Masnavî? Ghasel? Bahnhof? – Grundkurs persische (und deutsche) Dichtkunst

In meinem letzten Beitrag über Rûmî sind die Begriffe „Ghasel“ und „Masnavî“ gefallen, und Sie haben wahrscheinlich verstanden, daß es sich dabei um Gedichtformen handelt. Rûmîs Hauptwerk trägt sogar „Masnavî“ im Titel.

Aber wie sieht ein Masnavî eigentlich aus? Und wie ein Ghasel? Das möchte ich Ihnen heute anhand von Beispielen kurz erklären. Dabei werden wir im wesentlichen bei Rûmîs Dichtung bleiben. Heute soll es um die dichterische Form gehen. Doch keine Sorge: Wir kommen bald auch noch auf die Inhalte der islamischen Mystik zu sprechen.

Unterhaltung oder Unterweisung – Masnavî

Also, was ist ein Masnavî? – Das Wort masnavî (arabisch: mathnawî) ist abgeleitet von einer arabischen Wortwurzel mit der Bedeutung „etwas doppelt legen“ und bezeichnet ein Gedicht aus Halbverspaaren (auf deutsch spricht man auch von Doppelversen), bei denen sich immer zwei Halbverse aufeinander reimen.

Frontispiz des 1. Buches von Rûmîs Masnavî in einer Handschrift von 1461

Da dieses Reimschema recht einfach zu handhaben ist, hat man diese Form traditionell für lange Gedichte verwendet, zum Beispiel für Epen.

Doch nicht nur epische Erzählungen sind häufig sehr ausführlich, sondern auch Lehrgedichte. Das sind Gedichte, in denen ein Thema behandelt wird wie in einer gelehrten Abhandlung oder einem Lehrbuch, nur eben nicht in Prosa, sondern in poetischer Form, also mit Metrum und Reim.

Um ein solches Lehrgedicht, nämlich zur islamischen Mystik, handelt es sich auch bei Rûmîs Masnavî. In diesem Werk erzählt Rûmî viele Geschichten – oft aus der schon Jahrhunderte vor ihm überlieferten Witz- und Anekdotenliteratur übernommen – und schließt dann die beabsichtigte Aussage an.

Doch andere Lehrgedichte in masnavî-Form enthalten keine solchen unterhaltenden Elemente, etwa solche aus dem Fachgebiet der Medizin. Dort diente die Versform vor allem als Gedächtnisstütze.

Immerhin läßt sich rhythmisch und in Reimen präsentiertes Material leichter auswendig lernen als Prosatexte. Das war zu Zeiten, als man weniger leicht an Literatur herankam als heute, durchaus wichtig. Man mußte viel mehr im Kopf behalten, weil die Möglichkeiten, etwas nachzuschlagen, nicht so allgegenwärtig gegeben waren.

Aber wie sieht so ein Text in masnavî-Form eigentlich aus? Um das zu sehen, müssen wir Übersetzungen bemühen, da diese Gedichtsform – anders als das Ghasel – nicht in Deutschland heimisch geworden ist.

Am bekanntesten sind die Übersetzungen eben aus Rûmîs Masnavî und aus den Werken anderer mystischer Dichter. Fachliteratur in masnavî-Form wird eher selten poetisch ins Deutsche übertragen.

Das Lied der Rohrflöte

Hier also eine Kostprobe aus dem Einleitungsabschnitt von Rûmîs Masnavî. Man nennt ihn das „Lied der Rohrflöte“, weil hier eine Rohrflöte als Symbol der menschlichen Seele zu Wort kommt und über ihre Trennung von der Ur-Heimat klagt.

Im Falle der Rohrflöte handelt es sich dabei um das Röhricht, aus dem sie stammt. Aber die menschliche Seele, für die sie symbolisch steht, sehnt sich in der Metapher des Röhrichts nach der Vereinigung mit Gott zurück:

Hör auf der Flöte Rohr, wie es erzählt
und wie es klagt, vom Trennungsschmerz gequält!

„Seit man mich aus der Heimat Röhricht schnitt,
weint alle Welt bei meinen Tönen mit!

Ich such ein Herz, vom Trennungsleid zerschlagen,
um von der Trennung Leiden ihm zu sagen.

Sehnt doch nach dem In-Einheit-Lebens-Glück,
wer fern vom Ursprung, immer sich zurück!

[…]

Kein Hauch, nein Feuer sich dem Rohr entwindet –
Verderben dem, den diese Glut nicht zündet!

Der Liebe Glut ist’s, die ins Rohr gefallen,
der Liebe Brausen läßt den Wein nur wallen.

[…]

In Leid sind unsre Tage hingeflogen,
und mit den Tagen Plagen mitgezogen;

Doch ziehn die Tage, laß sie ziehn in Ruh,
wenn du nur bleibst, der Reinen Reinster du!

[…]

(Rumi, Übers. Schimmel, mit Übernahmen von Hellmut Ritter, S. 23 u. 25)

Die Rohrflöte ist hier übrigens deshalb eine passende Metapher, weil ihr Klang klagend wirkt. Darauf wird auch zu Beginn des Abschnitts angespielt.

Auch im Deutschen heimisch – das Ghasel

Leichter gestaltet sich die Suche nach Beispielen beim Ghasel oder der Ghasele – beide Formen des Wortes existieren im Deutschen. Auch dieses Wort kommt aus dem Arabischen – sowohl auf arabisch als auch auf persisch heißt es ghazal. Das bedeutet in etwa „Liebesworte“ oder neudeutsch „Flirt“.

Gemeint ist eine lyrische Gedichtform, die sich wohl aus dem Einleitungsteil der längeren arabischen Qasîde entwickelt hat – einer Gedichtform, die vor allem für Lob und Schmähung verwendet wurde und einleitend meist Erinnerungen an eine verlorene Vergangenheit thematisiert, in der auch die Geliebte eine Rolle spielt.

Wie das Masnavî besteht auch das Ghasel aus aufeinander folgenden Halbverspaaren. Allerdings weicht das Reimschema ab: Nur die ersten beiden Halbverse reimen sich, danach zieht sich der Anfangsreim durch jeden zweiten Halbvers, während die ersten Halbverse jeweils unterschiedlich enden.

Seite aus einer Handschrift von Rûmîs Dîvân (um 1500)

Der Inhalt ist – wie die Bedeutung des Wortes schon vermuten läßt – hauptsächlich Liebesdichtung. Allerdings haben die großen persischen Dichter wie Sa’dî (Saadi, st. 1292), Rûmî und Goethes Dichter-„Zwilling“ Hâfez (Hafis, st. um 1390) die Liebeslyrik auch mit anderen Themen unterlegt.

In Ghaselen findet man deshalb spätestens ab dem 13. Jahrhundert auch in die Begriffe profaner Liebe gekleidete Schilderungen der mystischen Liebe zu Gott und Lobdichtung für Herrscher in Gestalt schwärmerischer Schilderungen der oder des Geliebten.

Besonders interessant ist aber, daß sich das Ghasel im 19. Jahrhundert auch im Deutschen als Reimschema eingebürgert hat. Deshalb kann man zu dieser Gedichtform nicht nur Übersetzungen aus orientalischen Sprachen, sondern auch originäre deutsche Gedichte finden.

Hoffmannsthal und Rückert: Ghaselendichtung auf deutsch

Dieses Beispiel originär deutscher Ghaselendichtung hier stammt von Hugo von Hoffmannsthal (st. 1874-1929):

In der ärmsten kleinen Geige liegt die Harmonie des Alls verborgen,
Liegt ekstatisch tiefstes Stöhnen, Jauchzen süßen Schalls verborgen;

In dem Stein am Wege liegt der Funke, der die Welt entzündet,
Liegt die Wucht des fürchterlichen, blitzesgleichen Pralls verborgen.

In dem Wort, dem abgegriffnen, liegt was mancher sinnend suchet:
Eine Wahrheit, mit der Klarheit leuchtenden Kristalls verborgen …

Lockt die Töne, sticht die Wahrheit, werft den Stein mit Riesenkräften!
Unsern Blicken ist Vollkommnes seit dem Tag des Sündenfalls verborgen.

(zitiert aus Wikipedia-Artikel „Ghasel“)

Da das Ghasel im 19. Jahrhundert auch unter deutschen Dichtern auf soviel Anklang stieß, ist es kein Wunder, daß der deutsche Dichter und Gelehrte, der die ansprechendsten Übersetzungen aus dem Persischen angefertigt hat, ebenfalls zu dieser Zeit lebte: Friedrich Rückert (1788-1866).

Unter Orientwissenschaftlern ist er für seine ästhetisch reizvollen, aber inhaltlich nicht immer korrekten Übertragungen aus mehreren Sprachen bekannt. Auch aus dem Arabischen hat er übersetzt, namentlich Teile des Korans.

Doch da wir uns hier für die Ghaselendichtung interessieren, stelle ich Ihnen die Übertragung eines mystischen Ghasels aus Rûmîs Dîvân vor:

Komm, komm! du bist die Seele, die Seele mir im Reigen.
Komm, komm! du bist die Ceder, die Ceder hier im Reigen.

O komm! Ein Quell des Lichtes entspringt aus deinem Schatten,
Und tausend Morgensterne sie tanzen dir im Reigen.

Hoch ist das Dach des Himmels, des siebenten, des höchsten;
Du ragest über alle mit heller Zier im Reigen.

Die Liebe hat mit Armen ergriffen mich am Nacken;
Ich halte dich ergriffen mit süßer Gier im Reigen.

Das Sonnenstäubchen tanzet, vom Licht der Sonn‘ ergriffen.
Licht, da du mich ergriffest, nicht mich verlier im Reigen.

Die Stäubchen kreisen schweigend, denn schweigend spricht die Liebe;
Mich schweigen lehret Liebe, so tanz‘ ich ihr im Reigen.

(Rumi in der Übersetzung von Friedrich Rückert 1819)

Vielleicht ist Ihnen aufgefallen, daß die Reime der Ghaselen sich noch aus einem weiteren Grund von denen des Masnavî-Gedichts unterscheiden: Hier enthält nämlich nicht immer das letzte Wort des Verses den Reim, sondern das vor- oder sogar drittletzte, während das letzte (und manchmal vorletzte) Wort nur wiederholt werden.

Tatsächlich wird es immer schwieriger, passende Reime zu finden, je weiter das eigentliche Reimwort im inneren des jeweiligen Halbverses liegt. Sie können es ja einmal ausprobieren, dann werden Sie es merken! Ich habe bisher noch keine solche Nachdichtung fertiggebracht. Es handelt sich also um ein Beispiel äußerst anspruchsvoller Dichtkunst.

Das ist durchaus typisch für die hochentwickelte persische Dichtung, die auch durch zahlreiche Konventionen geprägt ist. Doch auf deren Besonderheiten kommen wir ein anderes Mal zu sprechen.

Quelle

Dschelaluddin Rumi: Das Mathnawi: Ausgewählte Geschichten. Aus dem Persischen von Annemarie Schimmel. Mit Illustrationen von Ingrid Schaar. Basel: Sphinx, 1994. S. 23 u. 25.

Bildnachweis

Beitragsbild: Seite aus einer iranischen Handschrift von Rûmîs Masnavî (1479)
Quelle: Wikimedia Commons
Public domain/gemeinfrei

Frontispiz in einer iranischen Handschrift von Rûmîs Masnavî (1461):
Quelle: Wikimedia Commons
Public domain/gemeinfrei

Seite aus Rûmîs Dîvân aus der Bibliothèque nationale de France, Paris (um 1500)
Quelle: Wikimedia Commons
Public domain/gemeinfrei

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„Die Perle in Akbars Schatulle“- Akbars Nachkommen: einige Bemerkungen

Auf diesem Blog hatten wir uns schon in einigen Beiträgen zum Mogulherrscher Akbar (reg. 1556-1605) und dessen eigene Kindheit, die von seiner Amme („Milchmutter“) Mahâm Anga und seinen Ziehvätern Bairam Khân und Atga Khân geprägt war. In diesem Beitrag soll es um Akbars eigene Nachkommen und um das Leben im königlichen Harem, genannt zenâna (Frauengemächer).

Eines soll vorweg gesagt werden: die Herrschaft eines mittelalterlichen Herrschers war nicht auf die Monogamie ausgerichtet. Somit war es gleichsam selbstverständlich, dass ein (Mogul-)herrscher nach islamischem Recht vier Ehefrauen hatte,  also Ehefrauen, mit denen er nach islamischem Recht einen Ehevertrag (nikâh) abgeschlossen hat. Dazu zählten unter anderem seine Cousinen Ruqaiyya Begum und Salîma sowie die rajputanische Prinzessin aus Amber, Harka Bai, bekannt als Jodha Bai bzw. Maryam uz-Zamânî. Darüber hinaus gab es zahlreiche andere Frauen, die als Dienerinnen, Sklavinnen, Kriegsbeute oder Geschenk in den Harem kamen – eine Diskussion darüber soll allerdings an dieser Stelle nicht geführt werden, obwohl es natürlich dazu einiges zu sagen gibt. Neuere Forschungen zur Geschichte des zenâna zeigen aber, dass Frauen im königlichen Harem jedoch mehr Handlungsspielraum und Freiheiten und sogar politische Macht hatten. Vor allem die Mütter der Kinder eines Mogulkaisers erlangten einen hohen Status – dabei  war es egal, ob es sich bei der Kindsmutter um eine Dienerin oder um eine nach islamischem Recht angetrauten Ehefrau handelte.

Zu Beginn seiner Herrschaft, in seinen Zwanzigern,  führte Akbar ein „sexuell ausschweifendes Leben“. Obwohl ihm ja gemäß des islamischen Rechts vier „legale“ Ehefrauen zustanden, führt sein Biograf Abu l-Fazl sieben Frauen auf, mit denen er die Ehe geschlossen hatte. Später schloss er häufiger die islamische „Ehe auf Zeit“ (mut’a). Dazu kamen die Frauen, die er von seinen Eunuchen aus anderen zenânas suchen  und in seinen Harem bringen ließ. Dort lebten ca. 300 Frauen.

Trotz der großen Anzahl an (Ehe-)Frauen und Geliebten blieb Akbar lange ohne Nachkommen. 1561-62 kam Akbars älteste Tochter Fâtima zur Welt – ihre Mutter war wahrhrscheinlich Ruqaiya Begum. Das Mädchen überlebte nur wenige Stunden – wäre es aber wie von einigen Quellen behauptet, eine Totgeburt gewesen, hätte es aber wahrscheinlich keinen Namen erhalten. So bliebe Ruqaiya Zeit ihres Lebens kinderlos, doch sie wurde von Akbar persönlich mit der Erziehung seines Enkels Khurram (dem  Sohn Salîms und späteren Herrscher Shâh Dschahân betraut).

Knapp zwei Jahre nach der Geburt Fâtimas kamen zur großen Freude Akbars Zwillinge zur Welt, die vom Herrscher Hasan und Husain nannte.  Mutter war nach nach einigen Quellen Jodha (Maryam uz-Zamânî), nach anderen Quellen Bîbî Ârâm Baksh genau lässt sich das nicht klären. Die Geburt der beiden Prinzen  wurde mit großem Pomp gefeiert: Horoskope wurden erstellt, es gab große Feierlichkeiten. Bemerkenswert – vom islamwissenschaftlichen Standpunkt aus – ist übrigens die Tatsache, dass Akbar seinen ersten drei Kindern Namen gab, die vor allem im schiitischen Islam gebräuchlich sind und waren: Fâtima war die Tochter des Propheten Muhammad, ihre Söhne Hasan und Husain entstammten der Ehe mit ‚Alî, dem Begründer der Shî’a. Diese Namen trugen auch dem Einfluss der Iraner bei Hof, die vor allem durch Bairam Khân unterstützt wurden, Rechnung.

Leider erwiesen sich die Feierlichkeiten anlässlich der Geburt der männlichen Erben als  als verfrüht: die Zwillinge waren schwach und kränklich und verstarben beide innerhalb von 6 Monaten. Akbar stand nun wieder ohne einen männlichen Erben da. Erst als Akbar 27 Jahre alt war, wurde Salîm geboren, der männliche Erbe für den der Kaiser so lange gebetet hatte – und zwar am Schrein des Mystikers Salîm Chishtî (st. 1572). Auf die Verbindung Akbars  zur islamischen Mystik soll an anderer Stelle eingegangen werden.

Der neugeborene Prinz wurde zu Eheren Salîm Chishtîs ebenfalls Salîm genannt- und die Freudenfeiern am Hofe übertrafen noch die Feiern anlässlich der Geburt der Zwillinge: Horoskope wurden verfasst, Gefangene wurden freigelassen und zahlreiche Gedichte wurden verfasst.

Interessant ist auch, dass- wie erwähnt – üblicherweise in den Quellen keine Angaben vorliegen, wer die Mutter des Neugeborenen war. Im Fall von Salîm haben wir sogar eine Miniatur, die das Innere des Harems zeigt – und Maryam uz-Zamânî nach der Geburt Salîms. Diese Miniatur ist als Beitragsbild dieses Beitrages zu sehen

Abu l-Fazl, Akbars Biograph, bezeichnete Salîm als „die Perle in der Schatulle König  Akbars“ (jauhar-e durj-e Akbar Shâhî). Die Geburt von Akbars Söhnen Daniyâl und Murâd, die beide von anderen Frauen stammten, wurde in den Quellen nicht so euphorisch beschrieben. Murâd wurde im übrigen von Jodha aufgezogen, während Daniyâl von Salîma erzogen wurde.

In Abu l-Fazls Biographie, dem Akbar-nâma, sowie dem Jahângîr-nâma des späteren Herrschers Salîm finden sich Angaben zu insgesamt zwölf Kindern Akbars, aber es kann durchaus sein, dass diese Liste unvollständig ist.

Es gibt also durchaus die Notwendigkeit zur weiteren Forschung rund um Akbars Ehefrauen und Nachkommen.

Literatur:

Eraly, Abraham: The Last Spring. New Delhi 2000.

Faruqui, Munis D.: The Princes of the Mughal Empire. Cambridge 2012.

Mukherjee, Soma: Royal Mughal Ladies and Their Contributions. New Delhi 2001.

Das Beitragsbild ist Public Domain (Wikimedia Commons): The Birth of Jahângîr.

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Ein Überblick über unsere Beiträge zur Mogulgeschichte

Wer war eigentlich Rûmî?

Zur Zeit lese ich ziemlich viele Postings auf Twitter.  Dabei ist mir aufgefallen, daß besonders im Umfeld inspirierender Zitate zu den Themen Achtsamkeit und Lebensweisheiten überdurchschnittlich häufig Dschalâl ed-Dîn Rûmî (st. 1273) zitiert wird – meistens auf englisch. Aber auch in Deutschland ist er im entsprechenden Milieu sehr beliebt.

Dabei frage ich mich regelmäßig, wie vielen Menschen, die Zitate von ihm lesen und weitergeben, überhaupt bewußt ist, wer Rûmî war. Ob sie wissen, daß er Muslim und Mystiker war und daß die Zitate Übersetzungen aus seinen persischen Dichtungen sind? Wußten Sie es?

Besitzansprüche auf den Dichter

Tatsächlich streiten sich Afghanen, Iraner und Türken gelegentlich darum, wem Rûmî eigentlich „gehört“. Er wurde nämlich (vermutlich) in Balch geboren, und das liegt heute in Afghanistan, verbrachte aber einen Großteil seines Lebens in Konya in der heutigen Türkei und verfaßte seine Werke auf persisch.

Dorthin kam Rûmî, weil seine Familie beim Herannahen der Mongolen unter Dschingis Khân bereits um 1220 aus dem östlichen iranischen Kulturraum wegzog und sein Vater schließlich Ende der 1220er Jahre eine Lehrposition an der religiösen Hochschule (madrasa) in Konya angeboten bekam, der Residenz der damals herrschenden Rûm-Seldschuken (1077-1307).

„Rûm“ ist die arabische Bezeichnung für Ostrom oder Byzanz und wurde in dieser Form auch ins Persische übernommen.  Da er den größten Teil seines Lebens auf ehemaligem byzantinischen Gebiet und in unmittelbarer Nachbarschaft von Byzanz verbracht hat, ist „Rûmî“ unter eben diesem Beinamen bekannt geworden: „der aus Ostrom/Byzanz“.

Solche Beinamen, die auf den Herkunfts- oder Wohnort verweisen, waren in der islamischen Welt sehr häufig, und auch viele aktuelle Nachnamen gehen auf solche Zugehörigkeitsbezeichnungen zu Orten zurück. Falls Sie sich näher dafür interessieren, schauen sie doch einmal in meinen Beitrag zu traditionellen arabischen Namen!

Iraner nennen Rûmî übrigens eher Moulânâ (arabisch: maulânâ) – das bedeutet „unser Herr“ und war damals eine übliche Bezeichnung für Religionsgelehrte – oder davon abgeleitet Dschalâl ed-Dîn Moulavî. Auf türkisch spricht man das arabo-persische Moulavî anders aus. Dann klingt es so: Mevlevî.

Rûmî und die tanzenden Mevlevî-Derwische

Dieses Wort haben Sie vielleicht schon einmal gehört oder gelesen, denn es ist im Namen eines Derwischordens enthalten: dem der Mevlevi-Derwische, die besonders für ihren wirbelnden Derwischtanz berühmt sind. Er ist Teil des immateriellen UNESCO-Weltkulturerbes und geht wahrscheinlich direkt auf Rûmî selbst zurück, der seine mystischen Ghaselen in Ekstase beim Tanzen gedichtet haben soll.

Hier ist eines von vielen online verfügbaren Videos, die Ihnen einen Eindruck von diesem Tanz vermitteln können:

Iraner und Afghanen bevorzugen es aus naheliegenden Gründen, Rûmîs Herkunftsort Balch in seinen Namen aufzunehmen. Sie sprechen also eher von Dschalâl ed-Dîn Balchî (Rûmî), wenn sie nicht ohnehin Moulânâ oder Dschalâl ed-Dîn Moulavî sagen.

Das hängt mit den oben erwähnten Rivalitäten über die nationale Zugehörigkeit Rûmîs zusammen oder vielmehr über die Frage, welche Nation ihn für sich beanspruchen darf.

Wem „gehört“ Rûmî denn nun?

Würde man Rûmî selbst fragen, ob er ein afghanischer, iranischer oder türkischer Mystiker und Dichter sei, dann würde er nicht einmal die Frage verstehen. Schließlich gab es zu seiner Zeit weder die heutigen Staatsgrenzen noch das mit ihnen verbundene Verständnis von Nation und nationaler Identität.

Es ist also gänzlich unangemessen, heutige Vorstellungen von nationaler Zugehörigkeit auf einen mystischen Dichter des 13. Jahrhunderts zurückzuprojizieren und ihn auf dieser Grundlage für ein bestimmtes Land zu reklamieren.

Rûmî war gleichermaßen ein Produkt der persophonen Kultur seiner Zeit und ein Produzent von Teilen dieser Kultur, die weit über die Grenzen heutiger Länder wie Iran und Afghanistan hinausreichte – auch am Hof der turkstämmigen Rûm-Seldschuken wurde persisch gesprochen.

Diese Kultur ist das Erbe vieler heutiger Staaten und Nationen. Deshalb wäre es angemessener und sinnvoller, wenn deren Angehörige ihr gemeinsames Erbe als solches betrachten und es gemeinsam erforschen würden, statt sich über Besitzansprüche an Kulturschaffenden früherer Epochen zu streiten.

Grenzüberschreitende Botschaft

Doch es gibt noch einen anderen Grund, weshalb es nicht angemessen ist, Rûmî nur seiner Herkunftsregion und -kultur und der Sprache zuzuordnen, in der er sich ausdrückte. Ich finde zwar, man muß all das kennen, wenn man ihn wirklich verstehen will. Aber der Kern seiner mystischen Botschaft überschreitet diese Grenzen.

Es ist eine Botschaft, die von Liebe und dem Einswerdens mit dem Urgrund unserer Existenz handelt. Sie ist ausgedrückt im Vokabular einer bestimmten Sprache, Kultur und Epoche, aber sie spricht auch moderne Menschen überall auf der Welt an. Das ist der Grund, warum man mittlerweile überall im Internet auf Übersetzungen von Rûmîs Dichtung trifft.

Hier ein Beispiel aus seinem Dîvân – der Sammlung seiner Gedichte:

Durch Liebe ward das Bittre süß und hold,
Durch Liebe war das Kupfer reines Gold,
Durch Liebe ward die Hefe rein und klar,
Die Liebe bot der Krankheit Heilung dar,
Durch Liebe wird belebet, wer entschlafen,
Durch Liebe werden Könige zu Sklaven,
Die Liebe macht das tote Brot zur Seele,
Macht ewig die vergängliche, die Seele!
(Übers. Schimmel, Sieh!, S. 18)

Ob bei der breiten Rezeption heute Rûmîs ursprüngliche Aussageabsichten erhalten bleiben, ist eine andere Frage, die sich vielleicht zu erforschen lohnt. Immerhin war er nicht nur Mystiker, sondern auch ein herausragender Religionsgelehrter, der nach Ableben seines Vaters dessen Position an der Hochschule in Konya übernahm.

Wer seine Werke verstehen will, muß sich daher möglichst gut mit der Religionsgelehrsamkeit der damaligen Zeit auskennen, denn die hatte Rûmî „im Gepäck“. Daneben besteht natürlich das grundsätzliche Problem, daß gerade bei Dichtung in der Übersetzung wesentliche Aspekte verlorengehen.

Doch zumindest gibt es von Rûmîs großem Lehrgedicht, dem „Masnavî-ye ma’navî“, und von seiner Gedichtsammlung ansprechende Übersetzungsauszüge auf deutsch (s.u. Literatur). So kann man zumindest einen ersten Eindruck bekommen.

Dennoch finde ich: Bei dem Maß an Begeisterung, das Rûmî derzeit überall in der westlichen Welt entgegengebracht wird, müßten eigentlich viel mehr Menschen Interesse an der persischen Sprache haben, um die Originale genießen und die Aussagen richtig verstehen zu können. 😉

Mehr über die Inhalte und Besonderheiten der islamischen Mystik erzähle ich Ihnen ein anderes Mal in einem gesonderten Beitrag.

Literatur

Annemarie Schimmel: Rumi: Ich bin Wind und du bist Feuer. Leben und Werk des großen mystischen Dichters. Düsseldorf/Köln: Diederichs, 1978.

Dschelaluddin Rumi: Das Mathnawi: ausgewählte Geschichten. Aus dem Persischen von Annemarie Schimmel. Mit Illustrationen von Ingrid Schaar. Basel: Sphinx-Verlag, 1994.

Dschelaluddin Rumi: Sieh! Das ist Liebe: Gedichte. Aus dem Persischen von Annemarie Schimmel. Mit Illustrationen von Ingrid Schaar. Basel: Sphinx-Verlag, 1993.

Bildnachweis

Beitragsbild: Grab Rûmîs mit Turban
Quelle: Wikimedia Commons

Lizenz: Creative Commons 3.0

Urheber: Ahmed Nisar
unverändert übernommen

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„Ein ewiger Garten“ – Pflanzen Kaschmirs in den Memoiren Dschahângîrs

Dschahângîr (reg. 1605-1627), der vierte der großen Mogulherrscher, war der Sohn von Akbar und seiner dritten Ehefrau Jodha, bekannt als Maryam uz-Zamânî. Dschahângîr ist einer meiner Favoriten unter den Mogulherrschern, was vor allem an seinen Memoiren liegt. Der Herrscher beschrieb die ersten 17 Jahre seiner Herrschaft selbst – anschließend übernahm Mu’tamad Khân, später dann Muhammad Hâdî. Dschahângirs Memoiren, die auf Persisch verfasst wurden, waren als Tuzuk-e Dschahângîrî oder Dschahângîr-nâma („Memoiren Dschahângîrs“) bekannt. Schon im 19. und frühen 20.Jahrhundert wurde das Werk ins Persische übersetzt.

Das Besondere an den Memoiren ist, dass der Herrscher selbst seine Beobachtungen über Sitten und Gebräuche in Indien, vor allem aber über Naturphänomene, Pflanzen und Tiere Hindustâns machte. Im vergangenen Jahr hatte ich ja bereits über die Tulpen Kaschmirs gebloggt, von denen es in der Region zahlreiche wilde Arten gibt, und die auch heute noch in einer großen Ausstellung in Srinagar präsentiert wer

In seinen Memoiren berichtete Dschahângiîr, dass er bereits als Kind und Jugendlicher mit seinem Vater Akbar Kaschmir bereist hatte. Schon zu dieser Zeit sei er von den Pflanzen Kashmirs begeistert gewesen. Doch damals sei es Herbst gewesen, so dass er die Pflanzenwelt nicht in voller Blüte erlebt hatte. An vielen Stellen seiner Memoiren hatte Dschahângîr auf verschiedene Pflanzen hingewiesen, die es in der Heimat seiner Familie im heutigen Afghanistan nicht gab, in „Hindustân“ aber sehr häufig vorkamen, verschiedene Arten von Magnolien, Lotus oder Jasmin.

Besonders die Flora Kaschmir hatte es Dschahângîr angetan: So schrieb er:

Die Lotusblüte ist größer als die Seerose, und sie ist pink. In Kaschmir habe ich viele Lotusblüten mit hundert Blütenblättern gesehen. Es ist ein Fakt, dass der Lotus sich bei Tag öffnet und bei Nacht schließt, während die Seerose bei Tag geschlossen und bei Nacht geöffnet ist. Die schwarze Biene, die die Menschen in Indien bhaunra nennen, lassen sich auf beiden Blumen nieder und saugen den Nektar in ihnen. Die Lotusblüte schließt sich dabei häufig und nimmt die bhaunra darin die ganze Nacht gefangen. Das passiert auch bei der Seerose. Wenn die Blüten sich wieder öffnen können die Bienen entkommen und wegfliegen. Weil die bhaunra diese Blüten regelmäßig aufsucht, sagen die Hindi-Poeten, dass sie wie die Nachtigall sind, die die Rose liebt, und sie schreiben wunderschöne Gedichte darüber.

Tatsächlich finden sich einige Verse über die Schönheit der Natur Kaschmirs im Tuzuk-e Dschahângîrî – der Verfasser ist unbekannt, aber entweder stammen sie vom Herrscher selbst, oder ein unbekannter Schreiber hat sie ihm gewidmdet:

Die koketten Damen des Gartens stellen sich zur Schau, ihre Wangen verziert, jede wie eine Lampe / Die Knospen verströmen den Duft von Moschus von ihrer Haut, wie die moschusartigen Amulette am Arm der Geliebten / Die Melodie der Nachtigall, die sich zum Sonnenuntergang erhebt, schärft das Verlangen des Wein-Trinkers / An jeder Quelle senkt die Ente ihren Schnabel, um zu trinken – wie goldene Scheren, die Seide zerschneiden /  Ein Teppich von Blumen und Grün ist im Garten ausgelegt, die Lampe der Rose wird durch eine Brise entzündet / Das Veilchen hat die Enden ihrer xxx (????) aufgewickelt und dabei einen festen Knoten an der Rosenknospe angebracht (Übersetzung Wheeler, S. 332-333).

Dschahângîr war der Meinung, dass die schönsten Blüten Kaschmirs Pfirsich- und Mandelblüten sind.

Neben den Blüten und Blumen waren vor allem die Obstsorten Kaschmirs für den Herrscher erwähnenswert. Hier stellte er fest, dass vor allem die Äpfel und Birnen von bester Qualität waren, die Melonen aber nicht besonders gut.

Dschahângîr, der dem Konsum von Wein besonders zugetan war, fand den Wein aus Kaschmir „sauer“ und ungenießbar.

Das war aber auch das einzige, was Dschahângîr  an Kaschmirs Fauna kritikwürdig fand.

Der  Maler Ustad Mansûr war einer der bedeutendsten Maler am Hof Dschahângîrs – er zeichnete Hunderte von Pflanzen und Tieren, wie auch der Herrscher im Tuzuk-e Dschahângîrî hervorhob. Die Tier- und Pflanzenwelt Kaschmirs und natürlich Indiens insgesamt sind einige der schönsten Motive der Mogulmalerei.

Durch das Tuzuk-e Dschahângîri liegen und die Miniaturen liegen uns noch heute viele Informationen zu Pflanzen und Tieren der Mogulzeit vor, die anderweitig nicht (mehr) überliefert sind.

Das Beitragsbild zeigt eine Tulpe, gemalt von Ustad Mansur – aus dem frühen 17. Jahrhundert. Das Bild ist public domain.

Hier geht es zu einer kleinen Sammlung von Miniaturen von Ustad Mansur, die ich auf Pinterest  zusammengestellt habe.

https://www.pinterest.de/claudiapreckelg/ustad-mansur/

Lubia Polo (لوبیا پلو ) – Reis mit grünen Bohnen

Derzeit arbeite ich an einem weiteren Mogul-Beitrag für diesen Blog. Dieses Mal soll es zur Abwechslung darum gehen, wie einer der mächtigsten Mogulherrscher von seinem eigenen Sohn abgesetzt und für den Rest seines Lebens eingesperrt wurde – eine richtig reizende Familiengeschichte. Doch damit Sie nicht in den Moguln ertrinken möchte ich heute erst einmal etwas anderes dazwischenschieben:

Ich glaube, als ich das entschieden habe, war ich gerade hungrig. 😉 Und da ich selbst erheblich lieber esse als koche, habe ich ein Rezept für ein leckeres persisches Gericht von einem anderen Blog für Sie ausgesucht. Guten Appetit!

(Editiert von CP – da der ursprüngliche Link nicht mehr erreichbar ist)

Rezept hier

Akbars kultivierte Cousine: Salîma Sultân Begum (Jodha Akbar)

Mit diesem Beitrag über Akbars Cousine und dritte (Haupt-) Ehefrau Salîma Sultân Begum möchte ich meine kleine Serie über die Hauptfiguren der TV-Serie Jodha Akbar auf Zee One fortsetzen.

Salîma Sultân Begum war also nicht nur Akbars Cousine, sondern wurde auch seine Ehefrau. Die Rolle der Salîma wird in der Serie Jodha Akbar von Manisha Yadav verkörpert.

Die Ehe mit Bairam Khân

Neben seiner ersten Frau Ruqaiya Begum war Akbar demnach mit einer weiteren Cousine verheiratet. Ihre Mutter war Gulruch Begum („die mit den rosenfarbenen Wangen“), die Tochter des ersten Mogulherrschers Bâbur (st. 1530). Sie war somit auch eine Halbschwester von Humâyûn (st. 1556). Dieser verheirate Salîma mit  einem seiner besten Militärführer, Bairam Khân. Er war auch der Mentor und Erzieher des Prinzen Akbar. Bei der Heirat war Salîma 18 Jahre alt, Bairam Khân über 50 Jahre.

Interessant ist, dass im Akbar-nâma, der Biographie Akbars von seinem Schreiber Abû l-Fazl (st. 1602), in Bezug auf diese Heirat als „Fehler“ gesprochen wird. Dieses wirft natürlich einige Fragen über die Beziehung Akbars und Salîmas auf: Die beiden sind zusammen aufgewachsen. Hat Akbar mehr für seine Cousine empfunden? Hätte er eine Ehe mit Salîma der Verbindung mit seiner anderen Cousine Ruqaiya vorgezogen? Warum stand er der Ehe von Salîma und Bairam Khân negativ gegenüber, obwohl Bairam Khân doch sein Mentor war?

Die Heirat mit Akbar

Vor allem vor dem Hintergrund der späteren Ereignisse rund um die Entmachtung und Ermordung Bairam Khâns im Jahr 1561 könnte man folgendes hinterfragen: Warum nahm Akbar so schnell Bairam Khâns Witwe Salîma und ihren vierjährigen Stiefsohn Rahim (den späteren ‚Abd ur-Rahîm Khân Khân-e Khanân) an seinem Hof auf und heiratete seine Cousine – obwohl Bairam Khân ja in Ungnade gefallen war? Die Quellen geben einen Zusammenhang zwischen der Hochzeit mit Salîma und der Entmachtung Bairam Khâns nicht her.

In der Serie wird Salîma als sehr belesene, weise Königin dargestellt, die zwischen den beiden Konkurrentinnen Ruqaiya Begum und Jodha Bai vermittelt: So gerät  in einer Folge selbst der Herrscher Akbar zwischen die Fonten seiner rivalisierenden Gattinnen. Ruqaiya Begum möchte mit Akbar auf die Jagd gehen, um mehr Zeit mit ihm zu verbringen – Jodha hingegen fürchtet nach einem Attentat auf Akbar um dessen Leben und rät dem Herrscher davon ab, den Palast zu verlassen.

Salîma rät Akbar, die Bedenken der beiden anderen Gattinnen ernst zu nehmen – sie schlägt vor, dass Ruqaiya Begum gegen Akbar tschaughan (ein indischer Vorläufer von Polo) im Palast spielt. Dieses wird so gemacht, wie von Salîma vorgeschlagen. Auf die Frage von Jodha, wie Salîma denn auf ihre Ideen komme, antwortet sie, dass sie ihre politische Klugheit von Bairam Khân habe, der erfahren und weise gewesen sei.

Gebildete Ratgeberin

Unstrittig ist, dass Akbar auf Salîmas Ratschläge großen Wert legte und dass sie eine sehr belesene und gebildete Frau war. So sind zahlreiche Gedichte von ihr überliefert. Ihr diplomatisches Geschick legte sie an den Tag, als Akbar sich mit seinem und Jodhas Sohn Salîm (dem späteren Herrscher Dschahângîr) überwarf. Dschahângîr schrieb in seiner Autobiographie sehr viel Positives über sie.

Sieben Jahre nach ihrer Heirat brachte sie einen Sohn zur Welt, den zweiten überlebenden Sohn Akbars. Einige Quellen berichten allerdings, dass nicht Salîma, sondern eine Dienerin des Harems Sultân Murâds (1570-1599)  Mutter war.

1575 brach Salîma zusammen mit ihrer Tante Gulbadan Begum und zahlreichen anderen Fauen des Hofes zur Pilgerfahrt nach Mekka auf. Die Gruppe blieb über drei Jahre auf der Arabischen Halbinsel.

Salîma überlebte Akbar um acht Jahre, sie starb 1613 im Alter von etwa sechzig Jahren nach einer längeren Krankheit und wurde in den Mandakar Gärten in der Nähe Agras bestattet.

Beitragsbild:  Das Beitragsbild zeigt eine höfische Szene – es handelt sich um eine Abbildung, die wahrscheinlich der Schule von Bikaner entstammt.

Das Bild ist eine  Fotografie einer Miniatur, die ich im März 2017 in Delhi gekauft habe.

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Ein Überblick über unsere Beiträge zur Mogulgeschichte

Leichensektionen im muslimischen Mittelalter – Mehr Details

Es ist schon etwas länger her, daß ich mich aufgrund einer Diskussion hier auf dem Blog mit dem Thema Leichensektionen im muslimischen Mittelalter befaßt habe.

Damals habe ich eine erste Antwort auf die Frage gegeben, ob Leichensektionen im Mittelalter von Muslimen als verboten betrachtet und deshalb nicht durchgeführt wurden. Die Antwort lautete: Nein, es gab kein Verbot. Basis dafür war die Darstellung in einem Überblickswerk zur Medizin in der islamischen Kultur von Peter Pormann und Emilie Savage-Smith.

Der betreffende Abschnitt in diesem Werk ist allerdings sehr kurz und speist sich wesentlich aus einem zwar schon älteren, aber sehr ausführlichen Aufsatz von Emilie Savage-Smith. Deshalb wollte ich mir diesen Aufsatz einmal anschauen, um mehr Details zu erfahren. Hier sind die Ergebnisse.

Leichensektionen – vom religiösen Gesetz verboten?

Das Gerücht, daß Leichensektionen durch das religiöse Gesetz im Islam verboten seien, ist so verbreitet, weil man es auch in der Fachliteratur findet. Allerdings in der Regel ohne Angabe von Quellen, die ein solches Verbot bestätigen würden.

Es gab zwar Verstümmelungsverbote, aber andererseits wird in der islamischen Rechtsliteratur auch der Grundsatz vertreten, das Wohl der Lebenden sei wichtiger als die Unversehrtheit von Toten.

Ein regelrechtes Verbot der Sektion menschlicher Körper hat Emilie Savage-Smith in der islamischen Rechtsliteratur jedenfalls nicht gefunden. Ja, es gibt noch nicht einmal eine Diskussion über diese Frage.

Aber wie in der Wissenschaft üblich ist es nicht ganz so einfach und die Sache damit folglich auch noch nicht erledigt.

So räumt Savage-Smith ein, daß weite Teile der Rechtsliteratur noch nicht erforscht sind und man deshalb aus ihrem Befund keine sicheren Schlüsse ziehen kann. Aber Forschungsergebnisse sind ja immer vorläufig.

Auf der anderen Seite wurden Galens Äußerungen zur Leichensektion ins Arabische übersetzt und jahrhundertelang in der medizinischen Literatur weitertradiert. Dabei wurde seine Empfehlung zum praktischen Studium der Anatomie durch Sektionen nicht verändert oder kritisiert – was bei anderen, als anstößig empfundenen Punkten durchaus getan wurde.

In der medizinischen Literatur waren Leichensektionen also durchaus ein Thema, und hier wurden sie nicht als problematisch betrachtet. Allerdings gibt es eine Äußerung des Ibn an-Nafîs (st. 1288), der sowohl Mediziner als auch Rechtsgelehrter war, daß das religiöse Gesetz von Leichensektionen abschrecke.

Auch er spricht aber nicht von einem Verbot. Trotzdem deutet dies darauf hin, daß die tatsächliche Durchführung von Leichensektionen als problematisch empfunden wurde oder werden konnte. Dies könnte daran liegen, daß die Muslime von einer körperlichen Auferstehung am Jüngsten Tag ausgehen und nicht wirklich geklärt war, inwiefern sich Eingriffe an Leichen hierauf auswirken konnten.

Gleichzeitig kann eine Bemerkung in der Beschreibung des menschlichen Herzens von Ibn an-Nafîs so gedeutet werden, daß er womöglich selbst einen menschlichen Körper seziert hat. Sicher ist dies allerdings nicht.

Gab es tatsächlich Leichensektionen?

Momentan scheint die Frage, ob Muslime im Mittelalter Leichen seziert haben, noch nicht eindeutig geklärt zu sein. Verboten war es ihnen zwar nicht, doch man hatte offensichtlich Hemmungen.

Daß in der Rechtsliteratur nach bisherigem Erkenntnisstand überhaupt nicht über das Thema diskutiert wurde und daß in medizinischen Schriften keine eindeutigen Hinweise auf durchgeführte Sektionen zu finden sind, scheint das Fehlen einer Praxis nahezulegen. Oder die Praxis fand mehr oder weniger heimlich statt und wurde deshalb nicht beschrieben.

Mit anderen Worten: Wir haben kaum Anhaltspunkte dafür, daß Leichensektionen vorgenommen wurden, geschweige denn eindeutige Aussagen darüber.

Savage-Smith nennt neben religiösen Skrupeln mehrere mögliche Gründe hierfür:

  • Leichen verwesten im Klima der islamischen Kernländer sehr schnell, und entsprechend unangenehm war es, sie näher zu untersuchen.
  • Es gab innerhalb der Gerichtsbarkeit anscheinend kein Interesse daran, Leichen mit Blick auf die Todesursache zu untersuchen – was ebenfalls zur Entwicklung einer Sektionspraxis geführt hätte.
  • Die aus dem Griechischen übertragene anatomische Literatur war umfangreich und detailliert, so daß vermutlich kaum das Bedürfnis vorhanden war, sie durch eigene Forschungen zu ergänzen – obwohl Galen genau das empfohlen hat. Es fehlte also die praktische Notwendigkeit.

Fazit

Leichensektionen waren im muslimischen Mittelalter zwar nicht vom Religionsgesetz verboten. Aber man scheute sich dennoch, sie durchzuführen und hat dies vermutlich auch nicht als notwendig betrachtet. Wahrscheinlich sind Leichensektionen also selten oder nur heimlich durchgeführt worden – und über letzteres läßt sich nur schwer etwas herausfinden.

Literatur

Emilie Savage-Smith: „Attitudes toward dissection in medieval Islam“. In: Journal for the History of Medicine 1 (1995), 68-111.

Peter E. Pormann/Emilie Savage-Smith: Medieval Islamic Medicine. Edinburgh: Edinburgh University Press, 2007. S. 60.

Bildnachweis

Beitragsbild: Satz verschiedener Skalpelle
Quelle: Wikimedia Commons
Gemeinfrei/Public Domain

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Akbars skrupelloser Erzieher? – Bairâm Khân (Jodha Akbar)

Zwei Beiträge habe ich bereits über die TV-Serie Jodha Akbar geschrieben: einen zur Serie bzw. zu Jodha allgemein – und einen zu Akbars Amme Mâham Anga.

Im heutigen Beitrag geht es um eine weitere sehr wichtige historische Figur am Hofe Akbars: Bairâm Khân (ca. 1501-1561). In der Serie Jodha Akbar wird Bairâm Khân von Naved Aslam verkörpert.

Bairam Khâns Jugend

Bairâm Khân wurde ca. 1501 in Badachschan im heutigen Afghanistan geboren. Er stammte aus dem Clan der Qara-Qoyunlū-Turkmenen. Sein Vater war ein bekannter und wichtiger Militärführer, der sich dem ersten Mogulherrscher Bâbur angeschlossen hatte. Nachdem Bairâm Khân seine Ausbildung in den üblichen islamischen Disziplinen, aber auch in der Kampfkunst erhalten hatte, trat er – genau wie sein Vater – in Bâburs Dienste. Der Herrscher war von dem jungen Mann so beeindruckt, dass er ihn als Begleiter für seinen Sohn Humâyûn auswählte.

Humâyûns Ratgeber

Bairâm Khân begleitete Humâyûn nach Badachschan, wo der Prinz zum Gouverneur ernannt worden war. 1529 ging Bairâm Khân zusammen mit Humâyûn nach Indien, doch nachdem Bâbur 1530 gestorben war, gelang es Humâyûn nicht, die von Bâbur eroberten Herrschaftsgebiete dauerhaft  zu halten.

Stattdessen riß sein Rivale um die Macht, Schêr Schâh Sûrî, die Herrschaft an sich und besiegte Humâyûn.  Bairâm Khân ging zusammen mit dem gestürzten Herrscher ins Exil an den Hof des Safaviden-Schâhs – und war maßgeblich dafür verantwortlich, dass Schâh Tahmâsp sich überhaupt bereit fand, den gestürzten Mogulherrscher zu unterstützen.

Als Humâyûn vom Tod Scher Schâh Sûrîs hörte, startete er einen weiteren Versuch, das Mogulreich dauerhaft zu beherrschen und sogar noch zu vergößern. Bairâm Khân hatte einen großen Anteil daran.

Als Humâyûn 1556 starb, war sein Sohn Akbar erst 13 Jahre alt. Bairâm Khân wurde Akbars Regent und Lehrmeister. Er war – soweit wir die Quellen hier nachvollziehen können – stets ein loyaler Regent, der im Sinne Akbars und des Mogulreiches handelte.

Einige Miniaturen von Bairam Khân

https://de.pinterest.com/claudiapreckelg/bairam-kh%C3%A2n/

Gegner am Hof Akbars

Doch unter den anderen Mitgliedern der Hofelite war Bairâm Khân nicht beliebt. Ein Grund war schon seine Machtposition an und für sich, ein anderer, dass er Schiit war – und die Mehrheit des Hofstaates Sunniten.

Als Akbar 18 Jahre alt war, versuchte Akbars Amme Mâham Anga, die Macht für sich und ihren Sohn Adham Khân zu sichern. Sie sorgte dafür, dass Bairâm Khân entmachtet wurde – und Akbar nun selbst die Macht in den Händen hielt. Zunächst sah es aus, als ob Mâham Anga sich durchgesetzt hätte und Akbar nach ihrem Willen manipulieren könnte.

Bairâm Khân wurde vor die Wahl gestellt: Hauarrest im Palast oder die Pilgerfahrt nach Mekka anzutreten. Er wählte die Pilgerfahrt. Auf der Reise nach Mekka wurde er von einem afghanischen Krieger (einem Paschtunen)  ermordet. Dieser wollte Rache für den Tod seines Vaters nehmen, der fünf Jahre zuvor von Bairâm Khân getötet worden war.

Bairâm Khân war nicht nur mit dem Schwert geübt, er war auch ein bedeutender Dichter, der zahlreiche Gediche auf Persisch und Turkmenisch hinterließ. Durch seine Patronage kamen viele Dichter und Künstler an Akbars Hof. Auch in seiner religiösen Ausrichtung soll Bairâm Khân Akbar beeinflusst haben. Das Bild vom jähzornigen, blutdürstigen Soldaten, der auch Akbar negativ geprägt hat, ist in Frage zu stellen.

Salîma Sultân Begum

Eine Sache ist und bleibt jedoch so bemerkenswert, dass sie einen eigenen Beitrag in diesem Blog verdient hat: Bairâm Khâns zweite Frau war Salîma Sultân Begum, eine Cousine Akbars, mit der Bairâm Khân noch von Humâyûn verheiratet worden war. Nach Bairâm Khâns Tod heiratete Akbar selbst seine Cousine: Sie wurde seine dritte Frau nach Ruqaiya Begum und Jodha. Doch davon dann in einem anderen Beitrag.

Das Beitragsbild zeigt die Ermordung Bairâm Khâns nach einer Miniatur aus dem Akbar-nâma. Es ist gemeinfrei.

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Ein Überblick über unsere Beiträge zur Mogulgeschichte

„Das Kreuz über dem Halbmond“ – christliche Literatur in Indien (Ostern 2017)

Im Osterspecial 2015 hatte ich bereits einiges zur Rolle von Jesus in der islamischen Theologie geschrieben. Dann habe ich mich im Osterspecial 2016 mit den Oster-Feierlichkeiten am Mogulhof beschäftigt. Dieses Thema hängt unmittelbar mit der christlichen Missionierung unter den Muslimen Indiens zusammen, der ich mich im Osterspecial 2017 widmen möchte.

Dabei möchte ich einen der prominentesten christlichen Missionare des 19. Jahrhunderts in Indien zu Wort kommen lassen, ʿImâd ud-Dîn Lahiz (st. 1900). In diesem Beitrag geht es um die Darstellung der oft hitzig geführten Diskussionen im multi-religiösen Umfeld des kolinialen Indiens im 19. Jahrhundert. Warum konvertierte ʿImâd ud-Dîn schließlich? Wo sah er die Vorteile des Christentums gegenüber dem Islam?

Ich lasse ʿImâd ud-Dîn gleich selbst sprechen und zitiere aus seiner Autobiographie A Mohammadan Brought to Christ, Being the Autobiography of the Rev. ʿImad ud-Din, D.D. (London 1885), die schon früh aus dem Urdu ins Englische übersetzt wurde.

Doch zunächst ein paar historische Hintergrundinformationen: Die Missionierung Nordindiens war unter schwierigen Bedingungen gestartet. Nach der Eroberung der Malabar-Küste im Jahr 1498 begann der Jesuitenorden mit der Verbreitung der Heiligen Schrift in Südindien.

Anfänge christlicher Missionierung in Indien

Auf Einladung des Mogulherrschers Akbar (reg. 1556-1605) hielten sich drei Delegationen von Jesuiten längere Zeit am Mogulhof der Hauptstädte Delhi, Agra und Lahore auf, so dass sie den Einflussbereich katholischer Mission nach Nordindien und in das heutige Pakistan ausdehnen konnten.

Die Erfolge waren jedoch nur kurzfristig: die öffentlichkeitswirksame Konversion von drei Mogul-Prinzen in Agra 1610 hielt nur etwa zwei Jahre. Die Jesuiten zogen sich zeitweise aus Nordindien zurück.

Auch die Publikation christlicher Schriften in Indien blieb eingeschränkt.  Vor 1857 waren christliche Traktate zumeist illegal über die dänische Kolonie Serampore (Bengalen) in andere Gebiete Indiens gelangt. Die von zwei Briten betriebene Serampore Mission Press war zwischen 1800 und 1832 aktiv und druckte neben vielen anderen Traktaten in indischen Lokalsprachen im Jahr 1804 eine Bibelübersetzung.

Pfander, Kairânawî und die Kreuzigung Jesu

Agra blieb sowohl in der Mogulzeit als auch unter britischer Kolonialherrschaft ein Zentrum christlicher Mission Das war vor allem dem aus Württemberg stammenden Missionar  Carl Gottlieb Pfander (st. 1865) zu verdanken. Er führte 1854 in Agra eine große Debatte mit dem muslimischen Gelehrten Raḥmatullâh Kairânawî (st. 1891).

Dieser hatte in seiner Schrift Izhâr al-haqq behauptet, dass die Christen ihre eigenen Lehren verfälscht hätten: so sei doch im Barnabasevanglieum zu lesen, dass nicht Jesus, sondern Judas gekreuzigt worden sei. Diese Lehre decke sich mit der muslimischen Auffassung, dass nicht Jesus, sondern ein anderer gekreuzigt worden sei, da es für Muslime undenkbar sei, dass Gott die Kreuzigung seines Propheten Jesus zugelassen hätte.

ʿImâd ud-Dîns spirituelle Suche

Doch nun zurück zu ‘Imâd ud-Dîn! Er war als Zuhörer bei der Debatte zwischen Pfander und Kairânawî anwesend – und zwar auf der Seite der Muslime. Zwölf Jahre später (1866) konvertierte ʿImâd ud-Dîn zum Christentum – zusammen mit seinem Vater und seinem Bruder. Schließlich konvertierten auch ʿImâd ud-Dîns Ehefrau und seine vier Töchter und fünf Söhne.

Vorausgegangen war, wie ʿImâd ud-Dîn in seiner Autobiographie schreibt, eine lange Suche nach spiritueller Erkenntnis. ʿImâd ud-Dîn entstammte einer Familie von islamischen Gelehrten (maulvîs), die in Panipat (Haryana) zu Einfluss und Landbesitz gekommen waren. Der Landbesitz wurde allerdings von den Briten konfisziert.

Mit 15 Jahren ging ʿImâd ud-Dîn nach Agra, um dort seine Studien fortzusetzen. In dieser Zeit habe er noch keine Kontakte zum Christentum gehabt – aber er habe erste Zweifel am muslimischen Glauben bekommen, die er nach Diskussionen mit muslimischen Gelehrten beiseite gewischt habe.

Während seiner Ausbildung habe er die äußerlich zugänglichen Dinge (Exoterik) des Islam kennen gelernt, doch es habe ihm die Spiritualität gefehlt. Aus diesem Grunde habe er sich dem Sufismus zugewandt.

Unter der Leitung eines gewissen Wazîr Khân (Wuzeer Khán), der sich für eine heilige Person hielt, beschäftigte sich ʿImâd ud-Dîn mit der islamischen Mystik. Dabei habe es ihn besonders gestört, dass ihn die Muslime davon abgehalten hätten, die Thora oder die Bibel zu lesen.

Sogar Muhammad sei bereits bewusst gewesen, dass diejenigen, die das Wort des Herrn (i.e. die Bibel, C.P.) lesen würden, niemals den Koran akzeptieren würden (ʿImâd ud-Dîn, S. 10). Insgeheim, so berichtet ʿImâd ud-Dîn weiter, seien viele Muslime davon überzeugt, dass die Bibel Recht habe und dass Muhammad nicht der Vermittler der Religion sei. Doch aus gesellschaftlichem Druck solle man nach außen weiter Muslim bleiben.

Andere, so ʿImâd ud-Dîn, seien der Ansicht, dass das Christentum richtig und rational sei, aber sie verstünden das Konzept der Trinität (Dreifaltigkeit) nicht und blieben Muslime. Wiederum andere lehnten die Praktiken und Gewohnheiten der Christen ab. (S. 18)

Nach dieser Erkenntnis über den vermeintlichen Glauben vieler Muslime habe ʿImâd ud-Dîn den Beschluss gefasst, zum Christentum zu konvertieren. Er reiste nach Amritsar (Punjab) und ließ sich von R. Clark von der Church of England taufen.

Nach seiner Konversion verfasste ʿImâd ud-Dîn zahlreiche Werke über das Christentum. So kommentierte er zahlreiche Bibelverse. Zuvor hatte er eine Übersetzung des Qur’ân ins Urdu vorgelegt. Außerdem setzte er sich in einigen Werken mit der neu entstandenden Bewegung der Ahmadiyya auseinander.

Am Ende seiner Autobiographie beschreibt ʿImâd ud-Din die Auswirkungen seiner Konversion auf sein Leben (S. 20):

Seit ich die Gnade unseres Herrn Jesu Christ erfahre, erlangte ich sehr viel spirituelle Befriedigung. Die vorherige Aufruhe und Unruhe sind vergangen. Mein Gesicht ist nicht mehr so bleich wie zuvor. Zudem erfahre ich nicht mehr diese große Angst in meinem Herzen. Durch die Lektüre von Gottes Wort habe ich große Lebensfreude erfahren. Nur noch ganz wenig ist übrig von der Krankheit der Furcht vor dem Tod und dem Grab, und ich bin glücklich mit dem Herrn. Durch seine Gnade erfahre ich spirituellen Fortschritt. Der Herr gibt Frieden im Herzen.

ʿImâd ud-Dîn war als Missionar unter den Muslimen Indiens besonders bedeutsam, weil er auf Arabisch, Persisch und Urdu schrieb und sich mit der islamischen Theologie mehr als sehr gut auskannte. Seine Werke wurden u.a. in Ludhiana gedruckt.

Insgesamt ist die christliche Literatur des 19. und 20. Jahrhunderts auf Urdu noch nicht vollständig erschlossen worden – hier wäre es interessant zu schauen, auf welche Weise christliche Missionare versuchten, auf Arabisch, Persisch und Urdu Konzepte wie die Dreifaltigkeit oder das Wesen Jesu zu erklären.

In diesem Sinne wünsche ich allen, die es feiern

Frohe Ostern!

Das Beitragsbild stellt ʿImad ud-Dîn dar. Es steht unter der Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported.

Falsche Propheten und ihre Beglaubigungswunder – etwas zum Lachen

Heute gibt es hier auf dem Blog nach längerer Zeit endlich mal wieder etwas zu lachen. 😉 Ich bin nämlich heute gut gelaunt. Also sollen Sie auch eine Freude haben.

Dafür habe ich einen Witz aus der Sammlung von Fachr ed-Dîn ʿAlî-ye Safî (mehr zu ihm in diesem Beitrag) ausgewählt, der ein häufiger vertretenes Thema aufgreift: angebliche Propheten. Das sind Menschen, die behaupten, von Gott gesandte Propheten zu sein, was für Muslime natürlich hochproblematisch ist, denn:

Eine Frau beanspruchte vor dem Kalifen Vâseq (auf arabisch: al-Wâthiq, SK) Prophetentum. Vâseq fragte sie: „War Mohammad ein Prophet?“ Antwort: „Aber ja.“ Der Kalif sagte: „Da er gesagt hat: Es gibt keinen Propheten nach mir (lâ nabiyya ba’dî), ist dein Anspruch also nichtig.“ Die Frau entgegnete: „Er hat gesagt: Es gibt keinen Propheten nach mir, er hat nicht gesagt: Es gibt keine Prophetin nach mir (lâ nabiyyata ba’dî)!“ (ʿObeyd-e Zâkânî, S. 272)

Propheten nach Mohammad sind also nicht vorgesehen, auch wenn die Dame in diesem Witz mit ihrer Haarspalterei natürlich irgendwie recht hat. Witze über angebliche Propheten setzen also beim Leser oder Hörer voraus, daß er oder sie sich darüber klar ist: Man braucht überhaupt nicht in Erwägung zu ziehen, daß tatsächlich ein neuer Prophet auftreten könnte.

In Witzen zu diesem Thema werden die angeblichen Propheten deshalb des öfteren als Menschen dargestellt, die aus irgendeinem Grund den Verstand verloren haben. Vom Typ her sind es meistens Schlagfertigkeitswitze wie auch der Witz über die angebliche Prophetin – die ja nicht um eine Antwort verlegen ist.

Daß diese Witze, auch wenn sie in viel späteren Sammlungen aufgezeichnet wurden, praktisch immer im Milieu der Abbasidenkalifen von Bagdad spielen, hat vermutlich einen triftigen historischen Grund.

Die Abbasiden waren nämlich die letzte allgemein anerkannte Kalifendynastie, die bis 1258 in Bagdad residierte (s. auch meine kurze Geschichte des Kalifats). Im 14. und 16. Jahrhundert, als Safîs und ʿObeyd-e Zâkânîs Anekdotensammlungen entstanden sind, gab es nur noch ein Schattenkalifat in Kairo.

Noch wichtiger dürfte aber sein, daß die Abbasiden phasenweise versuchten, tatsächlich religiöse Deutungshoheit für sich und ihr Amt zu beanspruchen.  Da boten sie sich natürlich als Schiedsrichter auch in fiktiven Geschichten über angebliche Propheten an.

Diese Ansprüche erhoben die Abbasiden übrigens insbesondere im 9. Jahrhundert. Und nun schauen Sie mal, wann die hier in den Witzen genannten Abbasidenkalifen regiert haben…

Jetzt habe ich Sie aber lange genug hingehalten. Hier ist endlich der Witz aus Safîs Sammlung:

Jemand kam zu Moʿtasem (arab.: al-Muʿtasim) und behauptete, ein Prophet zu sein. Der Kalif fragte: „Was ist dein Beglaubigungswunder (moʿdscheze, arab.: muʿdschiza)?“ Antwort: „Ich mache Tote wieder lebendig.“ Darauf Moʿtasem: „Wenn du dieses Beglaubigungswunder vollbringst, schließe ich mich dir an!“ Der angebliche Prophet: „Bringt ein scharfes Schwert her!“

Moʿtasem befahl, sein persönliches Schwert herbeizubringen und dem angeblichen Propheten zu übergeben. Der sagte: „O Kalif, ich werde in deiner Gegenwart deinen Wesir köpfen und dann sofort wieder zum Leben erwecken.“ Der Kalif sagte: „Gut.“ Dann wandte er sich seinem Wesir zu und fragte: „Was sagst du dazu?“

Der Wesir erwiderte: „O Kalif, sich töten zu lassen ist eine harte Sache, und ich fordere kein Beglaubigungswunder von ihm. Sei du mein Zeuge, daß ich mich zu ihm bekehrt habe!“

Moʿtasem lachte, schenkte ihm ein Ehrengewand und schickte den angeblichen Propheten ins Krankenhaus. (Safî, S. 99)

Erklärungsbedürftig ist hier wahrscheinlich nur das Beglaubigungswunder (moʿscheze/muʿdschiza).

Anders als etwa die Wundertaten von Mystikern, die man als „Gnadengaben“ (karâmât) bezeichnet, sollten die Beglaubigungswunder der Propheten nicht versteckt werden. Sie dienten nämlich dazu, die göttliche Sendung des Propheten zu bestätigen, daher die Übersetzung „Beglaubigungswunder“. Es gibt im Islam also verschiedene Wunderkategorien, die jeweils eigene Bezeichnungen tragen.

Solche zweischneidigen Angebote der angeblichen Propheten, ein Beglaubigungswunder zu wirken, kommen übrigens auch in anderen Witzen dieses Typs vor. Das hier wird also nicht der letzte sein, den ich Ihnen erzählt habe. 🙂

Quellen

Zâkânî, Nezâm od-Dîn ʿObeydollâh: Kolliyyât-e ʿObeyd-e Zâkânî šâmel-e qasâyed, ghazaliyât, qataʿât, robâʿiyyât, masnaviyyât. Hg., komm. u. mit einer Übers. der arab. Teile versehen v. Parvîz-e Atâbakî auf Grundlage der Version von ʿAbbâs-e Eqbâl und anderer Handschriften. 2. Aufl. Tehrân: Zavvâr, 1343 š./1964-5. S. 272.

Safî, Fachr od-Dîn ʿAlî b. Hoseyn Vâ’ez-e Kâschefî: Latâ’ef ot-tavâ’ef. Hrsg. v. Ahmad-e Goltschîn-e Ma’ânî. 4. Aufl. Tehrân: Eqbâl, 1362 sch./1983. S. 99.

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