Nouruz Teil 4: Die Geschichte nach der muslimischen Eroberung

Miniserie zum iranischen Neujahrsfest

Teil 1: Erste Vorbereitungen
Teil 2: Die Geschichte in vorislamischer Zeit
Teil 3: Das „Haft-Sîn“-Special zum Jahreswechsel

Bevor sich die Nouruz-Feiertage mit dem Sîzdah be-dar in ein paar Tagen dem Ende zuneigen, möchte ich heute den letzten Teil meiner diesjährigen Nouruz-Serie nachschieben.

Zunächst ist die Frage naheliegend: Wieso hat man Nouruz in der Zeit nach der muslimischen Eroberung Irans überhaupt weiter gefeiert?  Schließlich war es ein zoroastrisches Fest und auch verbunden mit Macht und Pracht der vorislamischen Könige. Nun gab es aber neue Herrscher, und nach und nach wurden immer mehr Iraner Muslime. Da hätte dieses Fest schon in Vergessenheit geraten können.

Wenn wir dem EIr-Artikel (wiederum von Shahbazi) glauben wollen, dann war es gerade die mit Nouruz verknüpfte Erinnerung an die Macht der vorislamischen Könige Irans, die das Fest für die neuen Machthaber attraktiv machte. So feierten schon die Umayyaden– und Abbasidenkalifen Nouruz, und die späteren Regionalherrscher auf dem Gebiet der Persophonie ebenso wie die iranischen Dynastien der Neuzeit behielten das bei. Die Herrscher nutzten diese Gelegenheit, um durch die Zeremonien des Festes ihr Ansehen zu erhöhen und sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen. Letzteres war bei rein religiösen Feiern wohl schwieriger.

Quellen zu Nouruz-Feiern in islamischer Zeit sind beispielsweise Geschichtswerke, auch Lokalgeschichten, und literarische Werke einschließlich Gedichtsammlungen. Meistens findet man dort Informationen über die höfischen Bräuche. Bekannte Autoren, aus deren Werken unsere Informationen über Nouruz vor der Neuzeit stammen, sind, zum Beispiel, der Literat Dschâhiz (st. 869) und der Universalgelehrte Bîrûnî (st. 973). Auch dem hauptsächlich als Dichter von Vierzeilern bekannten Gelehrten ‚Omar Khayyam (st. ca. 1131) wird ein „Nouruz-Nâme“ („Buch über Nouruz“) zugeschrieben. Es stammt aber nicht wirklich von ihm und wird deshalb als „Pseudo-Khayyam“ bezeichnet.

Über die jüngere Vergangenheit gibt es auch Beschreibungen in Reiseberichten und zur Gegenwart sogar Studien. Doch eine umfassende Geschichte von Nouruz gibt es anscheinend bislang nicht. Schauen wir also, welche verstreuten Informationen Shahbazi zusammengetragen hat!

Seit der Eroberung Irans durch die Muslime erhoben die neuen Machthaber hohe Nouruz- und Mehrgân-Steuern. Mehrgân war das Herbstfest, das dem Fürhlingsfest Nouruz entsprach. Noch die Ghaznaviden feierten es im 11. Jahrhundert regelmäßig. Mittlerweile ist es aber in Vergessenheit geraten. Auch die Umayyaden und Abbasiden behielten diese Steuern bei, aber gleichzeitig auch die Feste. Nouruz feierten auch die Gouverneure und unabhängigen Herrscher im iranischen Kulturraum wie die Tahiriden, die Samaniden, die Buyiden und die bereits erwähnten Ghaznaviden. Auf diese Weise wurde Nouruz am Leben erhalten. Von Dichtern am Hofe der Ghaznaviden sind Nouruz-Gedichte bekannt, die wahrscheinlich von Musik begleitet wurden, und es gab namentlich bekannte Nouruz-Melodien, die wahrscheinlich aus der vorislamischen Sassanidenzeit stammten.

Adud ad-Daula (st. 983) – der mächtigste Buyidenherrscher – soll zu Nouruz auf einem prächtigen Sitz in einer Halle Platz genommen haben, die mit Gold- und Silbertellern, Früchten und Blumen dekoriert war. Wenn sein Hofastronom ihm zum Jahreswechsel gratuliert hatte, dann ließ er die Musiker, Sänger und Gesellschafter eintreten und die Festlichkeiten beginnen.

Aber das Feiern war natürlich nicht auf die Herrscherhöfe beschränkt: Die Muslime und die Zoroastrier feierten gemeinsam. Man pflanzte sieben Arten Getreide an und nutzte die Entwicklung der Pflanzen als Omen für die Ernte des Jahres. Außerdem dachte man, es halte Krankheiten ab, wenn man am Morgen von Nouruz zunächst dreimal Honig kostete und drei Kerzen anzündete, noch bevor man die ersten Worte des Tages sprach. Und man tauschte Geschenke aus, vor allem Zucker, unterhielt Feuer und badete in den fließenden Gewässern. Die einfachen Leute bespritzten sich auf den Straßen gegenseitig mit Wasser, die vornehmeren Menschen in den Innenhöfen ihrer Häuser. Es gab auch den Brauch, einen „Mîr-e nourûzî“ einzusetzen, einen „Nouruz-Herrscher“: ein ganz gewöhnlicher Mensch wurde mit einem Thron, Höflingen und sogar ein paar Truppen ausgestattet und durfte ein paar Tage lang regieren. Man gehorchte allen seinen Befehlen, und am Ende wurde er entthront, geschlagen und fortgejagt.

Wie nicht anders zu erwarten, gab es aber auch immer wieder religiösen Widerstand gegen die Nouruz-Feiern (und gegen die anderen iranischen Feste wie Mehrgân und Sade). Muslimische Gelehrten und zuweilen auch Herrschern mißfielen die Bräuche. So wandte sich der berühmte Religionsgelehrte al-Ghazali (st. 1111) gegen das Schmücken der Bazare, die Zubereitung von Süßigkeiten und gegen Herstellung und Verkauf von Kinderspielzeug im Vorfeld des Nouruz-Festes. Unter den Abbasiden und ihren Gegnern, den ismailitischen Fatimidenkalifen in Kairo, gab es immer wieder Versuche, die Nouruz-Bräuche wie das Eierfärben, das Entzünden von Feuern am Abend vor Nouruz und das auch unter Muslimen verbreitete Weintrinken zu verbieten. Daß sich auch die Fatimiden um solche Verbote bemühten, zeigt die Verbreitung des Nouruz-Festes auch außerhalb des iranischen Kulturraums: Diese schiitischen Kalifen herrschten nämlich über Syrien und Ägypten.

Es gab aber auch Versuche, Nouruz durch Überlieferungen vom Propheten Mohammed und durch andere Traditionen als islamisches Fest zu legitimieren und die Bräuche islamisch zu interpretieren. Auch in der schiitischen Literatur gibt es dazu reichlich Material, und das erleichtert heute die Nouruz-Feiern in der Islamischen Republik Iran.

Aus der Zeit der Safaviden (1501-1722) gibt es dann mehr Material über die Nouruz-Feiern. So bekamen wichtige Persönlichkeiten des Hofes und der Stadt in Esfahan Bereiche im Bâgh-e Naqsch-e Dschahân zugeteilt, die sie zu dekorieren hatten. Dort wurden dann Zelte und Buden errichtet, und man verteilte tagelang Getränke und Süßigkeiten in der Menge. Wenn der Hofastronom den Jahreswechsel festgestellt hatte, wurden Feuerwerkskörper angezündet, und die Palastwachen feuerten ihre Musketen, die Burgwachen die Kanonen ab, um den Jahreswechsel zu verkünden. Auf dem Meydân schlug eine Kapelle Trommeln und spielte Balsinstrumente. Der Schah schaute währenddessen in eine Schüssel voll Wasser, weil man glaube, das bringe Glück. Nicht nur die Bevölkerung tauschte Geschenke aus und verteilte Almosen, auch der Schah tauschte Geschenke mit seinen Besuchern aus und ließ für die Bedürftigen schlachten und Fleisch verteilen. Die Menschen trugen neue Kleider und vergnügten sich bei Polospiel, Ringkämpfen und Pferderennen, während der Schah ein großes Bankett veranstaltete. Die folgenden Tage verbrachte man im Freien und feierte.

Unter den Qadscharen führte Nâser ed-Dîn Schah (reg. 1848-96) Neuerungen wie Einladungskarten, Militärkapellen und drei Audienztage ein. Die erste Audienz fand zum Jahreswechsel statt. Man stellte das „Haft-Sîn“ vor dem Pfauenthron auf (wie sich diese Information mit den Überlegungen zur Datierung des „Haft-Sîn“ im zugehörigen Artikel verträgt, möge der geschätzte Leser selbst entscheien). Dann flankierten die Prinzen, die Häupter von Militär und Verwaltung und die Geistlichen den Thron in der vorgesehenen Ordnung. Am zweiten und dritten Tag der Feierlichkeiten hielt der Schah Audienzen für eine breitere Öffentlichkeit an anderen Orten ab. Später wurden die Audienzen wieder auf einen Tag zusammengelegt.

Nach der islamischen Revolution 1979 versuchte man zunächst, den Enthusiasmus für Nouruz zu dämpfen. Dies hielt jedoch nicht lange vor, und die Regierung stellte sich in der Zeit nach Khomeini auch nicht nur als religiös dar, sondern zeigte auch Stolz auf die iranische Kultur der vorislamischen Zeit. Heute sind die Ämter zu Nouruz für fünf Tage geschlossen, die Bildungseinrichtungen wie Schulen und Universitäten für dreizehn Tage. Diese Ferien werden von vielen für Reisen im Inland genutzt. Besonders beliebt sind Reiseziele wie Esfahan mit seinen historischen Gebäuden und gepflegten Parks und Persepolis.

In Shahbazis EIr-Artikel finden sich noch viele Informationen zu heute verbreiteten Nouruz-Bräuchen und auch Hinweise über andere Länder wie den Jemen und Südafrika, wo es ebenfalls Nouruz-Feiern gibt. Ich möchte hier nur noch auf zwei Punkte hinweisen, die ich bislang nicht erwähnt habe: 1) auf den offenbar nach wie vor verbreiteten Glauben, daß zu Nouruz die Seelen der Verstorbenen die Häuser ihrer lebenden Verwandten besuchen. Diese Überzeugung stammt aus der vorislamischen Zeit und geht auf einen zoroastrischen Feiertag zurück, der in den Tagen nach dem Jahreswechsel liegt. 2) Auf Hâdschdschî Fîrûz, die Gestalt eines volkstümlichen Unterhalters, der vor Nouruz mit geschwärztem Gesicht durch die Straßen zieht und Lieder singt. Eine Abbildung findet sich hier. Natürlich gibt es auch zu ihm einen – recht kurzen – EIr-Artikel.

Damit schließe ich meine Miniserie zum iranischen Neujahrsfest ab, ehe die dreizehn Tage der Feierlichkeiten vorüber sind. Eigentlich wollte ich noch einen Auszug aus dem „Nourûz-Nâme“ des Pseudo-Khayyam zum besten geben. Aber Nouruz gibt es ja nicht nur einmal im Leben, sondern jedes Jahr wieder.

Quellen

A. Shapur Shabazi: „Nowruz ii. In the Islamic Period“, Encyclopaedia Iranica, online edition, 2009, abrufbar unter http://www.iranicaonline.org/articles/nowruz-ii (zuletzt abgerufen am 29.03.2014).

Beyhaqī, Ḫvāǧe Abū l-Fażl Moḥammad b. Ḥoseyn: Tārīḫ-e Beyhaqī. Hrsg. v. ʿAlī Akbar Fayyāż. Mašhad 1350 š/1371.

Donate Button with Credit Cards

30 Kommentare

  1. Pingback: Nouruz Teil 1: Erste Vorbereitungen | Persophonie: Kultur-Geschichte

  2. Pingback: Nouruz Teil 2: Die Geschichte in vorislamischer Zeit | Persophonie: Kultur-Geschichte

  3. Pingback: Nouruz Teil 3: Das “Haft-Sîn”-Special zum Jahreswechsel | Persophonie: Kultur-Geschichte

          • Pingback: Salvas Erwiderungen. – Warum wurde Persien letztendlich muslimisch? | SalvaVenia

              • Pingback: Nourûz naht, und wir haben tatsächlich Frühling! | Persophonie: Kultur-Geschichte

              • Pingback: Und wieder naht Nourûz | Persophonie: Kultur-Geschichte

              Schreibe einen Kommentar

              Pflichtfelder sind mit * markiert.