Wesir der Seldschuken: Für den Nezâm wird es brenzlig

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Zwischen den Jahren 1079 und 1084 waren die Machtposition des Nezâm und sein Verhältnis zum Sultan mehrfach erschüttert worden: Von der Ermordung eines Geschäftspartners durch seine Feinde im Jahr 1079 über einen mißglückten Mordanschlag, eine weitere Intrige im Jahr 1081 und die Ermordung seines ältesten Sohnes auf Befehl des Sultans im Jahr 1082 bis hin zu einer erneuten Intrige im Jahr 1084 hatten die Ereignisse immer wieder gezeigt, daß sich weder die Anhänger des Nezâm noch er selbst in Sicherheit wiegen konnten und der Sultan geneigt war, den Feinden des Wesirs sein Ohr zu leihen.

Im Endeffekt hatte sich zwar trotz alledem das Verhältnis zwischen Sultan und Wesir zumindest oberflächlich wieder beruhigt, doch die Ereignisse zeigen auch, daß Malek-Schâh die Machtfülle seines Wesirs zuweilen mit Unmut betrachtete. Auf die Dauer versprach das weitere Spannungen, schon weil es die Feinde des Nezâm am Hofe und in der Verwaltung zu immer neuen Vorstößen gegen ihn ermutigte.

Gefährliche Feinde

Spätestens seit dem Jahr 1088 zählte zu diesen Feinden auch die Sultansgattin Torkân Châtûn (auch: Terken Châtûn), der man großen Einfluß auf Malek-Schâh nachsagte. Der Grund für ihre erbitterte Feindschaft gegen den Nezâm war seine Position in der Thronfolgeregelung.

Im Jahr 1088 war nämlich der zum Thronfolger bestimmte Prinz Ahmad gestorben, ein Sohn der Torkân Châtûn. Nun stellte sich also die Frage erneut, wer Malek-Schâh nachfolgen sollte. Der Nezâm hielt den nunmehr ältesten und bis dahin fähigsten Sohn des Sultans – Barkyaruq (auch: Berk-Yaruq) – für den geeigneten Kandidaten. Immerhin war er zu diesem Zeitpunkt schon sieben oder acht Jahre alt.

Doch Torkân Châtûn wollte begreiflicherweise ihre zukünftige Stellung als Mutter des Sultans nicht aufgeben – schließlich war das damals der beste und meist einzige Weg für eine Frau, nennenswerte Macht auszuüben. Daher wollte sie ihren kleinen Sohn Mahmûd als Thronfolger sehen, der zu dieser Zeit noch kaum ein Jahr alt war. Nur neigte der Sultan hier der Ansicht des Nezâm zu, und das gefiel der Châtûn gar nicht.

Torkân Châtûns Wesir Tâdsch ol-Molk Abo l-Ghanâ’em (arabisch: Tâdsch al-Mulk Abu l-Ghanâ’im) wiederum machte sich jahrelang sowohl bei Malek-Schâh als auch beim Nezâm liebkind und bekam vom Sultan nach und nach eine ganze Reihe wichtiger Verwaltungsämter übertragen. Er war nicht nur ein wichtiger Verbündeter der Sultansgattin, sondern auch selbst am Sturz des Nezâm interessiert, da er gern Wesir des Sultans werden wollte.

Nur war er schlau und vermied die Gefahren, denen sich frühere Intriganten ausgesetzt hatten. Stattdessen ging er langsam und bedacht vor und gab dem Nezâm keinen Anlaß, ihn frühzeitig aus dem Verkehr zu ziehen. Lieber intrigierte er heimlich, still und leise gegen den Wesir und zog immer mehr Befugnisse an sich.

Mörderische politische Gegner

In manchen Quellen wird eben dieser Tâdsch ol-Molk mit den gefährlichsten politischen Gegnern des Seldschukenreiches in Zusammenhang gebracht, den schiitischen Ismailiten. Sie unterhielten mit dem Fatimidenkalifat zu dieser Zeit in Nordafrika, Ägypten und Teilen Syriens ein Gegenkalifat zu den Abbasiden in Bagdad (s. Kurze Geschichte des Kalifats).

Zugleich sandten sie Missionare auf das Reichsgebiet der Seldschuken, die als Sunniten und Unterstützer der Abbasiden ihre Gegner waren. So versuchten sie, das Seldschukenreich und auch dessen Verwaltung zu unterwandern. Wenn behauptet wird, es hätten Verbindungen in die seldschukische Reichsverwaltung bestanden, ist das also nicht völlig abwegig.

Einer dieser ismailitischen Missionare war der berüchtigte Hasan-e Sabbâh. Er nahm den Seldschuken im Jahr 1090 die Bergfestung Alamût südlich des Kaspischen Meeres ab, sammelte Anhänger und eroberte weitere Festungen – auch in anderen Regionen. Aufgrund ihrer Stellungnahme für einen Sohn des damaligen Fatimidenkalifen namens Nizâr wird diese Gruppierung nach dem Jahr 1094 als Nizârîs bezeichnet.

Die späteren Nizârîs waren es auch, die eine neue Methode des Kampfes gegen politische Gegner einführten: den Mord unter Einsatz des eigenen Lebens. Daher stammt die bekanntere Bezeichung Assassinen (zu denen ich bei Gelegenheit auch noch einen Beitrag verfassen möchte).

Verständlicherweise war der Nezâm ein erklärter Gegner der Ismailiten und sah es auch mit Besorgnis, daß immer mehr Personen in der seldschukischen Verwaltung arbeiteten, die er im Verdacht ismailitischer Gesinnung hatte – insbesondere natürlich seine Gegner.

Im Jahr 1092 schließlich wurden zwei Heereskommandos gegen Hasan-e Sabbâhs Festungen geschickt, eines davon direkt gegen Alamût. Es bestand demnach für die Ismailiten im Seldschukenreich zu dieser Zeit über die grundsätzliche Feindschaft hinaus ein sehr konkreter Anlaß, die Spitzen der seldschukischen Regierung zum Teufel zu wünschen. Das sollte sich für den Nezâm als fatal erweisen.

Eine verhängnisvolle Konfrontation mit dem Sultan

Doch auch zwischen Sultan und Wesir herrschte trotz aller Einigkeit in der Frage der Thronfolge keineswegs eitel Sonnenschein. Vielmehr ist ein atemberaubender Schlagabtausch zwischen den beiden überliefert, der wahrscheinlich nach dem Tod des ersten Thronfolgers stattgefunden hat – sicher ist der genaue Zeitpunkt aber nicht.

Nachdem ein Enkel des Nezâm, der von seinem Großvater einen Statthalterposten bekommen hatte, den Militärstatthalter des Sultans wegen eines Streits festgenommen hatte, verlor der Sultan die Beherrschung und ließ dem Nezâm folgende Botschaft zukommen:

Du hast dich zum Herrn über mein Reich gemacht und hast meine Länder unter deine Söhne und Eidame und Hörigen verteilt, als ob du mein Teilhaber am Reiche wärest! – Willst du, daß ich befehle, das Schreibzeug des Kanzleramts aus deinen Händen wegzunehmen, und daß ich die Leute von deinen Übergriffen befreie? (Schabinger, S. 118f)

Darauf antwortete der Nezâm:

Saget dem Sultan: hast du erst heute erkannt, daß ich im Reiche dein Gesellschafter und in der Regierung dein Teilhaber bin? – Fürwahr, mein Schreibzeug ist mit deiner Krone verbunden: wenn du es wegnimmst, wird sie dir weggenommen, und wenn du es entreißest, wird sie dir entrissen! (Schabinger, S. 119)

Diese Antwort soll dem Sultan wortgetreu überbracht worden sein. Es dürfte kaum verwundern, daß dieser Wortwechsel in den Quellen zwar in unterschiedlicher Ausführlichkeit, aber immer als einer der Gründe für die dramatische Verschlechterung der Beziehung zwischen Sultan und Wesir angeführt wird.

Vorbereitungen für eine Regierung ohne den Nezâm?

Im Jahr 1091 kam Malek-Schâh dann auf die Idee, mehrere Spitzen seiner Verwaltung dazu aufzufordern, eine Art Handbuch der Regierungskunst zu verfassen. Darin sollten sowohl die im Reich bereits gängigen Maßnahmen aufgeführt werden als auch Verbesserungsvorschläge enthalten sein. Unter den Männern, die sich dieser Aufgabe widmen sollten, waren auch der Nezâm und Tâdsch ol-Molk.

Diese Information stammt je nach Handschrift vom Nezâm selbst oder einem weiteren Verfasser des Vorworts zum „Buch der Staatskunst“ (Siyâsat-Nâme). Dieses bis heute erhaltene Buch ist das Ergebnis der Bemühungen des Nezâm um ein Regierungshandbuch.

Der je nach Handschrift einzige oder zweite Verfasser des Vorworts teilt auch mit, daß der Nezâm zunächst nur 39 Abschnitte aus dem Stegreif geschrieben, das Buch danach aber noch um 11 Abschnitte und Zusätze zu den früheren Kapiteln erweitert habe, weil er über die „Feinde der Herrschaft“ (mochâlefân-e în doulat) besorgt gewesen sei. (Übersetzung Schabinger, S. 157-159; Siyâsat-Nâme, S. 3-8)

Die „Feinde der Herrschaft“, um die es in den fraglichen Abschnitten geht, sind die Ismailiten. Der Nezâm vermutete ja auch, daß seine Gegner in der Verwaltung Ismailiten waren oder zumindest mit diesen sympathisierten. Diese „volle“ Version des Siyâsat-Nâme wurde aber erst längere Zeit nach dem Tode des Nezâm bekannt. Nach dem, was dem Nezâm zugestoßen war und was sich danach zutrug, hatte man nicht gleich gewagt, es öffentlich zu machen.

Vor dem Hintergrund der zunehmend ungnädigen Stimmung des Sultans gegenüber dem Nezâm fragt man sich unwillkürlich, wie Malek-Schâh nach fast zwanzig Jahren Herrschaft plötzlich auf die Idee kam, ein solches Handbuch in Auftrag zu geben. Wollte er vielleicht sicherstellen, daß Wissen und Können des Nezâm seiner Herrschaft weiterhin zur Verfügung stünden, auch wenn der Wesir selbst nicht mehr im Amt oder am Leben wäre? Spielte er gar mit dem Gedanken, den Nezâm doch noch abzusetzen? Oder wartete er auf eine „natürliche“ Lösung des Problems?

Wir wissen es nicht. Vielleicht trifft nichts von alledem zu. Doch die weiteren Ereignisse boten reichlich Anlaß zu Spekulationen, wie wir noch sehen werden.

Ausblick

Die letzte Folge der Nezâm-ol-Molk-Serie wird bis ins Neue Jahr auf sich warten lassen. Dafür bekommen Sie dann auch einiges geboten: Mord und Totschlag, Verschwörungstheorien und die kriminalistischen Aufklärungsversuche der Forscher. Seien Sie gespannt!

P.S.

Wie Sie bemerkt haben, enthält dieser Beitrag wieder kein Bild von der seldschukischen Freitagsmoschee in Esfahan wie letzte Woche in Aussicht gestellt. Das liegt daran, daß ich davon nur Dia-Aufnahmen aus dem Jahr 1999 habe – leider keine Papierabzüge, die ich einscannen könnte. Das heißt, ich muß die Dias erstmal digitalisieren lassen. Wenn das erledigt ist, sollte mir das aber einen eigenen Beitrag wert sein. Versprochen.

Literatur und Quellen

Susanne Kurz: „Der Hof des Nizâm al-Mulk“. Unveröffentlichte Magisterarbeit, Universität Tübingen, 2001 (S. 54-57, 68-70).

In dieser Arbeit verwendete Literatur und Quellen:

Chvândamîr, Ghiyâs od-Dîn b. Homâm od-Dîn: Dastûr ol-vozarâ‘. Hg. Sa’îd-e Nafîsî. Tehrân 1317 š./1938, S. 165f.

Glassen, Erika. Der mittlere Weg: Studien zur Religionspolitik und Religiosität der späteren Abbasidenzeit. Wiesbaden 1981.

Ibn al-‚Adîm, Kamâl ad-Dîn Abû l-Qâsim ‚Umar. Bughyat at-talab fî ta’rîch Halab: At-tarâdschim al-châssa bi-târîch as-Salâdschiqa. Hg. Ali Sevim. Ankara 1976, S. 85f.

Ibn al-Athîr: Al-Kâmil fi t-ta’rîch. Hg. C. J. Tornberg. 13 Bde. Leiden 1851-1876. 10. Bd. Nachdr. Bayrût 1386 H/1966, S. 205.

Khalifeh-Soltani, Iradj. „Das Bild des idealen Herrschers in der iranischen Fürstenspiegelliteratur dargestellt am Beispiel des QÁbÙs-NÁmé“. Diss. Tübingen 1971.

Mîrchvând, Mohammad b. Châvand-Šâh-e Balchî: Rouzat os-safâ. Hg. Ketâbforûšî-hâ-ye Markazî, Chayyâm u. Pîrûz. 4. Bd. Tehrân 1339 š./1960-1, S. 675-677.

Mostoufî-ye Qazvînî, Hamdollâh b. Abû Bakr b. Ahmad b. Nasr. Târîch-e gozîde. Hg. ‚Abdolhoseyn Navâ’î. 2. Aufl. Tehrân 1362 š/1983-4, S. 437f.

Seyf ed-Dîn Hâdschdschî b. Nezâm-e ‚Oqeylî: Âsâr ol-vozarâ‘. Be tashîh-o ta’lîq-e Dschalâl ed-Dîn-e Hoseynî-ye Ormavî. Tehrân 1337 š./1958. S. 209f.

Râvandî, Mohammad b. ‚Alî b. Soleymân. Râhat as-Sudûr wa Âyat as-surûr dar târîch-e Âl-e Saldschûq. Hg. Mohammad Eqbâl. Mit Anhang u. Indices v. Modschtabâ Mînovî. Tehrân 1364 š./1985-6, S. 133f.

Schabinger, Anhang.

Tâdsch ad-Dîn Abû Nasr ‚Abd al-Wahhâb b. ‚Alî b. ‚Abd al-Kâfî as-Subkî: Tabaqât aš-Šâfi’iyya al-kubrâ. Hrsg. v. ‚Abd al-Fattâh Muhammad Hulw u. Mahmûd Muhammad at-Tanâhî. 2. Aufl., 1412 h./1992. Bd. 4. S. 322, 325f.

Zakkar, Suhayl. „Biographie de Nizâm al-Mulk de Kamâl al-Dîn Ibn al-‚Adîm“. BEO 24 (1971): 227-248.

Sonstige direkt verwendete Literatur und Quellen

Nezâm ol-Molk, Abû ‘Alî al-Hasan b. ‘Alî b. Eshâq-e Tûsî: Siyar ol-Molûk (Siyâsat-nâme). Hg. Hubert Darke. 2. Aufl. Tehrân 1364 š./1985. Vorwort, S. 3-8.

Karl Emil Schabinger Freiherr von Schowingen: Das Buch der Staatskunst: Siyâsatnâma. Aus dem Persischen übersetzt und eingeleitet von Karl Emil Schabinger Freiherr von Schowingen. Zürich 1987. Einleitung, S. 104, 106, 109f, 111, 112f, 118f, 120. Vorwort, S. 157-159.

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