Dass Konflikte zwischen Vater und Sohn sehr unschön eskalieren können, hat schon das Beispiel von Ödipus in der griechischen Tragödie gezeigt. Unzählige Beispiele in der realen Geschichte oder der fiktionalen Literatur demonstrieren, dass Vater-Sohn-Konflikte an einem Fürstenhof sogar in einem Krieg enden können – Akbar und sein Sohn Salîm, der spätere Mogulkaiser Jahângîr, waren eines dieser Beispiele.
Einer der berühmtesten Filme Bollywoods (wie ich meine: DER beste Film Bollywoods überhaupt), nämlich Mughal-e Azam (Regie: K. Asif), macht für die kriegerischen Auseinandersetzungen eine Frau verantwortlich: Anârkalî.
Mughal-e ‘Azam
Hier ist die Handlung des großartigen Filmes aus dem Jahr 1960: Der Mogulkaiser Akbar (Prithviraj Kapoor) hat alles, was ein Mensch haben möchte: Geld, Macht, mithilfe eines fähigen Militärs und einer effektiven Verwaltung herrscht er über ein großes Reich. Doch eine Sache fehlt ihm: ein männlicher Erbe. Mit seiner rajputischen Ehefrau Jodha Bai (Durga Khote) macht Akbar sich auf zu einer Pilgerfahrt zu Salîm Chishtî. Jodha wird tatsächlich schwanger und verbleibt bis zur Geburt des Sohnes bei Salîm Chishtî. Von einer Dienerin erfährt Akbar in Agra von der Geburt seines Sohnes, den er zu Ehren Salîm Chishtî Salîm nennt. Der Dienerin übergibt Akbar aus Freude über die Nachricht einen Ring und das Versprechen, eines Tages einen Wunsch freizuhaben.
Jahre später ist aus Salîm (großartig: Dilip Kumar) ein selbstsüchtiger, Alkohol und Opium konsumierender Kronprinz geworden. Akbar missfällt das Verhalten seines Sohnes. Er betraut ihn mit einer großen militärischen Mission. In der Tat ist Akbars Plan erfolgreich: Saliîm ist erwachsener und verantwortungsvoller geworden, als er an den Hof nach Agra zurückkehrt. Doch dann entdeckt er Anârkalî (noch großartiger: Madhubala), eine der Kurtisanen und Tänzerinnen von Akbars Harem. Er beginnt eine Beziehung mit Anârkalî (wörtlich: die Blüte des Granatapfels), wodurch er ein direkter Konkurrent seines Vaters wird. Salîm möchte Anârkalî heiraten, doch Akbar verbietet dieses. Daraufhin erklärt Akbar seinem Vater den Krieg – den er allerdings verliert. Akbar verurteilt seinen Sohn zum Tode. Anârkalî bietet Akbar an, sich für Salîm zu opfern, allerdings unter der Bedingung, dass sie als Akbars (angebliche) Ehefrau mit ihm eine letzte Nacht verbringen darf. So geschieht es: Anâkalî verabreicht Salîm Opium, verbringt eine Nacht mit ihm. Kurz bevor das Todesurteil vollstreckt wird, wird Akbar daran erinnert, dass er Anârkalîs Mutter ein Versprechen gegeben hat. Im letzten Moment entkommen Anârkalî und ihre Mutter. Sie leben ihr Leben außerhalb des Mogulreiches, ohne jemals wieder in Kontakt mit Salîm zu treten.
Geschichte oder Fakten?
Der Film beruht auf einem Theaterstück, das bereits 1922 von Imtiâz ‚Alî Tâj geschrieben wurde. Der berühmte Dichter ‚Abdul Halîm Sharâr (st. 1926) schrieb die Geschichte von Anârkalî erstmals auf.
Gibt es eigentlich Fakten, auf denen Geschichte, Theaterstück und Film beruhen? Ist eine historische Figur mit dem Namen Anârkalî bzw. Nadîra oder Sharaf un-Nisâ‘, wie ihr eigentlicher Name gewesen sein soll, belegt? Ganz klar: NEIN!
In den persischen Quellen, das heißt den Memoiren Akbars oder Jahahângîrs, finden sich absolut keine Hinweise auf die Anârkalî-Legende.
Es gibt nur einen Hinweis auf die Anârkalî-Geschichte: das Grabmal von Anârkalî in Lahore. Dieses wird vom Historiker Syad Muhammd Latif in seinem Buch Lahore: Its History, Antiquities and Remains von 1892 ausführlich beschrieben. Aber auch Latif nennt keine persischen Original-Quellen. Für ihn ist die persische Inschrift im Grabmal genug Beweis für die Legende, die im Übrigen von zwei britischen Reisenden überliefert wurde. Die Inschrift ist ein Vers von „Salîm Akbar“, der sich als Majnûn „(Liebes-)Verrückt bezeichnet. Der Vers lautet in deutscher Übersetzung:
Ah! Wenn ich das Gesicht meiner Geliebten noch einmal sehen könnte, würde ich dem Allmächtigen Gott bis zum Tag des Jüngsten Gerichtes danken.
Insgesamt beschreiben Historiker mehrere mögliche Varianten der Anarkalî-Legende, die alle weder bestätigt noch ausgeschlossen werden können.
- Anârkalî war nicht nur eine einfache Kurtisane und Tänzerin, sondern sogar die Mutter von Salîms Halbbruder Daniyâl. Diese Variante ist unwahrscheinlich.
- Anârkalî wurde lebendig in den Mauern des Forts von Lahore eingeschlossen und starb. Salîm ließ voller Verzweiflung das Grabmal errichten.
- Anârkalî konnte aufgrund der Bitten ihrer Mutter entkommen und lebte außerhalb des Mogulreiches, ohne jemals wieder Kontakt zu Salîm haben.
- Anârkalî floh mit ihrer Mutter aus dem Mogulreich. Nach Akbars Tod im Jahr 1605 holte Salîm, nun Jahângîr, Anârkalî aus dem Exil und gab ihr als Nûr Mahal (Licht des Palastes) bzw. Nûr Dschahân (Licht der Welt) eine neue Identität.
Aber wie gesagt: Es gibt wieder einmal keine Beweise für die eine oder andere Variante. Das ist aber nicht relevant, um diesen tollen Film und natürlich auch die Serie Jodha Akbar weiter zu schauen!
Die Legende ist wieder ein Beweis, warum es so schwierig ist, über Mogulgeschichte zu bloggen!
Hier gibt es einen Überblick über alle Beiträge zur Mogulgeschichte.
Das Beitragsbild zeigt Jahâhgîr mit einem Porträt seines Vaters Akbar, der die Welt in den Händen hält. Das Bild ist aus den 1640er-Jahren und unterliegt der Wikimedia Commons License.
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