Desorientale – Négar Djavadi

Da uns diese Woche das Leben ein wenig aus dem Takt gebracht hat und Weihnachten (eventuell mit einer Blogpause) ins Haus steht, dachte ich mir, Sie könnten eine Leseempfehlung gebrauchen. Ich habe dieses Buch selbst noch nicht gelesen, habe jetzt aber Lust darauf. Auch wenn anklingt, daß der Blick auf die fernere iranische Vergangenheit dem unter vielen Iranern verbreiteten Schema entspricht und der Geschichte mäßig angemessen ist, scheint es doch einen sehr differenzierten Eindruck in Gegenwart und jüngere Vergangenheit zu vermitteln.

Lassen Sie uns wissen, ob der rebloggte Beitrag Sie zum lesen angeregt hat – und wenn ja, was Sie von dem Buch halten!

Allen, die Weihnachten feiern, schon mal ein schönes Fest, und allen anderen erholsame Feiertage!

Survival of the fittest Oder: Thronfolgekämpfe als Methode der Herrscherauslese

Wie versprochen starten wir diese Woche eine Mini-Serie über die Seldschuken. Einige grundlegende Informationen finden Sie bereits in meiner Serie zu dem berühmten Seldschukenwesir Nezâm ol-Molk – einem der bekanntesten Inhaber dieses Amtes. Damit es unseren Stammlesern nicht langweilig wird, versuche ich nicht zuviel zu wiederholen.

Falls Sie unserem Blog schon länger folgen, haben Sie sicher bereits zur Kenntnis genommen, daß in den islamisch geprägten Kulturen meistens nicht nach dem Primogeniturprinzip verfahren wurde, das uns aus der europäischen Geschichte vertraut ist. Es besagt, daß in der Regel der älteste Sohn eines Herrschers diesem auf den Thron folgt. Das konnte sogar so weit gehen, daß ein Kind dem Großvater auf den Thron folgte, wenn der älteste Sohn bereits verstorben war – und auch von seinen erwachsenen Onkeln anerkannt wurde!

Das Primogeniturprinzip wurde zwar auch in Europa nur zeitweise befolgt, aber in den islamischen Kulturen war es gar nicht vorhanden. Unter den Turkvölkern – und die Seldschuken gehörten zu einem solchen – gab es dafür andere Ansichten darüber, wer zur Herrschaft berechtigt war.

Zunächst einmal zeigen die Ansprüche, die bei den regelmäßig stattfindenden Nachfolgekämpfen hauptsächlich von älteren Brüdern und Onkeln geltend gemacht wurden, daß es eine Art „Senioritätsprinzip“ gab.

Obwohl man sich einig darüber war, daß die Herrschaft grundsätzlich ALLEN Angehörigen der Seldschukenfamilie zustand, gab es auch immer ein Oberhaupt der Familie, dem alle anderen zumindest formal untergeordnet waren – den Sultan eben.

Senioritätsprinzip“ bedeutet in diesem Zusammenhang, daß der jeweils älteste männliche Seldschuke Anspruch darauf erhob, als Oberhaupt der Familie anerkannt zu werden – wie das auch heute in traditionellem Umfeld noch üblich ist. Malek-Schâh (reg. 1072-1092) beispielsweise hatte sich gegen einen Onkel durchzusetzen, der nicht nur älter als er selbst, sondern auch noch der ältere Bruder seines Vaters war.

Dieser Onkel soll dem damals erst siebzehnjährigen Malek-Schâh mitgeteilt haben, ein junger Sohn habe keinen erblichen Anspruch auf die Herrschaft, wenn es einen älteren Bruder gebe.

Das Reich der Großseldschuken beim Tode Malek-Schâhs

Doch die Ereignisse zeigen, daß ein solcher Anspruch allein nicht genügte. Ein Grund dafür war, daß dieses türkische Senioritätsprinzip im Widerspruch zum iranischen Prinzip der Vater-Sohn-Erbfolge stand, die immer mehr Bedeutung gewann. So soll Malek-Schâh seinem Onkel erwidert haben: „Wenn es einen Sohn gibt, hat der Bruder keinen Erbanspruch.“

Auch ohne widerstreitende Prinzipien wäre es aber sehr wahrscheinlich zum Kampf zwischen den Prätendenten gekommen. Denn es scheint, daß hier ein weiteres Prinzip eine Rolle spielte, das auch aus einer Richtung der Schia und aus anderen Zusammenhängen bekannt ist und im Grunde auf der Hand liegt: Daß derjenige rechtmäßig die Herrschaft ausübt, der sie sich erfolgreich erkämpft hat.

Aus diesem Blickwinkel ist ein Nachfolgekampf um den Thron nichts Schlechtes, sondern lediglich ein Mechanismus zur Auslese des bestgeeigneten Anwärters. Ob allerdings der zu einem bestimmten Zeitpunkt erfolgreichste Feldherr auch tatsächlich immer der beste Herrscher war, steht auf einem anderen Blatt.

Ein Hinweis darauf, daß der Kampf um die Thronfolge eine akzeptable Methode zur Bestimmung des nächsten Herrschers war, besteht darin, daß die „rebellischen“ Onkel und Brüder nach ihrer Niederlage in der Regel sehr nachsichtig behandelt und meist auch wieder in ihren Provinzen als Herrscher eingesetzt wurden.

Das läßt vermuten, daß man ihr Verhalten nicht als sträflich betrachtete, sondern ihnen das Recht zugestand, ihren Anspruch zu vertreten und ihr Glück zu versuchen.

Erst Nezâm ol-Molk (st. 1092), der islamisch-iranischen Traditionen anhing und das anders sah, beendete die übliche Nachsicht und räumte gründlich auf, indem er Malek-Schâh zur Hinrichtung von Mitgliedern des Seldschukenhauses bewegte, die eine Bedrohung für seine Herrschaft waren. Ein Beispiel war Malek-Schâhs Onkel Qâword (Kavurt), der Begründer des Zweiges der Kermân-Seldschuken.

Das änderte allerdings nichts daran, daß nach dem Tod jedes Sultans die „Auslese“-Kämpfe von vorne losgingen. Immerhin scheint sich die Auswahl an akzeptablen Thronanwärtern im 12. Jahrhundert auf die Söhne von Sultanen eingeengt zu haben.

Was sonst noch zu einer legitimen Herrscherposition gehörte und was der Abbasidenkalif in Bagdad damit zu tun hatte, erfahren Sie in einer der nächsten Folgen unserer Mini-Serie zu den Seldschuken.

Literatur

Andrew C.S. Peacock: The great Seljuk empire. Edinburgh: Edinburgh Univ. Press, 2015. (The Edinburgh history of the Islamic empires)

Bildnachweis

Beitragsbild: Krönung von Malek-Schâh I aus dem Dschâme‘ ot-tavârîch des Raschîd ed-Dîn Fazlollah, um 1315
Quelle: Wikimedia Commons
Public domain
Karte des Reichs
Quelle: Wikimedia Commons
Lizenz: Creative Commons 4.0
Urheber: MapMaster
unverändert übernommen

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Ruqaiya Begums Grab in Kabul

Ruqaiya Begum (ca. 1542 – 1626) war ohne Zweifel eine der wichtigsten Ehefrauen des Mogulherrschers Akbar – und wohl die wichtigste der drei Frauen, mit denen Akbar eine offizielle Heiratsbeziehung nach islamischem Recht eingegangen ist.

Als Ruqaiya und Akbar vierzehn Jahre alt waren, wurden die beiden miteinander verheiratet. Die beiden waren Cousin und Cousine ersten Grades: Ruqaiyas Vater  Hindal Mîrzâ (st. 1551) war der Bruder von Akbars Vater Humâyun (st. 1556). Die Heirat der beiden war also wichtig, um die Mogul-Dynastie zusammenzuhalten und die Herrschaftsansprüche sowohl in Kabul als auch in Indien (Agra) aufrecht zu erhalten.

Über Ruqaiyas Zeit als Kaiserin und erste Gemahlin Akbars soll hier an anderer Stelle gebloggt werden. Unbestreitbar ist, dass sie im Harem über einen sehr großen Einfluss verfügte. Da sie selbst kinderlos blieb, übertrug Akbar ihr die Erziehung seines Enkels Khurram (später Kaiser Schâh Dschahân). Auch auf ihren Ziehsohn Salîm  / Dschahângîr hatte Ruqaiya maßgeblichen Einfluss.

Dieses wird besonders deutlich in der Beschreibung von Ruqaiyas Tod in Dschahângîrs Memoiren Tuzuk-e Dschahângîrî. Während dem Tod von Dschahângîrs Mutter Jodha / Maryam uz-Zamânî nur ein knapper Satz gewidmet wird, würdigte der Herrscher Ruqaiya mit mehreren Sätzen. So erfahren wir, dass Ruqaiya in Akbarabad (sprich: Agra) verstorben ist. Wir können nur vermuten, dass sie zunächst in Agra gemäß der islamischen Bestattungsvorschriften beerdigt wurde: das heißt: innerhalb von 24 Stunden.

Akbar war ja bereits 1605 verstorben, Ruqaiya überlebte ihren Ehemann um zwanzig Jahre. 1607 führte sie zusammen mit Dschahângîr und Prinz Khurram eine Pilgerfahrt nach Kabul durch. Ziel waren die Gräber ihres Großvaters Bâbur und ihres Vaters. Auch Bâbur war in Agra verstorben – sein Körper wurde 17 Jahre nach seinem Tod nach Kabul überführt und in einem Mausoleum im Bagh-e Bâbur (Garten Bâburs) bestattet – also in einem Garten, der von Bâbur selbst angelegt wurde.

Schâh Dschahân ließ den Garten während seiner Regierungszeit neu anlegen. Die Anlage wurde auf 15 Terrassenstufen angelegt, das Grab von Bâbur befindet sich auf der 14. Stufe, das von Ruqaiya auf der 15.

Viele Leute fragen sich, warum Ruqaiya nicht in Akbars Nähe bestattet wurde, war sie doch seine erste Hauptfrau. Viele interpretieren auch die Tatsache, dass  Jodhas / Maryam uz-Zamânîs Grab näher an Akbars Grab war, als Beweis ihrer Liebe.

Ganz so ist das wohl nicht zu sehen. Es ist in islamischen Kontexten nicht üblich, Eheleute zusammen zu bestatten, es bleibt eine Ausnahme. Im indo-muslimischen Kontext sind Friedhöfe auch heute noch oft nach Geschlechtern getrennt. Im islamischen Kontext zählt zudem die männliche islamische Linie mehr als die „angeheiratete“. Insofern ist es nicht unüblich, eine Tochter in der Nähe ihres Vaters bzw. Großvaters zu bestatten.

Zudem war das Grab Ruqaiyas auch ein Zeichen Schâh Dschahâns, dass er den Anspruch der Moguldynastie auf Kabul nicht aufgeben würde und die Gräber seiner Vorfahren als Zeichen der Macht der Moguln in Afghanistan betrachtete.

Bildnachweis:

Bild des Bagh-e Babur:

By Daniel Wilkinson (U.S. Department of State) (U.S Embassy Kabul Afghanistan) [Public domain], via Wikimedia Commons

Ein Überblick über unsere Beiträge zur Geschichte der Moguln

Wer waren die Seldschuken?

Demnächst möchte ich Sie wieder für ein paar Beiträge in die Zeit der Groß-Seldschuken entführen. Diejenigen, die uns schon länger folgen, erinnern sich vielleicht an den berühmten Seldschukenwesir Nezâm ol-Molk und die Sultane Alp Arslân und Malek-Schâh, denen er diente. Oder an die Kriminalgeschichte rund um seinen Tod.

In den nächsten Wochen soll es um ernüchternde neue Forschungsergebnisse zu Nezâm ol-Molks berühmtem Fürstenspiegel, um die – wieder mal – leicht chaotischen Methoden der Thronfolge und die unerquickliche Situation des Abbasidenkalifen in Bagdad gehen (Hârûn ar-Raschîd war einer von denen, allerdings rund 250 Jahre früher).

Deshalb habe ich zur Einstimmung nach einem Artikel gesucht, der Ihnen einen ersten Überblick über das Seldschukenreich vermittelt. Dieser hier ist sehr knapp, aber erfüllt den Zweck.

Die „Seldschuken in Kleinasien“, von denen hier die Rede ist, sind die „Rûm-Seldschuken“ – „Rûm“ ist die arabisch-persische Bezeichnung für das Reich Byzanz. Auf dessen Gebiet errichtete nämlich ein Zweig der turkmenischen Herrscherfamilie der Seldschuken ein Reich mit der Hauptstadt Konya. Es entstand im 11. Jahrhundert und bestand bis 1307. Daneben gab es die Teilreiche der Kermân-Seldschuken (im Gebiet Kermân in Iran) und der Seldschuken von Syrien. Die Herrscher dieser Teilreiche ordneten sich jedoch im 11. Jahrhundert noch dem Oberhaupt der Familie unter, dem Sultan des groß-seldschukischen Reiches. Dieser formale Zusammenhalt eines großen Reiches unter einem Herrscher war eher unüblich und bestand auch nur unter zwei Sultanen, aber immerhin dreißig Jahre lang.

Mehr über die Groß-Seldschuken erfahren Sie demnächst hier. Bis dahin!

Die Tugenden Razia Sultans – und ihre Kleidung

In einem ersten Blogpost über die Serie Razia Sultan ging es vor allem um die Rivalitäten zwischen der Herrscherin Razia (st. 1240)  und ihrem Stiefbruder Rukn ud-Dîn.

In diesem Beitrag soll es um das öffentliche Auftreten Razias und ihre Kleidung gehen. Ohne Zweifel war es ungewöhnlich, dass eine Frau zur Herrscherin unter ihrem eigenen Namen gekrönt wurde. Razia bemühte sich umgehend, auch nach außen zu zeigen, dass keine schwache Frau an der Spitze des Staates stand.

Zunächst einmal ist es schon auffällig, dass Razia bewusst den Titel Razia Sultân – also die männliche Form – und nicht die weibliche Form Razia Sultâna wählte. Zweitens gab sie sich bewusst das Image einer Kriegerin, die die wichtigen Fähigkeiten des Reitens und Bogenschießens beherrschte.

Der dritte und vielleicht auch wichtigste Punkt war die Kleidung, die Razia nach der Übernahme der Herrschaft anlegte. Razia legte bei den meisten ihrer öffentlichen Auftritte die Kleidung eines türkischen Adeligen am Hof des Delhi Sultanates an. In den Fällen, in denen sie in weiblicher Kleidung erschien, verzichtete sie jedoch völlig auf eine Verschleierung (purdah).

Der bedeutende marokkanische Reisende Ibn Battûta (st. 1377) besuchte ca. 100 Jahre nach Razias Tod das Sultanant von Delhi. Auch er war spürbar fasziniert von der (unverschleierten) Herrscherin (Ibn Battuta: The Rehla of Ibn Battûta. Baroda: Oriental Institute 1976, 34, Übersetzung CP):

Sie saß auf einem Pferd wie ein Mann, ausgestattet mit Pfeil und Bogen – und sie bedeckte niemals ihr Gesicht.

Diese Frage der Verschleierung bzw. nicht-Verschleierung Razias bewegte und beschäftigt bis zum heute – also mehr also knapp 800 Jahre nach ihrem Tod die Gemüter. So schrieb der Historiker Minaj ur-Siraj (zitiert nach B. Sadasivan: The Dancing Girl, S. 156, Übersetzung CP):

Sultan Raziya war eine großartige Monarchin. Sie war weise, gerecht und großzügig, eine Wohltäterin für ihr Königreich, sie spendete Gerechtigkeit, war Beschützerin für ihre Untertanen und die Anführerin ihrer Armeen. Sie war mit allen Qualitäten eines Königs ausgestattet, aber sie war nicht mit dem richtigen Geschlecht geboren worden, und so waren nach Ansicht der Männer alle ihre Tugenden wertlos.

Die Skepsis gegenüber weiblicher Herrschaft war in Indien weit verbreitet – Razia Sultan war jedoch ein Vorbild für weiteren weiblichen (muslimischen) Herrscher Indiens. Die Begums von Bhopal, die ab 1818 über hundert Jahre den Princely State von Bhopal beherrschten, benannten ausdrücklich Razia als ihr Vorbild. Auch im Auftreten ohne Schleier und als Kriegerin auf dem Pferd inszenierten sie sich und folgten Razias Beispiel.

Auf diese Weise wirkte das Vorbild Razias in Indien noch lange nach und konnte so nachhaltig in der populären Kultur Bollywoods verankert werden.

Deutlich ist auch, dass das Thema Ver- und Entschleierung in der islamischen Geschichte immer schon kontrovers diskutiert wurde. Es ist dabei wichtig zu betonen, dass Frauen diese Frage immer schon unterschiedlich beantwortet haben und dass es einen Interpretationsspielraum bezüglich der Notwedigkeit der Verschleierung gab und immer noch gibt.

Das Beitragsbild heißt „Ladies in Caboul“ und entstammt einem Buch über Afghanistan aus dem Jahr 1848. Das Bild unterliegt der Wikimedia Commons License.

Das Bild zeigt die zentralasiatische Art der Purda.

[[File:Ladies cabul1848b.jpg|Ladies cabul1848b]]

+++ Hier gibt es einen Überblick über unsere Beiträge zum Sultanat von Delhi ++++

Bruderliebe und Konkurrenz: Kronprinz Salîm und sein Bruder Dânyâl

Vor einigen Jahren haben Susanne Kurz und ich an der Ruhr-Universität im Fach Orientalistik und Islamwissenschaften ein Seminar zum Thema „Sexualität und Drogen am Mogulhof“ unterrichtet. Susanne hat nach diesem Seminar diesen folgenden Beitrag geschrieben, in dem es um den Alkoholkonsum Dschahângîrs (also Prinz Salîms) und seiner Brüder ging. In unseren Forschungen ist herausgekommen, dass ein Bewusstsein für „Drogen“ nach heutigem Konzept völlig fehlt. Dschahângîr war ebenfalls klar, dass der Alkoholkonsum nicht im Einklang mit dem islamischen Recht war – und dass es vor allem extrem ungesund war, große Mengen an Alkohol zu konsumieren.

Und so beherrscht auch das Thema Alkoholkonsum die Beschreibung Dânyâls, die Dschahângîr in seinen Memoiren Tuzuk-e Dschahângîrî gibt. Abgesehen davon ist die Beschreibung, die der Herrscher von seinem verstorbenen Bruder eher positiv.

Doch schauen wir zunächst einmal auf die Situation, in der Dschahângîr seine Memoiren verfasste – und in der er über seine Brüder schrieb. Zunächst einmal: er saß auf dem Thron der Moguln, während seine beiden Brüder bereits verstorben waren: Dânyâl lebte von 1572-1605, sein Bruder Murâd war bereits 1570 geboren worden, starb aber schon 1599. Bei beiden Brüdern war ihr Ableben durch zu hohen Alkoholkonsum verursacht.

Über seinen Bruder Dânyâl berichtet Dschahângîr folgendes: Er sei am 10. September 1572 in Ajmer im Hause eines Sufis namens Dânyâl geboren worden – aus diesem Grund erhielt er den Namen Dâniyâl. Scheich Dânyâl war ein Schüler des berühmten Scheichs Mu‘în ud-Dîn Chistî, (st. 1236) zu dessen Grab Akbar jährlich pilgerte.

So schrieb Dschahângîr:

Danyal war ein junger Mann von feiner Statur, gutem Körperbau und gut aussehend. Er war begeistert von Elefanten und Pferden. Es war unmöglich, dass er von jemanden hörte, der ein gutes Pferd oder einen guten Elefanten besaß und er es nicht bekam. Er mochte außerdem indischen Gesang. Gelegentlich dichtete er in der Sprache und mit Ausdrücken der indischen Bevölkerung – und es war nicht schlecht.

Diese Beurteilung zeigte das, was man für einen adeligen Mann seiner Zeit als ideal hielt: Interesse sowohl an Kriegskunst als auch an Poesie und Musik. Man kann davon ausgehen, dass die Beschreibung auch deshalb so positiv war, da Dânyâl zu diesem Zeitpunkt bereits tot war – und Dschahângîrs Position als Herrscher zumindest von Seiten seiner Brüder ungefährdet war – was die Söhne angeht, so ist das eine andere Geschichte….

Dem Tod Dânyâls (und Murâds) waren einige Rivalitäten zwischen den Brüdern vorausgegangen. Akbar hatte immer versucht, auch Dânyâl und Murâd, die „nur“ Söhne von Konkurbinen waren, in die Hofzeremonien einzubauen und ihnen Aufgaben zuzuteilen. Das konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass Akbar Salîm, den Sohn seiner „richtigen“ Ehefrau Jodha (Maryam uz-Zamânî) bevorzugte. So wurde der Geburtstag Salîms immer mit einer „Aufwiegezeremonie“ gefeiert, in der der Prinz gegen Gold, Silber, Getreide, Stoffe und anderes aufgewogen wurde. Diese Güter wurden an die Armen verteilt. Für kein anderes von Akbars Kindern wurde diese Zeremonie veranstaltet.

Als Salîm 13 Jahre alt war, machte Akbar ihn offiziell zum Kronprinzen und erklärte ihn für volljährig. Er übernahm von dieser Zeit an Aufgaben im Hofzeremoniell. Murâd und Dânyal erhielten immer die Erlaubnis, an diesen Zeremonien teilzunehmen. Außerdem wurden ihnen Lehrer und Berater aus den höchsten Hofkreisen zur Seite gestellt.

Wie seine Brüder wurde Dâniyâl mit einzelnen Militäraktionen betraut. 1580 wurde Dânyâl eine besondere Ehre zuteil: er führte an Akbars Stelle die jährliche Pilgerfahrt zum Schrein Mu’în ud-Dîn Chishtî (s.o.) durch. Solche Ereignisse dürften die Konkurrenz zwischen den Brüdern weiter befeuert haben. Ein weiterer Vorfall zeigte diese Rivalitäten: als Dânyâl einen Militärzug anführte, durfte er Zelte in roter Farbe verwenden, die eigentlich exklusiv dem Herrscher vorbehalten war. Salîm blieb in der Folgezeit dem Hof in Agra zumeist fern, wenn Dânyâl sich dort aufhielt. Akbar sorgte dafür, dass das auch so blieb.

Die Rivalitäten verschärften sich, auch weiterhin, als die beiden Brüder versuchten, wichtige Experten des Hofstaates für ihre eigenen Verwaltungsangelegenheiten zu gewinnen.

 Akbar versuchte weiterhin, den Konfikt zwischen Salîm und Dânyâl  zu entschärfen, als er letzteren zum Nachfolger Murâds machte. Dieser war  1601 als amtierender Statthalter des Mogulreiches im Dekkan an der Folge seines Alkoholkonsums gestorben. Leider ereilte ja Dânyâl nur knapp vier Jahre später dasselbe Schicksal.

1604 erreichte Akbar die Nachricht, dass Dânyâl aufgrund seines Alkoholkonsums krank und schwach war, und nicht mehr in der Lage war, seine Aufgaben wahrzunehmen. Akbar war alarmiert und sandte ‚Abd ur-Rahîm Khân-e Khânân, der auch ein Schwiegervater Dânyâls war, in den Dekkan und stellte Dâniyâl unter Hausarrest. Die Maßnahme erwies sich jedoch als sinnlos, denn Dânyâl .

Alkohol wurde in versiegelten Gewehrläufen zu Dânyâl geschmuggelt. Das Problem war, dass sich der Alkohol mit dem Blei und anderen Metallen in den Gewehrläufen vemischte und zu einer tödlichen Mixtur wurde.

Dânyâl verstarb im April 1605, nur wenige Monate vor seinem Vater. Akbar ließ im Akbar-nâme feststellen, dass es sich um eine Verschwörung bösartiger Menschen handelte. Drei Tage nach Dânyâls Tod wurden drei Männer nach einem offiziellen Verfahren von Dânyâls Anhängern zu Tode gesteinigt. Diese Männer galten als Unterstützer Salîms. Somit stellt sich die Frage: war der vergiftete Alkohol ein Unfall oder ein Mordkomplott? Faruqui ist der Ansicht (S. 241), dass es zwar keine wirklichen Beweise gibt, dass Salîm für die Ermordung seines Bruders verantwortlich war – aber dass die Umstände von Dânyâls Tod auch Bände sprechen. Man wird es nun nicht mehr klären können.

Dânyâl hatte insgesamt sechs Ehefrauen und sieben Kinder, davon drei Söhne. Dass diese Söhne später von ihrem Cousin Khurram (später Schâh Dschahân) ermordet wurden, ist eine andere Geschichte.

Literatur

Munis D. Faruqui: The Princes of the Mughal Empire, 1504-1719. Cambridge: CUP, 2012.

Beitragsbild

Bild von Dâniyâl, das Bild unterliegt der Public Domain License.

Weitere Bilder von Dânyâl auf Pinterest:

https://www.pinterest.de/claudiapreckelg/daniyal-mirza/

Liebster Award

Fabiane von drwhogeschichte hat Susanne und mich zum ersten Mal für den Liebster Award nominiert. Wir machen das also zum ersten Mal mit und bedanken uns für die Nominierung!

Was ist der Liebster Award?

Der Liebster Award ist eine Art digitaler Wanderpokal, manche sagen etwas bösartig: ein digitaler Kettenbrief. Wenn man nominiert wird, bearbeitet (netterweise) die Fragen und reicht den Award dann weiter. Auf diese Weise kann man neue Blogs und neue Blogger/innen und lernt andere spannende Themen kennen. Ich habe mich tatsächlich durch viele mir zuvor nicht bekannte Blogs geklickt und interessante Blogposts gelesen!

Liebster Award Regeln:

  1. Bedanke dich bei dem Blogger, der dich nominiert hat, verlinke seinen Blog und beantworte seine Fragen.
  2. Stelle deinen Lieblingsblog vor.
  3. Wenn du möchtest, schreibe in deinem Post 10 Fakten über dich, damit wir uns alle besser kennenlernen.
  4. Nominiere andere Blogs.
  5. Liste die Regeln auf.
  6. Sag den Nominierten Bescheid.

Klar soweit? Dann geht’s los:

Mein Lieblingsblog:

Tintenhain. Dort gibt es viele tolle Rezensionen. Ich habe dort auch schon einige tolle Tipps für unseren LESEKREIS in der Stadtbücherei Oelde gefunden.

Was Fabiane von mir wissen wollte:

  1.    Welches ist dein liebster Blog-Artikel? Mein erster Gastbeitrag auf diesem Blog hatte das Thema Hunde im Islam. Dieses Thema liegt mir als passionierte Hunde- bzw. Dackelbesitzerin besonders am Herzen. Ich habe dort versucht, einige Vorurteile zum Thema zu entkräften.
  2. Welche Menschen inspirieren dich? Diejenigen, die tolle Dinge für unsere Gesellschaft und ihren Zusammenhalt machen – nicht, weil es viel Geld und Ruhm bringt, sondern weil es einfach das Richtige ist.
  3. Wenn du nicht dieses Blog führen würdest – welches andere Thema würde dich so sehr interessieren, dass du darüber bloggen könntest? Ich habe einen weiteren Blog, den ich gerade weiter ausbaue. Dort geht es um eines meiner Lieblingsthemen: ESSEN. Genauer gesagt um Orientalische Grillgerichte. Ich könnte über etliche Themen bloggen: Schokolade, Bücher, Dackel…:)
  4. Wofür hättest du gerne mehr Zeit? Für meine beiden Dackel Zuri und Paddy und ein paar schöne Ausflüge mit ihnen und dem Gatten.
  5. Wenn du noch einmal die Gelegenheit hättest: Welchen Beruf würdest du ergreifen und warum? Ich habe ja zwei Berufe: Assisstentin an Bibliotheken und Islamwissenschaftlerin. Die finde ich beide super, interessant und abwechslungsreich und würde dabei bleiben.
  6. Was bringt dich dazu herzhaft zu lachen? Wortwitz und skurrile Situationen im wirklichen Leben.

Ich nominiere:

der quâtspreche

Das Mittelalter – Der Blog

German Abendbrot

Was ich von euch wissen will:

  1. Welche Bilder hängen in Deiner Wohnung?
  2. Mit welcher Filmfigur kannst Du Dich identifizieren?
  3. Wie sieht Dein idealer Tag aus?

Kerman

Es ist November, und hier im deutschen Südwesten zieht gerade trübes und kaltes Winterwetter ein. Da dachte ich mir, ich entführe Sie mal wieder in einen Iran-Reisebericht aus einem anderen Blog.

Dieser hier enthält zwar keine Bilder (außer dem Titelbild), aber dafür wertvolle Informationen zum „Ta’ârofieren“. Falls Sie mal nach Iran reisen wollen, könnte das nützlich sein. 😉

Außerdem finden Sie auf diesem Blog noch weitere Berichte von dieser Iranreise, die per Couchsurfing stattfand – also ein richtiges Abenteuer. (Nicht unbedingt zur Nachahmung empfohlen, aber das muß jeder selbst wissen.)

Natürlich finden Sie in der iranischen Mittelschicht heute überwiegend Tische und Stühle, Sessel und Sofas wie bei uns auch. Aber in traditionellen oder weniger finanzstarken Haushalten oder wenn sich sehr viele Menschen auf einmal treffen und der Tisch nicht genügend Platz bietet, wird schon auch mal auf dem Boden gesessen. Ich persönlich mag das ja.

Viel Spaß beim Lesen und Stöbern!

Indo-muslimische Geschichte im TV: Razia Sultan

Auch im deutschsprachigen Raum erreichte der Bollywood-Sender Zee.One hohe Einschaltquoten mit der Bollyserie zur Mogulgeschichte, Jodha Akbar.
Nun geht eine weitere „episch-historische Hitserie“ auf Sendung: Razia Sultan – Die Herrscherin von Delhi. Angekündigt wird die Serie mit folgendem Text:

Der Weg auf den Thron ist schwer. Früh muss die schöne Prinzessin sich gegen Neider, Intrigantinnen und feindliche Armeen behaupten. Ihr Vater war als türkischer Sklave an den Königshof gekommen, und zum wichtigsten Berater des Sultans und Ehemann dessen Tochter Begum Qutub aufgestiegen. Von ihm lernt Razia Kampfgeist und Strategie. Ihr Großvater, der alte Sultan, lehrt sie Gnade und Besonnenheit.
….

Kann Razia sich gegen ihren rachsüchtigen Halbbruder Muiz, den Sohn ihres Vaters mit einer Sklavin, durchsetzen? Was entwickelt sich aus ihrer Kindheitsfreundschaft mit Malik, dem zukünftigen Regenten der Provinz Bathinda?

Ich persönlich war natürlich sofort begeistert von dieser Serie – als Bollywood-Fan und Islamwissenschaftlerin werde ich demnächst sicherlich häufiger über diese Serie bloggen. In der Serie geht es – wen überrascht das wirklich? – um Razias Aufstieg zur Herrscherin – vor allem aber um ihre (angeblichen) Liebesbeziehungen. Die Biographie Razias, die von 1205-1240 lebte,  bietet auch diesbezüglich einiges.

Wer jedoch erwartet, dass es eine historische Klarheit über die Figur von Razia gibt, wird bestimmt erneut enttäuscht war. Hatte ich ja schon damit angefangen, aufzulisten, warum es so schwierig ist, über Mogulgeschichte zu bloggen, steigert sich das Problem ja noch einmal, da Razia Sultân ja noch einmal knapp 300 Jahre VOR den Moguln lebte und herrschte.

Gesichert ist in jedem Falle, dass es Razia (eigentlich: Razîya oder Arabisch Radîya) bint Iltutmish tatsächlich gegeben hat, und sie vier Jahre lang über das Delhi Sultanat herrschte.

Die Herrschaft des Delhi Sultanates in Indien ging zurück auf einen türkischen Militätärsklaven (Mamluken) names Qutb ud-Dîn Aibek (st. 1210), der die Sklaven-Dynastie (ghulâmî khândân) begründete. Von seinem Geburtsort im heutigen Kirgistan konnte er Gebiete auf dem indischen Subkontinent erobern. Seine Hauptstadt war Lahore, später ja auch eine Hauptstadt der Moguln. Als er 1210 starb, wurde sein Schwiegersohn Shams ud-Dîn Iltutmish (auch Altumsh, st. 1236) nicht sein direkter Nachfolger, sondern im Jahr 1211 erst der übernächste.

Iltutmish war militärisch ebenfalls erfolgreich und konnte Herrschaft der Sklavendynastie in Indien festigen. Delhi wurde zum Zentrum und Hauptstadt des Reiches.
Razia war Iltutmishs ältestes Kind (mit seiner Frau Qutub Begum), und ihr Vater war sich Zeit seines Lebens darüber im Klaren, dass sie im Gegensatz zu ihren Halbbrüdern über außerordentliche Fähigkeiten und Intelligenz verfügte. Als er selbst kurz vor seinem Tod eine Militäraktion gegen das Gebiet um die heutige Stadt Gwalior durchführte, übertrug er Razia die Regierungsverantwortung während seiner Abwesenheit. Die einflussreichen 40 Generäle, die das militärische Rückgrat des Reiches bildeten, sprachen sich gegen Razia aus. Der berühmte Historiker Firishta, der 1620 starb, berichtete, dass Iltutmish gesagt haben soll:

“ Meine Söhne geben sich nur dem Wein und allen anderen möglichen Exzessen hin – keiner von ihnen hat die Fähigkeiten, das Reich zu führen. Razia ist besser als meine Söhne“

Aus diesem Grund hatte Iltutmish seine Tochter auch zu seiner Nachfolgerin, nachdem sein ältester Sohn Nasîr ud-Din plötzlich verstorben war. Doch Razias Gegner in der eigenen Familie bzw. im Harem waren sehr mächtig: Anstatt Razia bestieg nach Iltutmishs Tod ihr (Halb-) Bruder Rukn ud-Dîn Firûz den Thron. Rukn ud-Dîn war der Sohn der einflussreichsten Frau im Harem: Shâh Turkân. Sie stand hinter Rukn ud-Dîns Herrschaftsambitionen. Sowohl der Herrscher als auch seine Mutter galten laut Firishta als „extrem grausam“.
So wurden beide nur wenige Monate nach Rukn ud-Dîns Machtergreifung ermordet. Vor allem die Bevölkerung Delhis soll die anschließende Thronbesteigung Razias unterstützt haben, galt sie doch wie ihr Vater als weise und Förderin der Künste.

Doch auch Razia verfügte neben ihren vielen Unterstützern vor allem in der Bevölkerung Delhis über viele Gegner – vor allem unter den 40 Generälen.

Unter anderem bewegte die Frage, ob Razia in der Öffentlichkeit verschleiert oder unverschleiert auftrat, die Gemüter.

Und dass eine angedichtete (??) Affäre zur damaligen Zeit politische Auswirkungen haben konnte, wird uns in einer anderen Folge der Razia Sultan Reihe beschäftigen.
Dieser Blogbeitrag soll mit einem Gedicht des berühmten Dichters Amîr Chosrau (st. 1325) enden:

Für einige Monate war ihr Gesicht verschleiert
Wie ein Blitz kam der Strahl ihres Schwertes hinter dem Vorhang hervor
Die Schwerter waren in ihren Mänteln verblieben
Als viele Rebellionen unerwidert blieben
Doch dann zerriss sie mit einem königlichen Schlag den Schleier
Die Löwin zeigte so viel Kraft,

Dass tapfere Männer sich tief vor ihr verbeugten

Auch der Dichter war augenscheinlich von Razia beeindruckt……

Das Beitragsbild zeigt die offiziellen Münzen Razias – das Bild unterliegt der Wikimedia Commons Lizenz.

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Iran oder Persien – Perser oder Iraner?

Wenn es für ein und dasselbe Land mehrere Bezeichnungen gibt, kann das verwirrend sein. Gerade bei Iran ist das besonders auffällig. Hier macht es tatsächlich einen großen Unterschied, welche Bezeichnung man wählt. Denn mit „Iran“ und „Persien“ sind ganz unterschiedliche Vorstellungen verbunden.

Testen Sie es einmal: Wenn Sie einem einigermaßen gut informierten Bekannten erzählen, daß Sie nach Iran reisen wollen, werden Sie möglicherweise auf Unverständnis oder gar Entsetzen stoßen. Iran hat keinen sonderlich guten Ruf in den europäischen Medien. „Iran“ – das sind die Mollas, das ist religiöser Fanatismus, das sind aufgepeitschte Massen, die sich selbst verletzen, das ist Haß auf Amerika.

Sagen Sie aber, es geht nach Persien, dann ist das faszinierend. „Persien“ steht für eine jahrtausendealte Kultur, für Kunsthandwerk und wertvolle Teppiche, für Poesie und Musik, Weisheiten und antike Sehenswürdigkeiten. Persien – das hat etwas Märchenhaftes, Buntes, Verzaubertes. Das erinnert an die Pracht des Schahs von Persien mit seiner Frau Soraya, die zur Hälfte Deutsche war. Und mittlerweile denkt man vielleicht auch an leckeres Essen.

Diese sehr unterschiedlichen Vorstellungen, die sich mit den beiden Bezeichnungen des Landes verbinden, und vor allem die nahezu gegenläufigen Wertungen, die damit verknüpft sind, veranlassen viele Iraner hierzulande dazu, sich selbst nicht als Iraner zu bezeichnen, sondern als Perser.

Das ist verständlich, aber nicht korrekt. Denn „Iran“ ist nun mal die offizielle nationale und internationale Bezeichnung des Landes. Wer die iranische Staatsangehörigkeit hat, ist daher automatisch „Iraner“, ob das nun angenehm ist oder nicht. Es sagt auch nichts über die Volkszugehörigkeit aus, denn Iran ist ein Vielvölkerstaat, in dem mehrere Volksgruppen leben.

Reliefkarte von Iran

„Perser“ sind dagegen streng genommen nur die Menschen, die aus der „Persis“ stammen – heute heißt dieses Gebiet im iranischen Südwesten „Fârs“ und ist eine große Provinz mit der Hauptstadt Schirâs.

Das F und das P sind im Laufe der Geschichte häufig gegeneinander ausgetauscht worden. Das ist eine typische Art der Lautverschiebung. Und da die Araber kein P hatten, wurde es mit deren Machtübernahme und der Verbreitung der arabischen Sprache und Schrift in vielen Wörtern durch ein F ersetzt.

Wenn Sie also aus „Fârs“ einmal „Pârs“ machen, dann erkennen Sie das Wort auch in der „Persis“ wieder.  Diese Bezeichnung stammt aus den Werken griechischer Historiographen, von denen wir viele unserer Kenntnisse über das vorislamische Iran und besonders über die Achämeniden (6.-4. Jh. v.u.Z.) haben.

Die Sassaniden (224-642 u.Z.) stammten aus Fârs, und die Achämeniden hatten dort sogar ihren Königssitz (Persepolis liegt in der Nähe von Schirâs). Da es sich bei der Persis also um den Kern der beiden bekanntesten vorislamischen Reiche handelte, nannte man diese Reiche in Europa die „Perserreiche“ und das Land „Persien“.

Das änderte sich offiziell erst 1935, als auch international die Landesbezeichnung „Iran“ eingeführt wurde . Im allgmeinen Sprachgebrauch hatte sich das aber meines Wissens noch bis weit in die siebziger Jahre hinein nicht durchgesetzt, zumal die Regenbogenpresse gern über den „Schah von Persien“ berichtete.

So richtig ins öffentliche Bewußtsein vorgedrungen ist die „neue“ Landesbezeichnung deshalb erst nach der islamischen Revolution. Daher die gedankliche Verbindung mit der heutigen Regierung und den Mollas.

In Iran selbst allerdings war die Bezeichnung „Iran“ (auf persisch Îrân mit langem i und dunklem a) schon viel länger üblich. Sie taucht bereits in vorislamischer Zeit unter den oben genannten Sassaniden in der Form „Êrân“ auf, zunächst wohl noch in der Bedeutung „Arier“ im Plural, schon bald aber auch als Name des Reiches. Das Reich der Sassaniden wurde aber auch „Êrânschahr“ genannt: das Reich der Arier oder das Reich Iran.

Für „Persien“ gibt es bezeichnenderweise gar kein persisches Wort. In deutsch-persischen Wörterbüchern finden Sie entweder die Entsprechung „Iran“ oder die Beschreibung „alte Bezeichnung Irans im Westen“ oder ähnliches.

Soweit so klar. Wesentlich weniger klar wird es bei der Verwendung von Adjektiven. Denn bis heute sprechen wir ja von „persischem Essen“ und „persischer Musik“. Besonders logisch ist das nicht, und es wird auch kaum zu schweren Mißverständnissen kommen, wenn man stattdessen „iranisch“ sagt.

Wichtig ist dagegen die Unterscheidung zwischen „persischer Sprache“ und „iranischen Sprachen“. Denn iranische Sprachen gibt es mehrere, neben dem Persischen zum Beispiel das Kurdische. „Iranisch“ mit Bezug auf Sprachen bezeichnet also eine Untergruppe der Familie der indogermanischen Sprachen. Ein Iraner spricht demnach nicht „iranisch“ – denn das ist keine Sprache -, sondern in der Regel persisch.

Natürlich gibt es auch Iraner, die kurdisch oder türkisch oder eine andere Sprache sprechen. Aber wenn wir von der Amtssprache Irans reden, dann meinen wir das Persische. Dem entspricht übrigens auch die persische Bezeichnung der Sprache: „fârsî“ (früher und unter Puristen auch „pârsî“).

Ich hoffe, jetzt ist alles klar. 😉

Bildnachweis

Reliefkarte von Iran:
Quelle: Wikimedia Commons
Urheber: Uwe Dedering
Lizenz: Creative Commons 3.0
unverändert übernommen

Literatur

D.N. MacKenzie, „ĒRĀN, ĒRĀNŠAHR“, Encyclopædia Iranica, online edition, 1998 (letztes Update 2011), erreichbar unter http://www.iranicaonline.org/articles/eran-eransah (aufgerufen am 22.10.2017).

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