Nouruz Teil 2: Die Geschichte in vorislamischer Zeit

Miniserie zum iranischen Neujahrsfest

Teil 1: Erste Vorbereitungen
Teil 3: Das „Haft-Sîn“-Special zum Jahreswechsel

Teil 4: Die Geschichte nach der muslimischen Eroberung

Bei meinen Recherchen zur Geschichte von Nouruz in vorislamischer Zeit hat sich gezeigt, daß Nouruz ein unerwartet kompliziertes Thema ist.

So widmet Mary Boyce dem Thema in der Encyclopaedia Iranica einen langen und etwas verwirrenden Artikel. Vermutlich liegt das daran, daß sie ausführlich für ihre Theorien argumentiert. Sie versucht, die Anfänge des Festes von Zarathustra über die Achämeniden, Arsakiden und Sassaniden bis in die Zeit nach der islamischen Eroberung Irans und ins 20. Jahrhundert hinein nachzuvollziehen. Die größte Schwierigkeit dabei ist, daß man für die Zeit vor der islamischen Eroberung mit (zum Teil sehr viel) späteren Quellen arbeiten muß. Das führt natürlich auch zu weitreichenden Schlüssen aus spärlichen Hinweisen.

Das sieht dann so aus: Es gibt ein neupersisches Versepos mit dem Titel „Vîs-o Râmîn“, das Fakhr od-Dîn As’ad-e Gorgânî im 11. Jahrhundert verfaßt hat. Die Geschichte stammt aber aus der Zeit der Arsakiden. In dem Epos aus dem 11. Jahrhundert werden die Nouruz-Feierlichkeiten wie folgt beschrieben: Ein königliches Bankett wird im Freien unter blühenden Bäumen abgehalten, man hört Musik und trinkt Wein, und auch die Untertanen feiern draußen mit Wein und Musik, tanzen und pflücken Blumen. An den Folgetagen reitet der König in prächtigem Gefolge aus und verteilt großzügige Spenden. Natürlich ergibt das eine plastische Vorstellung des Nouruz-Festes, das im Epos als „Frühlingsfest“ (bahâr-dschaschn) bezeichnet wird. Nur, so merkt Boyce an, müßte Nouruz am ersten Tag des ersten Monats des Jahres in der Arsakidenzeit bereits im Winter oder Herbst stattgefunden haben, jedenfalls aber nicht mehr im Frühjahr. Der Kalender der alten Iraner hatte nämlich 365 Tage und keine Schaltjahre. Nouruz wanderte somit rückwärts durch die Jahreszeiten: alle vier Jahre einen Tag nach hinten im Vergleich zu unserem Kalender – und mit Blick auf den Sonnenstand. Es liegt also nahe, daß die Beschreibung in „Vîs-o Râmîn“ aus dem 11. Jahrhundert oder zumindest nicht aus der Zeit der Arsakiden stammt. Da das Bankett aber wichtig für die Geschichte ist, sei es wahrscheinlich doch Teil des Originals. Ausgehend von dieser Annahme und weiteren Beobachtungen unterbreitet Boyce dann ihre Theorie der zwei Nouruz-Feiern.

Boyce ist der Meinung, daß sich mit der Zeit ein säkulares Nouruz-Fest zur Frühjahrs-Tagundnachtgleiche (nach unserem Kalender am 21. März) neben dem religiösen Nouruz-Fest herausgebildet habe, das immer am ersten Tag des ersten Monats eines neuen Jahres stattfand, aber durch die Jahreszeiten wanderte. Wie sich das im Detail entwickelt haben soll, ist Gegenstand des Iranica-Artikels. Die Legenden über einen Zusammenhang zwischen dem legendären König Dschamschid und der Entstehung des Nouruz-Festes hätten sich dann mit dem säkularen Frühjahrsfest verbunden. Später sei dann das religiöse Nouruz-Fest ins Frühjahr gelegt worden, während die Herrschaftsjahre weiterhin mit dem ersten Tag des ersten Monats Farvardin begonnen hätten.

Dagegen lehnt Simone Cristoforetti in seinem Artikel – ebenfalls in der Encyclopaedia Iranica – die nach seiner Auffassung veraltete Theorie von den beiden Nouruz-Festen ab. Es gebe lediglich für das Nouruz-Fest am ersten Tag des ersten Monats (also am Tag Hormoz des Monats Farvardin) tatsächlich Belege. Wir haben hier also den interessanten Fall vor uns, daß zwei Enzyklopädie-Artikel in derselben Enzyklopädie mit letztem Update aus demselben Jahr (nämlich 2009) gegenläufige Ansichten darlegen. Cristoforetti hält sich an die tatsächlich belegten und einigermaßen gründlich erforschten Informationen, die recht übersichtlich bleiben: Nouruz wanderte demnach durch die Jahreszeiten und wurde hie und da auf Betreiben eines Herrschers fixiert. Am wichtigsten ist die Kalenderreform des Seldschukenherrschers Dschalâl od-Dîn Malekschâh (regierte 1072-92). Der Dschalâlî-Kalender ist ein sehr genauer Sonnenkalender. Nouruz wurde in diesem Kalender auf die Frühjahrs-Tagundnachtgleiche gelegt. Dieses fixierte Nouruz-Datum wird auch „Nouruz-e dschalâlî“, also „Dschalâlî-Nouruz“ genannt. Trotzdem hielten sich aber die Zoroastrier (oder einige von ihnen) weiterhin an den alten Kalender, und es scheint heute unterschiedliche Gruppierungen mit unterschiedlichen Kalendern zu geben.

Ein „großes“ Nouruz (nouruz-e kabir oder bozorg) am sechsten Tag des ersten Monats Farvardin wird in muslimischen Quellen übrigens auch erwähnt. Man weiß aber nicht so recht, was es damit auf sich hat. Außerdem gibt es noch andere Tage, die als „Nouruz“ bezeichnet werden und in unterschiedlichen Regionen auf unterschiedlichen Daten liegen. Auch sie sind bisher nicht ausreichend erforscht worden. Ebenso liegt der Ursprung der dreizehn Tage, die das Fest heute dauert, noch im dunkeln: Es gibt in den Quellen Hinweise auf ein siebentägiges Fest im 17. Jahrhundert und auf ein zwölftägiges Fest im 10. Jahrhundert. Und Mary Boyce nennt achtzehn Tage für das religiöse Nouruz seit der Achämenidenzeit.

Zum Ablauf der Feierlichkeiten gibt es offenbar auch kaum zeitgenössisches Material aus der vorislamischen Zeit. Wiederum eine muslimische, also deutlich spätere Quelle berichtet, daß die Sassanidenkönige zu Nouruz Geschenke von anderen Herrschern und auch von den Untertanen erhielten. Dieselbe Quelle berichtet von Gegenständen, die den Königen präsentiert wurden. Hier spielten die Zahl Sieben und die Farbe Weiß (Farbe der Reinheit) eine wichtige Rolle. So soll man den Sassanidenherrschern, zum Beispiel, sieben weiße Münzen mit dem Prägestempel des Jahres überreicht haben. Bîrûnî – ein bekannter muslimischer Universalgelehrter des 10./11. Jahrhunderts – weist auf sieben Getreidesorten hin, die zu Nouruz angepflanzt wurden und aus deren Wachstum man auf die bevorstehende Ernte schloß.

Die Zahl Sieben und das angepflanzte Getreide ist aber schon fast alles, was die älteren Nouruz-Bräuche mit dem heute üblichen „Haft-Sîn“ verbinden. Auch die heute noch in Iran lebenden Zoroastrier haben andere Gepflogenheiten – oder hatten sie jedenfalls noch im 20. Jahrhundert, als Mary Boyce ihre Feldforschungen durchführte. Das Speisetuch oder der Tisch mit den sieben Gegenständen, die mit einem „sîn“ (einem scharfen „s“) beginnen, ist wohl erst sehr spät aufgekommen. Möglicherweise erst im 20. Jahrhundert. Doch dazu mehr in meinem „Haft-Sîn-Special“ zum iranischen Jahreswechsel.

Für heute soll ein Update unserer „Haft-Sîn“-Vorbereitungen genügen: Die Linsensprossen haben sich in der vergangenen Woche wider Erwarten doch ordentlich entwickelt, und wir hoffen, daß sie bis Donnerstag eine hübsche Dekoration abgeben werden:

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Vielleicht besteht ja doch noch Hoffnung für die nächste Ernte! 😉
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Quellen

Mary Boyce: „Nowruz i. In the Pre-Islamic Period“, Encyclopaedia Iranica, online edition, letztes Update 2009, abrufbar unter www.iranicaonline.org/articles/nowruz-i (zuletzt abgerufen am 16.03.2014).

Simone Cristoforetti: „Nowruz iii. In the Iranian Calendar“, Encyclopaedia Iranica, online edition, letztes Update 2009, abrufbar unter www.iranicaonline.org/articles/nowruz-iii (zuletzt abgerufen am 16.03.2014)

A. Shapur Shahbazi: „Haft Sin“ Encyclopaedia Iranica, online edition, 2002, letztes Update 2012, abrufbar unter www.iranicaonline.org/articles/haft-sin (zuletzt abgerufen am 16.03.2014)

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