Heute geht es mit der Nacherzählung von Beyhaqîs „Geschichte des Mas’ûd von Ghazna“ weiter. Den ersten Teil finden Sie hier. Ein Verzeichnis mache ich bei Gelegenheit mal, wenn ich ein paar weitere Folgen dieser „Mas’ûd-Serie“ publiziert habe.
Mas’ûd verhandelt mit ‚Alâ‘ od-Doule von Esfahân (damals: Sepâhân), dem „Sohn des Kâkû“
Nach dem Ende der Trauerfeierlichkeiten bestimmte Amîr Mas’ûd einen Gesandten und schickte ihn zu Bû Dscha’far-e Kâkû ‚Alâ‘ od-Doule (dem Herrscher von Esfahân, bei dem auch Avicenna/Ibn Sînâ unterkam). Die Distanz war nicht groß.
Bereits bevor diese Nachricht ihr Ziel erreichte, hatte der Befehlshaber der Gläubigen einen Brief geschickt und Fürsprache eingelegt: ‚Alâ‘ od-Doule solle Sepâhân zurückbekommen und der Stellvertreter des Amîr Mas’ûd sein. Außerdem solle er alle vereinbarten Abgaben herausgeben.
Die Botschaft Mas’ûds
Bisher hatte man den Überbringer dieser Botschaft hingehalten, der in Erwartung einer Antwort vor Ort geblieben war. Doch jetzt erschien Amîr Mas’ûd dieser Umstand als günstige Gelegenheit, um die Verhandlungen mit ‚Alâ‘ od-Doule aufzunehmen. Das Schreiben an ihn lautete so:
Wir kommen der Fürbitte des Befehlshabers der Gläubigen gehorsamst nach, denn von Herren wie ihm bekommen Diener wie Wir keine Fürbitten, sondern Befehle.
Wir hatten Wichtigeres vor als die Eroberung von Sepâhân, und es läßt sich kein würdigerer Statthalter finden als der Amîr ‚Alâ‘ od-Doule. Wenn Wir nicht anfangs, als Wir es auf dieses Gebiet abgesehen hatten und Gesandte mit einem Ultimatum schickten, Feindseligkeit und Eigensinn erfahren hätten, so wäre dieses Unheil gar nicht erst geschehen.
Doch was kann man tun? Was geschehen soll, das wird auch geschehen.
Nun hat sich die Sachlage geändert. Wir haben die weiteren Eroberungspläne aufgegeben, denn Wir haben eine unaufschiebbare Sache vor Uns. Wir ziehen nach Chorâsân, da der große Sultan hingeschieden ist und die Angelegenheiten des Reiches dort gewaltig vernachlässigt worden sind. Wir halten es für wichtiger, uns dem Stammland zu widmen als den Randgebieten, vor allem da es weit fort ist und sonst Zeit verlorengeht.
Über Rey, Târom und die anderen eroberten Gebiete wird ein Militärstatthalter eingesetzt, so daß in Unserer Abwesenheit auf keinen Fall Schaden entsteht.
Doch wenn jemand Wunschträume hegt und nach einer Gelegenheit sucht, um sie zu verwirklichen, so wird das gerade so lange gutgehen, bis Wir den Thron des Vaters bestiegen haben. Auf keinen Fall werden Wir dieses Gebiet in Zukunft vernachlässigen, denn Wir haben seine guten und schlechten Seiten gesehen und kennen es jetzt. Vom Thron des Vaters aus werden Wir die Maßnahmen für dieses Gebiet in anderer Weise vornehmen. In Chorâsân sind, Gott sei Dank, tapfere Männer, Gerät und Ausrüstung zur Genüge vorhanden.
Jetzt ist es notwendig, daß der Amîr diese Sache umgehend erledigt und nicht durch Fragen und Antworten verzögert, damit Wir mit reifen Früchten von hier zurückkehren.
Der Amîr soll aber nicht auf irgendwelche Betrüger hören, die ihm vielleicht sagen: „Angesichts unserer eigenen Schwäche müssen wir uns arrangieren. Immerhin ist Mas’ûd im Aufbruch begriffen. Wie lange wird er sich wohl noch hier aufhalten können?“
Man soll das nicht für bare Münze nehmen und nicht auf solche Worte hören, denn Unser Argwohn ist groß. Und wenn Wir aus Argwohn zurückkehren müssen, wird diese Angelegenheit auf andere Weise angepackt werden.
Mit Grüßen.
Der Gesandte ritt los und überbrachte diese Botschaft. Der Sohn des Kâkû hörte sich alles gut an, betrachtete es als ausgesprochenen Glücksfall und gab eine freundliche Antwort.
Die Einigung
Nach drei Tagen Verhandlungen vereinbarten sie, daß ‚Alâ‘ od-Doule der Stellvertreter des Amîr in Sepâhân sein solle, wenn sich dessen Abwesenheit ergebe. Zusätzlich zu den Geschenken zu Nourûz und zum Herbstfest Mehrgân solle er jährlich 200.000 Dînâr reines Gold, 10.000 Ballen Stoffe von jeder Qualität aus der dortigen Produktion, arabische Pferde, gesattelte Maulesel und Reiseausrüstung jeder Art als Abgabe zahlen.
Amîr Mas’ûd – Gott möge Wohlgefallen an ihm finden! – nahm seine Entschuldigung an, belohnte den Gesandten reichlich und befahl, auf den Namen Bû Dscha’far-e Kâkû (‚Alâ‘ od-Doule) eine Urkunde über Sepâhân und Umgebung auszustellen. Außerdem stellte man ein kostbares Ehrengewand her und sandte es ab.
Ende der Erzählung des Sekretärs Tâher, die Beyhaqî wiedergegeben hat. Fortsetzung folgt …
Nachsatz
Die heutige Nacherzählung ist zwar nur kurz, und es passiert nicht allzu viel. Trotzdem finde ich sie köstlich. Natürlich ist die Ausdrucksweise von Mas’ûds Botschaft auch mit meinen Vereinfachungen noch gewöhnungsbedürftig. Aber es dürfte Ihnen nicht entgangen sein, daß Mas’ûd seinem Gegner nicht nur vorwirft, daß er nicht von Anfang an kapituliert hat, sondern ihm auch unverhohlen droht, sollte er in Zukunft auf dumme Gedanken kommen.
Ich frage mich ja, ob das den guten ‚Alâ‘ od-Doule sonderlich beeindruckt hat, denn zu diesem Zeitpunkt stand Mas’ûds Thronanspruch auf sehr wackligen Füßen. Er konnte also noch gar nicht über die beachtliche ghaznavidische Streitmacht verfügen und auch nicht sicher sein, daß sich das in naher Zukunft ändern würde. Für mich klingen seine Drohungen deshalb nach ziemlich viel heißer Luft. 😉
Nun, wir werden noch sehen, wie sich die Geschicke der westlichen Provinzen unter Mas’ûds Herrschaft weiter entwickelten.
Noch schöner finde ich den Umgang mit der Fürbitte des Kalifen, der ja formal der Oberherr aller muslimischen Herrscher war. Aber auch über das Verhältnis der Ghaznaviden zum Kalifen werden Sie noch das eine oder andere hören. 🙂
Quelle
Beyhaqī, Ḫvāǧe Abū l-Fażl Moḥammad b. Ḥoseyn: Tārīḫ-e Beyhaqī. Hrsg. v. ʿAlī Akbar Fayyāż. Mašhad 1350 š/1971. S. 15-17.
Abu’ l-Fażl Beyhaqi: The History of Beyhaqi: The History of Sultan Mas’ud of Ghazna, 1030-1041. 3 vols. Transl. with a historical, geographical, linguistic and cultural commentary and notes by C.E. Bosworth. Fully revised and with further commentary by Mohsen Ashtiany (= ILEX Foundation Series; 6). Cambridge, MA/London: Harvard University Press, 2011. Bd. 1. S. 97f.
Khalifeh-Soltani, Iradj/Susanne Kurz: „Band 5 des Tārīḫ-e Beyhaqī in deutscher Übersetzung“. In: Spektrum Iran 3 (2006) 23-72. S. 30f.
Bildnachweis
E-Book-Cover: Linda Woods
Shutterstock.com: aopsan
Malek-Bibliothek Teheran: Hs. Nr. 3865, Tārīḫ-e Beyhaqī, S. 117-118.
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