Bild unterliegt der Wikimedia Commons Lizenz.

Das zweite Bild zeigt Atga Khâns Sohn Mîrzâ ‚Azîz Koka. Auch dieses Bild unterliegt der Wikomedia Commons Lizenz.

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Ein Überblick über unsere Beiträge zur Mogulgeschichte

Wie war das nochmal mit der Liebe? – Inhalte der islamischen Mystik

In meinen letzten Beiträgen über Rûmî und verschiedene Gedichtformen der persischen Poesie war immer wieder von der islamischen Mystik die Rede – und von einer mystischen Liebe, die allegorisch in den Bildern profaner irdischer Liebe beschrieben wird. Aber worum geht es eigentlich in der islamischen Mystik und was hat sie mit Liebe zu tun?

Sie haben vielleicht schon gelegentlich den Begriff „Sûfismus“ gehört. Claudia Preckel hat in ihrem letzten Beitrag über den Mogulherrscher Akbar und die Mystik bereits erklärt, daß dieses Wort möglicherweise von „sûf“ kommt. Das heißt „Wolle“, bezeichnet also das Material, aus dem die härenen Gewänder der frühen islamischen Mystiker bestanden. Die Träger dieser Gewänder nennt man dementsprechend „Sûfîs“ – mittlerweile eingedeutscht zu: Sufis.

Härene Gewänder trugen die frühen Sufis, weil es ihnen nicht nur ging, einen direkten inneren Zugang zu Gott zu finden, der über die formale Befolgung religiöser Vorschriften hinausging. Sie waren der Auffassung, daß dazu eine innere Läuterung nötig sei. Sprich: Man mußte seine eigene „Triebseele“ bändigen, und das ließ sich am besten durch Armut und Askese (arab.: zuhd) erreichen.

Auf die freiwillige Armut der frühen Asketen verweisen auch arabische und persische Bezeichnungen für Mystiker: faqîr heißt „der Arme“ auf arabisch (und ja, Fakir ist dasselbe Wort). Die persische Bezeichnung dürfte Ihnen bekannter sein: „der Arme“ wird auf persisch nämlich darvîsch genannt – zu gut deutsch also: Derwisch.

Allerdings wurden am Anfang (im 7.-8. Jahrhundert) nicht alle gottsuchenden Asketen Sufis genannt (und man müßte sogar diskutieren, ob „Mystiker“ eine korrekte Bezeichnung für sie ist). Zunächst waren die Sufis eine eigene Gruppe. Erst im 9.-11. Jahrhundert gingen sie in der Gesamtbewegung auf, und diese wurde nun als Sufismus oder Sufik (arab.: tasawwuf) bezeichnet.

In dieser Zeit gewann die islamische Mystik ein einheitlicheres Gesicht. Lehrbücher entstanden, man entwarf eine Seelenkunde, und es wurden Läuterungstechniken entwickelt, auf die ich in einem gesonderten Beitrag eingehen werde. Geschrieben wurde bis ins 10. Jahrhundert vor allem auf arabisch, danach gewinnen auch persische Werke immer größere Bedeutung.

Sufisches Werk, Handschrift aus dem 17. Jahrhundert

Ziel der Mystiker war es, eine unmittelbare Gotteserfahrung zu erreichen. Diese wurde oft als Erleben starker Liebesgefühle und Aufgehen im göttlichen Wesen empfunden. Ähnliche Erfahrungen werden bis heute aus tiefer meditativer Versenkung berichtet.

Der gedankliche Hintergrund hierfür war eine spezielle Auslegung des muslimischen Einheitsbekenntnisses (tauhîd), das besagt, daß es nur einen Gott gibt. Sie bestand darin, Gott als den einzigen wahren Akteur zu begreifen, während das menschliche Ich nur als Scheingebilde betrachtet wurde, das in Gott „entwerden“ sollte – der arabische Fachbegriff für dieses „Entwerden“ ist fanâ‘.

Mit anderen Worten: Nach dieser Auffassung existiert nur Gott wirklich und alles andere scheint nur von ihm abgetrennt zu sein, ist aber in Wahrheit Teil von ihm, also mit ihm eins. Das individuelle Ich des Menschen und sein Gefühl des Abgetrenntseins von anderen Wesen und Gott sind daher bloße Täuschung, die durch die Erfahrung der Einheit mit Gott aufgehoben werden soll. Man nennt diese Erfahrung auch „Einheitserlebnis“.

Dieses Erlebnis bildet den Gipfel dessen, was ein Mystiker erreichen kann, und wird als hochgradig beglückend empfunden. Mystiker haben immer schon mit der Herausforderung gerungen, dieses einzigartige Erlebnis angemessen in Worte zu fassen. Häufig waren sie der Auffassung, daß dies gar nicht möglich sei.

Versucht haben sie es aber dennoch immer wieder. Daraus sind großartige literarische Werke entstanden, die sich rhetorischer Mittel wie Allegorien bedienen und alle Register der Dichtung ziehen, um das Erleben ästhetisch fühlbar zu machen.

Da ein wesentliches Element des „Einheitserlebnisses“ die Empfindung allumfassender, alles durchdringender bedingungsloser Liebe ist, die als Ziel und Zweck der gesamten Existenz erscheint, bot sich natürlich die Liebespoesie als Ausdrucksform an.

Soweit ich weiß, ist in keiner Sprache die mystische Liebesdichtung so ausgeprägt und reichhaltig wie im Persischen. Deshalb liest sich mystische Dichtung auf persisch häufig wie Liebeslyrik – zumindest auf den ersten Blick. Und Liebeslyrik hat oft einen mystischen Nebensinn.

Doch damit befassen wir uns in einem der folgenden Teile dieser Mini-Serie über die islamische Mystik.

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Beitragsbild: Tanzende Derwische an Rûmîs Mausoleum in Konya
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Akbar – ein Pilger, zwei Mystiker und eine Schwangerschaft

Derzeit begehen Muslime in aller Welt den Fastenmonat Ramadân (im Persischen und im Urdu Ramazân). Im letzten Jahr hatte ich etwas zum Thema Ramadân und Spendenbereitschaft von deutschen Musliminnen und Muslimen geschrieben. In diesem Jahr beschäftigen wir uns auf unserem Blog ja sehr viel mit der Geschichte der Moguln, und so widme ich diesen Beitrag dem muslimischen Fastenmonat und seiner Geschichte im Mogulreich.

Wie in der übrigen islamischen Welt wurde auch in Südasien der Ramadan begangen und das Fest am Ende des Fastenmonats besonders gefeiert. Interessant ist, dass die Quellen uns berichten, dass es am Hof der Moguln immer wieder Muslime gab, die sich nicht an die strengen Regeln des Fastens von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang hielten. Auch auf den Alkoholkonsum verzichteten einige Mitglieder des Hofes trotz Ramadân nicht. So berichtete Dschahângîr in seinen Memoiren, dass Schêr Khân auch im Ramadân eine beachtliche Menge Alkohol zu sich nahm (Dschahângîr-nâma, S. 90).

Doch wir haben auch andere Berichte über das Einhalten des Fastenmonats am Mogulhof, bzw. damit verbundene Rituale. Wie ich in meinem letzten Beitrag über die Nachkommen Akbars schon berichtet habe, musste Akbar viele Jahre auf einen männlichen Erben warten. Als er fürchtete, niemals einen Sohn und Nachfolger zu bekommen, suchte er den Beistand eines islamischen „Heiligen“.

„Heiliger“ ist hier in Anführungsstriche gesetzt, da das christliche Konzept von Heiligkeit nicht einfach auf den Islam zu übertragen ist. Islamische „Heilige“ sind als „Freunde Gottes“ (walî Allâh) oder sûfîs bekannt. Sûf ist das arabische Wort für Wolle und kennzeichnet die Wollgewänder, die Sufis häufig trugen. Sufis lebten und leben häufig alle als Asketen oder in größeren Ordensgemeinschaften, ähnlich einem Mönchsorden.

In der Nähe von Akbars Hauptstadt Agra befand sich das Haus von Salîm Chishtî (st. 1572), einem bekannten Sufi aus dem Orden der Chishtiyya. Akbar beschloss, den Mystiker aufzusuchen und durch ihn um göttlichen Beistand zu bitten. Er pilgerte die knapp 36 km von Agra nach Sikri zu Fuß, um den „Heiligen“ zu treffen. Salîm sagte voraus, dass Akbar Vater von drei Söhnen werden würde.

Und tatsächlich: bald darauf wurde Akbars Ehefrau Jodha/Maryam uz-Zamânî schwanger. Akbar fürchtete scheinbar, dass seine Ehefrau eine Fehlgeburt erleiden könnte oder die Kinder wie die verstorbenen Zwillinge Hasan und Husain zu schwach sein könnten. Aus diesem Grund ließ er für Jodha einen Palast direkt neben dem Haus Salîm Chishtîs erbauen, in dem Jodha in der Tat bis zur Geburt lebte.

Akbar war voller Freude und nannte seinen Sohn nach dem Sufi Salîm. Doch das war nicht alles: die Söhne und Schwiegersöhne des Mystikers erhielten wichtige Positionen bei Hof, die Töchter und Schwiegertöchter Salîms wurden zu Ammen des Prinzen ernannt. Somit stärkte Akbar die Rolle des mystischen Islam an seinem Hofe. Doch damit nicht genug: rund um das Haus von Salîm Chishtî ließ  Akbar nun seine neue Hauptstadt Fatehpur Sikri errichten. Nach Salîms Tod errichtete Akbar ein großes Mausoleum für den Schaich, das auch heute noch von großer Bedeutung ist.

Ein zweiter Mystiker war für Akbar allerdings fast noch wichtiger: Schaich Mo’în ud-Dîn Chishtî, der 1230 in Ajmer gestorben war. Wie die Mogulherrscher auch, stammte Mo’în ud-Dîn aus Afghanistan und war für die Mogulherrscher eine Art Schutzpatron. Akbar  führte in jedem Jahr eine Pilgerfahrt von Agra nach Ajmer durch, die Strecke von ca. 360  Kilometer legte er zu Fuß zurück. In Ajmer stiftete Akbar einige Moscheen und Gebäude rund um den Grabschrein von Mo’în ud-Dîn.

In der Serie Jodha Akbar sieht der Zuschauer Akbar in zahlreichen Szenen am Grab Mo’în ud-Dîns beten. In Folge 99 der Serie wird die Szene von einem qawwâlî, einem sufischen Gesang, untermalt. Der Gesang richtet sich an Chwâdscha (Mo’în ud-Dîn).  Im Film Jodhaa Akbar gibt es ebenfalls ein qawwâlî zu Ehren des Heiligen, das von dem berühmten muslimischen Komponisten A.R. Rahman verfasst wurde. HIER geht es zu dem Video zu „Khwaja mere Khwaja“. Hier zeigt sich die Bedeutung von Sufi-Musik für Bollywood.

In etlichen Jahren führte Akbar seine jährliche Pilgerfahrt im Monat Ramadân durch. Unmittelbar nach Salîms Geburt reiste Akbar im Fastenmonat nach Delhi und dankte an vielen Sufi-Schreinen für die Geburt seines Sohnes. Auch heute besuchen im Ramadan Tausende von Pilgern den Schrein Mo’în ud-Dîns und folgen dem Beispiel der Mogulherrscher. Ajmer ist auf diese Weise eines der wichtigsten muslimischen Pilgerzentren Indiens.

Das Beitragsbild zeigt die Begegnung Akbars und Salîm Chishtîs. Es stammt aus dem 18. oder 19. Jahrhundert  und ist Public Domain.

Masnavî? Ghasel? Bahnhof? – Grundkurs persische (und deutsche) Dichtkunst

In meinem letzten Beitrag über Rûmî sind die Begriffe „Ghasel“ und „Masnavî“ gefallen, und Sie haben wahrscheinlich verstanden, daß es sich dabei um Gedichtformen handelt. Rûmîs Hauptwerk trägt sogar „Masnavî“ im Titel.

Aber wie sieht ein Masnavî eigentlich aus? Und wie ein Ghasel? Das möchte ich Ihnen heute anhand von Beispielen kurz erklären. Dabei werden wir im wesentlichen bei Rûmîs Dichtung bleiben. Heute soll es um die dichterische Form gehen. Doch keine Sorge: Wir kommen bald auch noch auf die Inhalte der islamischen Mystik zu sprechen.

Unterhaltung oder Unterweisung – Masnavî

Also, was ist ein Masnavî? – Das Wort masnavî (arabisch: mathnawî) ist abgeleitet von einer arabischen Wortwurzel mit der Bedeutung „etwas doppelt legen“ und bezeichnet ein Gedicht aus Halbverspaaren (auf deutsch spricht man auch von Doppelversen), bei denen sich immer zwei Halbverse aufeinander reimen.

Frontispiz des 1. Buches von Rûmîs Masnavî in einer Handschrift von 1461

Da dieses Reimschema recht einfach zu handhaben ist, hat man diese Form traditionell für lange Gedichte verwendet, zum Beispiel für Epen.

Doch nicht nur epische Erzählungen sind häufig sehr ausführlich, sondern auch Lehrgedichte. Das sind Gedichte, in denen ein Thema behandelt wird wie in einer gelehrten Abhandlung oder einem Lehrbuch, nur eben nicht in Prosa, sondern in poetischer Form, also mit Metrum und Reim.

Um ein solches Lehrgedicht, nämlich zur islamischen Mystik, handelt es sich auch bei Rûmîs Masnavî. In diesem Werk erzählt Rûmî viele Geschichten – oft aus der schon Jahrhunderte vor ihm überlieferten Witz- und Anekdotenliteratur übernommen – und schließt dann die beabsichtigte Aussage an.

Doch andere Lehrgedichte in masnavî-Form enthalten keine solchen unterhaltenden Elemente, etwa solche aus dem Fachgebiet der Medizin. Dort diente die Versform vor allem als Gedächtnisstütze.

Immerhin läßt sich rhythmisch und in Reimen präsentiertes Material leichter auswendig lernen als Prosatexte. Das war zu Zeiten, als man weniger leicht an Literatur herankam als heute, durchaus wichtig. Man mußte viel mehr im Kopf behalten, weil die Möglichkeiten, etwas nachzuschlagen, nicht so allgegenwärtig gegeben waren.

Aber wie sieht so ein Text in masnavî-Form eigentlich aus? Um das zu sehen, müssen wir Übersetzungen bemühen, da diese Gedichtsform – anders als das Ghasel – nicht in Deutschland heimisch geworden ist.

Am bekanntesten sind die Übersetzungen eben aus Rûmîs Masnavî und aus den Werken anderer mystischer Dichter. Fachliteratur in masnavî-Form wird eher selten poetisch ins Deutsche übertragen.

Das Lied der Rohrflöte

Hier also eine Kostprobe aus dem Einleitungsabschnitt von Rûmîs Masnavî. Man nennt ihn das „Lied der Rohrflöte“, weil hier eine Rohrflöte als Symbol der menschlichen Seele zu Wort kommt und über ihre Trennung von der Ur-Heimat klagt.

Im Falle der Rohrflöte handelt es sich dabei um das Röhricht, aus dem sie stammt. Aber die menschliche Seele, für die sie symbolisch steht, sehnt sich in der Metapher des Röhrichts nach der Vereinigung mit Gott zurück:

Hör auf der Flöte Rohr, wie es erzählt
und wie es klagt, vom Trennungsschmerz gequält!

„Seit man mich aus der Heimat Röhricht schnitt,
weint alle Welt bei meinen Tönen mit!

Ich such ein Herz, vom Trennungsleid zerschlagen,
um von der Trennung Leiden ihm zu sagen.

Sehnt doch nach dem In-Einheit-Lebens-Glück,
wer fern vom Ursprung, immer sich zurück!

[…]

Kein Hauch, nein Feuer sich dem Rohr entwindet –
Verderben dem, den diese Glut nicht zündet!

Der Liebe Glut ist’s, die ins Rohr gefallen,
der Liebe Brausen läßt den Wein nur wallen.

[…]

In Leid sind unsre Tage hingeflogen,
und mit den Tagen Plagen mitgezogen;

Doch ziehn die Tage, laß sie ziehn in Ruh,
wenn du nur bleibst, der Reinen Reinster du!

[…]

(Rumi, Übers. Schimmel, mit Übernahmen von Hellmut Ritter, S. 23 u. 25)

Die Rohrflöte ist hier übrigens deshalb eine passende Metapher, weil ihr Klang klagend wirkt. Darauf wird auch zu Beginn des Abschnitts angespielt.

Auch im Deutschen heimisch – das Ghasel

Leichter gestaltet sich die Suche nach Beispielen beim Ghasel oder der Ghasele – beide Formen des Wortes existieren im Deutschen. Auch dieses Wort kommt aus dem Arabischen – sowohl auf arabisch als auch auf persisch heißt es ghazal. Das bedeutet in etwa „Liebesworte“ oder neudeutsch „Flirt“.

Gemeint ist eine lyrische Gedichtform, die sich wohl aus dem Einleitungsteil der längeren arabischen Qasîde entwickelt hat – einer Gedichtform, die vor allem für Lob und Schmähung verwendet wurde und einleitend meist Erinnerungen an eine verlorene Vergangenheit thematisiert, in der auch die Geliebte eine Rolle spielt.

Wie das Masnavî besteht auch das Ghasel aus aufeinander folgenden Halbverspaaren. Allerdings weicht das Reimschema ab: Nur die ersten beiden Halbverse reimen sich, danach zieht sich der Anfangsreim durch jeden zweiten Halbvers, während die ersten Halbverse jeweils unterschiedlich enden.

Seite aus einer Handschrift von Rûmîs Dîvân (um 1500)

Der Inhalt ist – wie die Bedeutung des Wortes schon vermuten läßt – hauptsächlich Liebesdichtung. Allerdings haben die großen persischen Dichter wie Sa’dî (Saadi, st. 1292), Rûmî und Goethes Dichter-„Zwilling“ Hâfez (Hafis, st. um 1390) die Liebeslyrik auch mit anderen Themen unterlegt.

In Ghaselen findet man deshalb spätestens ab dem 13. Jahrhundert auch in die Begriffe profaner Liebe gekleidete Schilderungen der mystischen Liebe zu Gott und Lobdichtung für Herrscher in Gestalt schwärmerischer Schilderungen der oder des Geliebten.

Besonders interessant ist aber, daß sich das Ghasel im 19. Jahrhundert auch im Deutschen als Reimschema eingebürgert hat. Deshalb kann man zu dieser Gedichtform nicht nur Übersetzungen aus orientalischen Sprachen, sondern auch originäre deutsche Gedichte finden.

Hoffmannsthal und Rückert: Ghaselendichtung auf deutsch

Dieses Beispiel originär deutscher Ghaselendichtung hier stammt von Hugo von Hoffmannsthal (st. 1874-1929):

In der ärmsten kleinen Geige liegt die Harmonie des Alls verborgen,
Liegt ekstatisch tiefstes Stöhnen, Jauchzen süßen Schalls verborgen;

In dem Stein am Wege liegt der Funke, der die Welt entzündet,
Liegt die Wucht des fürchterlichen, blitzesgleichen Pralls verborgen.

In dem Wort, dem abgegriffnen, liegt was mancher sinnend suchet:
Eine Wahrheit, mit der Klarheit leuchtenden Kristalls verborgen …

Lockt die Töne, sticht die Wahrheit, werft den Stein mit Riesenkräften!
Unsern Blicken ist Vollkommnes seit dem Tag des Sündenfalls verborgen.

(zitiert aus Wikipedia-Artikel „Ghasel“)

Da das Ghasel im 19. Jahrhundert auch unter deutschen Dichtern auf soviel Anklang stieß, ist es kein Wunder, daß der deutsche Dichter und Gelehrte, der die ansprechendsten Übersetzungen aus dem Persischen angefertigt hat, ebenfalls zu dieser Zeit lebte: Friedrich Rückert (1788-1866).

Unter Orientwissenschaftlern ist er für seine ästhetisch reizvollen, aber inhaltlich nicht immer korrekten Übertragungen aus mehreren Sprachen bekannt. Auch aus dem Arabischen hat er übersetzt, namentlich Teile des Korans.

Doch da wir uns hier für die Ghaselendichtung interessieren, stelle ich Ihnen die Übertragung eines mystischen Ghasels aus Rûmîs Dîvân vor:

Komm, komm! du bist die Seele, die Seele mir im Reigen.
Komm, komm! du bist die Ceder, die Ceder hier im Reigen.

O komm! Ein Quell des Lichtes entspringt aus deinem Schatten,
Und tausend Morgensterne sie tanzen dir im Reigen.

Hoch ist das Dach des Himmels, des siebenten, des höchsten;
Du ragest über alle mit heller Zier im Reigen.

Die Liebe hat mit Armen ergriffen mich am Nacken;
Ich halte dich ergriffen mit süßer Gier im Reigen.

Das Sonnenstäubchen tanzet, vom Licht der Sonn‘ ergriffen.
Licht, da du mich ergriffest, nicht mich verlier im Reigen.

Die Stäubchen kreisen schweigend, denn schweigend spricht die Liebe;
Mich schweigen lehret Liebe, so tanz‘ ich ihr im Reigen.

(Rumi in der Übersetzung von Friedrich Rückert 1819)

Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, daß die Reime der Ghaselen sich noch aus einem weiteren Grund von denen des Masnavî-Gedichts unterscheiden: Hier enthält nämlich nicht immer das letzte Wort des Verses den Reim, sondern das vor- oder sogar drittletzte, während das letzte (und manchmal vorletzte) Wort nur wiederholt werden.

Tatsächlich wird es immer schwieriger, passende Reime zu finden, je weiter das eigentliche Reimwort im inneren des jeweiligen Halbverses liegt. Sie können es ja einmal ausprobieren, dann werden Sie es merken! Ich habe bisher noch keine solche Nachdichtung fertiggebracht. Es handelt sich also um ein Beispiel äußerst anspruchsvoller Dichtkunst.

Das ist durchaus typisch für die hochentwickelte persische Dichtung, die auch durch zahlreiche Konventionen geprägt ist. Doch auf deren Besonderheiten kommen wir ein anderes Mal zu sprechen.

Quelle

Dschelaluddin Rumi: Das Mathnawi: Ausgewählte Geschichten. Aus dem Persischen von Annemarie Schimmel. Mit Illustrationen von Ingrid Schaar. Basel: Sphinx, 1994. S. 23 u. 25.

Bildnachweis

Beitragsbild: Seite aus einer iranischen Handschrift von Rûmîs Masnavî (1479)
Quelle: Wikimedia Commons
Public domain/gemeinfrei

Frontispiz in einer iranischen Handschrift von Rûmîs Masnavî (1461):
Quelle: Wikimedia Commons
Public domain/gemeinfrei

Seite aus Rûmîs Dîvân aus der Bibliothèque nationale de France, Paris (um 1500)
Quelle: Wikimedia Commons
Public domain/gemeinfrei

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„Die Perle in Akbars Schatulle“- Akbars Nachkommen: einige Bemerkungen

Auf diesem Blog hatten wir uns schon in einigen Beiträgen zum Mogulherrscher Akbar (reg. 1556-1605) und dessen eigene Kindheit, die von seiner Amme („Milchmutter“) Mahâm Anga und seinen Ziehvätern Bairam Khân und Atga Khân geprägt war. In diesem Beitrag soll es um Akbars eigene Nachkommen und um das Leben im königlichen Harem, genannt zenâna (Frauengemächer).

Eines soll vorweg gesagt werden: die Herrschaft eines mittelalterlichen Herrschers war nicht auf die Monogamie ausgerichtet. Somit war es gleichsam selbstverständlich, dass ein (Mogul-)herrscher nach islamischem Recht vier Ehefrauen hatte,  also Ehefrauen, mit denen er nach islamischem Recht einen Ehevertrag (nikâh) abgeschlossen hat. Dazu zählten unter anderem seine Cousinen Ruqaiyya Begum und Salîma sowie die rajputanische Prinzessin aus Amber, Harka Bai, bekannt als Jodha Bai bzw. Maryam uz-Zamânî. Darüber hinaus gab es zahlreiche andere Frauen, die als Dienerinnen, Sklavinnen, Kriegsbeute oder Geschenk in den Harem kamen – eine Diskussion darüber soll allerdings an dieser Stelle nicht geführt werden, obwohl es natürlich dazu einiges zu sagen gibt. Neuere Forschungen zur Geschichte des zenâna zeigen aber, dass Frauen im königlichen Harem jedoch mehr Handlungsspielraum und Freiheiten und sogar politische Macht hatten. Vor allem die Mütter der Kinder eines Mogulkaisers erlangten einen hohen Status – dabei  war es egal, ob es sich bei der Kindsmutter um eine Dienerin oder um eine nach islamischem Recht angetrauten Ehefrau handelte.

Zu Beginn seiner Herrschaft, in seinen Zwanzigern,  führte Akbar ein „sexuell ausschweifendes Leben“. Obwohl ihm ja gemäß des islamischen Rechts vier „legale“ Ehefrauen zustanden, führt sein Biograf Abu l-Fazl sieben Frauen auf, mit denen er die Ehe geschlossen hatte. Später schloss er häufiger die islamische „Ehe auf Zeit“ (mut’a). Dazu kamen die Frauen, die er von seinen Eunuchen aus anderen zenânas suchen  und in seinen Harem bringen ließ. Dort lebten ca. 300 Frauen.

Trotz der großen Anzahl an (Ehe-)Frauen und Geliebten blieb Akbar lange ohne Nachkommen. 1561-62 kam Akbars älteste Tochter Fâtima zur Welt – ihre Mutter war wahrhrscheinlich Ruqaiya Begum. Das Mädchen überlebte nur wenige Stunden – wäre es aber wie von einigen Quellen behauptet, eine Totgeburt gewesen, hätte es aber wahrscheinlich keinen Namen erhalten. So bliebe Ruqaiya Zeit ihres Lebens kinderlos, doch sie wurde von Akbar persönlich mit der Erziehung seines Enkels Khurram (dem  Sohn Salîms und späteren Herrscher Shâh Dschahân betraut).

Knapp zwei Jahre nach der Geburt Fâtimas kamen zur großen Freude Akbars Zwillinge zur Welt, die vom Herrscher Hasan und Husain nannte.  Mutter war nach nach einigen Quellen Jodha (Maryam uz-Zamânî), nach anderen Quellen Bîbî Ârâm Baksh genau lässt sich das nicht klären. Die Geburt der beiden Prinzen  wurde mit großem Pomp gefeiert: Horoskope wurden erstellt, es gab große Feierlichkeiten. Bemerkenswert – vom islamwissenschaftlichen Standpunkt aus – ist übrigens die Tatsache, dass Akbar seinen ersten drei Kindern Namen gab, die vor allem im schiitischen Islam gebräuchlich sind und waren: Fâtima war die Tochter des Propheten Muhammad, ihre Söhne Hasan und Husain entstammten der Ehe mit ‚Alî, dem Begründer der Shî’a. Diese Namen trugen auch dem Einfluss der Iraner bei Hof, die vor allem durch Bairam Khân unterstützt wurden, Rechnung.

Leider erwiesen sich die Feierlichkeiten anlässlich der Geburt der männlichen Erben als  als verfrüht: die Zwillinge waren schwach und kränklich und verstarben beide innerhalb von 6 Monaten. Akbar stand nun wieder ohne einen männlichen Erben da. Erst als Akbar 27 Jahre alt war, wurde Salîm geboren, der männliche Erbe für den der Kaiser so lange gebetet hatte – und zwar am Schrein des Mystikers Salîm Chishtî (st. 1572). Auf die Verbindung Akbars  zur islamischen Mystik soll an anderer Stelle eingegangen werden.

Der neugeborene Prinz wurde zu Eheren Salîm Chishtîs ebenfalls Salîm genannt- und die Freudenfeiern am Hofe übertrafen noch die Feiern anlässlich der Geburt der Zwillinge: Horoskope wurden verfasst, Gefangene wurden freigelassen und zahlreiche Gedichte wurden verfasst.

Interessant ist auch, dass- wie erwähnt – üblicherweise in den Quellen keine Angaben vorliegen, wer die Mutter des Neugeborenen war. Im Fall von Salîm haben wir sogar eine Miniatur, die das Innere des Harems zeigt – und Maryam uz-Zamânî nach der Geburt Salîms. Diese Miniatur ist als Beitragsbild dieses Beitrages zu sehen

Abu l-Fazl, Akbars Biograph, bezeichnete Salîm als „die Perle in der Schatulle König  Akbars“ (jauhar-e durj-e Akbar Shâhî). Die Geburt von Akbars Söhnen Daniyâl und Murâd, die beide von anderen Frauen stammten, wurde in den Quellen nicht so euphorisch beschrieben. Murâd wurde im übrigen von Jodha aufgezogen, während Daniyâl von Salîma erzogen wurde.

In Abu l-Fazls Biographie, dem Akbar-nâma, sowie dem Jahângîr-nâma des späteren Herrschers Salîm finden sich Angaben zu insgesamt zwölf Kindern Akbars, aber es kann durchaus sein, dass diese Liste unvollständig ist.

Es gibt also durchaus die Notwendigkeit zur weiteren Forschung rund um Akbars Ehefrauen und Nachkommen.

Literatur:

Eraly, Abraham: The Last Spring. New Delhi 2000.

Faruqui, Munis D.: The Princes of the Mughal Empire. Cambridge 2012.

Mukherjee, Soma: Royal Mughal Ladies and Their Contributions. New Delhi 2001.

Das Beitragsbild ist Public Domain (Wikimedia Commons): The Birth of Jahângîr.

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