Säufer und Ästhet: Der Mogulherrscher Dschahângîr und sein Vermächtnis

Dschahângîr auf dem Thron

Dschahângîr auf dem Thron

Nûr ed-Dîn Dschahângîr hatte im Alter von 30 Jahren im Jahr 1599 gegen seinen Vater Akbar rebelliert und drei Jahre später Akbars engsten Vertrauten, Abo l-Fazl-e ʿAllâmî, auf dessen Rückreise von Südindien an den Mogulhof ermorden lassen.

Damals hieß der spätere Mogulherrscher Dschahângîr noch Salîm. Bei den indischen Timuriden war diese Rebellion gegen den alternden Vater eine Premiere, die aber schnell Schule machte. Doch besonders über den Mord an Abo l-Fazl soll Akbar entsetzt gewesen sein.

Trotzdem versöhnte er sich wieder mit seinem Ältesten, als dieser 1603 an den Hof zurückkehrte. Das hatte Salîm nicht zuletzt seinen weiblichen Verwandten zu verdanken, die sich bei Akbar für ihn eingesetzt hatten.

Akbar ließ den unbotsamen Sohn zwar für ein paar Tage einsperren, aber nicht so sehr als Bestrafung, sondern vielmehr zu Entzugszwecken. Salîm war zu diesem Zeitpunkt nämlich schon schwer trunksüchtig.

Indischer Weinpokal, Moguln, 18. Jh., Louvre

Indischer Weinpokal, Moguln, 18. Jh., Louvre

Dabei hatte Salîm nach seiner eigenen Schilderung erst mit 18 Jahren zu trinken begonnen. Zu diesem Zeitpunkt hatte er sich auf einer Jagd stark verausgabt, und man empfahl ihm Wein als Mittel gegen die Erschöpfung. Das vom Wein erzeugte Gefühl fand er angenehm, und so begann er regelmäßig zu trinken.

Schließlich genügte ihm Wein nicht mehr, und er begann härtere Spirituosen zu trinken. Nach neun Jahren erreichte sein Alkoholkonsum mehr als 1,5 l doppelt destillierten Schnaps am Tag.

Zu diesem Zeitpunkt zitterten ihm so stark die Hände, daß er den Trinkpokal nicht einmal mehr selbst halten konnte. Einer der Hofärzte teilte ihm daraufhin mit, daß ihm in wenigen Monaten nicht mehr zu helfen wäre, sollte er so weiter trinken.

Das machte Eindruck auf Salîm, und er begann, seinen Alkoholkonsum zu verringern. Einerseits verminderte er die Menge, die er trank, andererseits mischte er nun den Schnaps zunehmend mit Wein. Zusätzlich ersetzte er einen Teil des Alkohols durch ein Opiat und später durch Opium.

Dschahângîrs Grabmal in Lahore

Dschahângîrs Grabmal in Lahore

Die auf diese Weise erreichte Alkoholmenge hielt er dann dauerhaft ein. Dennoch war er gesundheitlich bereits mit Anfang fünfzig (im Jahr 1622) so angeschlagen, daß er seine Memoiren nicht selbst weiterschreiben konnte. Im Jahr 1627 starb er schließlich mit 58 Jahren an einer Erkrankung.

1605 war er seinem Vater nach dessen Tod auf den Thron gefolgt. Wie das kam, erzähle ich Ihnen ein anderes Mal. Bei seiner Thronbesteigung wählte er den Ehrentitel „Nûr ed-Dîn“ („Licht der Religion“), um seinen Wechsel von der Sonnen- und Feuerverehrung zur Lichtsymbolik zu markieren. Außerdem nahm er den Thronnamen „Dschahângîr“ („Welteroberer“) an.

Als Sohn und Nachfolger einer außergewöhnlichen Persönlichkeit wie Akbar versuchte Dschahângîr offenbar gar nicht erst, einen ausgeprägten eigenen Herrschaftsstil zu entwickeln.

Im wesentlichen blieb er der Herrschaftsideologie seines Vaters treu und initiierte auch neue Mitglieder in Akbars Religion, der er vorstand. Auch der neue Kalender und die von Akbar eingeführten Festlichkeiten sowie das Hofzeremoniell blieben unangetastet.

Dennoch verstand Dschahângîr sich selbst ganz klar als Muslim und pflegte besonders mit den Sufis (islamischen Mystikern) gerne Umgang. Dem Hinduismus stand er zwiespältig gegenüber – und das obwohl seine Mutter eine Rajputenprinzessin war. Die Rajputen waren hinduistische Kriegerfürsten.

Daß Dschahângîr sogar drei Söhne seines Bruders von den Jesuiten taufen ließ, erinnert spontan an das Interesse seines Vaters Akbar an Religionsdiskussionen mit den Jesuiten.

Hauptsächlich war es jedoch eine politische Maßnahme: Einerseits wollte Dschahângîr den Portugiesen damit seinen guten Willen signalisieren, andererseits sicherstellen, daß seine Neffen keine Chance hatten, je den Mogulthron zu besteigen. Neu war die Nutzung religiöser Signale zu politischen Zwecken natürlich nicht.

Dagegen war es durchaus ungewöhnlich, daß Dschahângîr anders als sein Vater und Großvater und die meisten seiner Nachfolger keine offizielle Hofchronik in Auftrag gab. Stattdessen schrieb er selbst ein Tagebuch, das er mehrfach abschreiben und illustrieren ließ und an seine Höflinge verschenkte.

Dieses Dschahângîr-nâme („Buch Dschahângîrs“), das auch „Tuzok-e Dschahângîrî“ („Dschahângîrs Regularien“) genannt wird, ist im Stil an die Memoirens eines Urgroßvaters Bâbor (1483-1530) angelehnt und gibt uns einen tiefen Einblick in Dschahângîrs Persönlichkeit und Weltsicht.

Hier lernen wir Dschahângîr als hochgebildeten Herrscher kennen, der sich für Naturphänomene interessiert, eigene Experimente durchführt und mit guter Beobachtungsgabe alle möglichen Ereignisse notiert, die ihm aus irgendeinem Grunde merkwürdig erscheinen. Eine Kostprobe stelle ich Ihnen demnächst in einem anderen Beitrag vor.

Womöglich steht das Fehlen einer Reichschronik auch mit Dschahângîrs neuer Strategie in Zusammenhang, die Herrschaftsideologie nicht so sehr durch Texte als durch Bilder zu vermitteln.

Unter seiner Herrschaft war das Hofatelier ebenso produktiv wie innovativ und nahm auch europäische Anregungen auf: Seit dieser Zeit wurden die Mogulherrscher auf Gemälden Dschahângîrs Lichtmetaphorik entsprechend häufig mit Glorienscheinen um die Häupter abgebildet. Ein unverkennbarer, vor allem bei Porträts sehr realistischer Stil entstand.

Auch die Metaphorik der einzelnen Gemälde ist häufig sehr reichhaltig und nicht immer leicht zu entschlüsseln. Verhältnismäßig einfach geht das noch bei einer Abbildung, die Dschahângîrs freundschaftliches Verhältnis zu dem zeitgleich in Iran herrschenden Safaviden-Schâh ʿAbbâs I. (1587-1629) darstellt:

Dschahângîr und Schâh ʿAbbâs I.

Dschahângîr und Schâh ʿAbbâs I.

Der Löwe und das Lamm stehen zwar für ein friedliches Zusammenleben, doch es ist leicht erkennbar, daß Dschahângîr größer, reicher und mächtiger wirkt. Schâh ʿAbbâs wird in fast unterwürfiger Haltung gezeigt, während Dschahângîr von oben auf ihn herabschaut. Zusätzlich steht Dschahângîr auch noch auf dem Löwen.

Dschahângîr scheint also auch viel für Malerei übrig gehabt zu haben. Jedenfalls hat er sie ausgiebig gefördert und für seine Zwecke genutzt. Er mag zeitlebens ein Säufer gewesen sein, aber er war auch ein Ästhet.

Quellen und Literatur

Jahangir, Salîm Nûruddîn: The Jahangirnama. Memoirs of Jahangir, Emperor of India. Translated by Wheeler M. Thackston, New York [u.a.]: Oxford Univ. Press, 1999. 185.

Heike Franke: Akbar und Ǧahāngīr. Untersuchungen zur politischen und religiösen Legitimation in Text und Bild. Schneefeld: EB-Verlag, 2005 (Bonner Islamstudien, 12).

Bildnachweis

Beitragsbild = Dschahângîr auf dem Thron:
Quelle: Wikimedia Commons
gemeinfrei

Weinpokal:
Quelle: Wikimedia Commons
Autor: Marie-Lan Nguyen
gemeinfrei

Dschahângîrs Grabmal:
Quelle: Wikimedia Commons
Autor: Airknight at English Wikipedia
Creative-Commons-Lizenz 3.0
unverändert übernommen

Dschahângîr und Schâh ʿAbbâs:
Quelle: Wikimedia Commons
gemeinfrei

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