Nichts begeistert mich mehr als ein schönes, zündendes Aha-Erlebnis. Ich meine den Moment, wenn mir blitzartig ein Zusammenhang klar wird und ich plötzlich etwas verstehe, was mir vorher nicht klar war. Oder DASS mir etwas nicht klar war. Manchmal habe ich bis zu dem Aha-Moment einfach nicht darüber nachgedacht. Manchmal ergibt er sich beiläufig in einem Gespräch nach Jahren des “Halb-Verständnisses”.
(Das ist besonders gefährlich, denn beim “Halb-Verständnis” glaubt man nur, man hätte etwas verstanden, obwohl man es noch gar nicht richtig erfaßt hat. Also sucht man nicht weiter und kommt so vielleicht nie zum vollen Verständnis.)
Jedenfalls war dieses Semester für mich ziemlich reich an interkulturellen Aha-Erlebnissen. Die will ich Ihnen nicht vorenthalten. Darum hier eines, das ich schon vor ein paar Wochen hatte, mir aber für das Ende der Vorlesungen aufgespart habe. Denn ich wollte es in der Abschlußsitzung eines Seminars verwenden, um den Teilnehmern deutlich zu machen, was sie von der Beschäftigung mit Historiographie haben können. Im Idealfall jedenfalls.
Das Aha-Erlebnis sah folgendermaßen aus:
Vor wenigen Jahren hatte ich begonnen, eine iranische Fernsehserie über Scheich Bahâ’î (1546-1622) anzuschauen. Das war ein wichtiger schiitischer Gelehrter der Safavidenzeit, der auch den bekannteren Theosophen Mollâ Sadrâ (1572-1641, “Schule von Esfahân”) unterrichtet haben soll.
Uns war diese Serie wärmstens empfohlen worden. Also hatten wir sie uns angeschafft. Da ich grundsätzlich gern Filme sehe, sind iranische Filme und Serien eine schöne Möglichkeit für mich, meine Sprachkenntnisse zu erweitern.
Biographien bekannter Persönlichkeiten mag ich auch. Denn ich finde es inspirierend zu sehen, wie solche Menschen es geschafft haben, zu Persönlichkeiten zu werden, deren Biographien man schreibt oder verfilmt.
Zurück in Deutschland, begannen wir also, uns die Serie anzuschauen. Wie üblich hat sie seeehr viele Teile. Fernsehserien werden nicht nur in Iran gern in die Länge gezogen. Auch türkische Fernsehserien haben oft diese Eigenart und werden auch in persischer Synchronfassung in Iran gezeigt – über Satellit natürlich.
Wir starteten also mit den Jugendjahren von Scheich Bahâ’î bis zu dem Punkt, wo der Junge mit seiner Familie seine Heimat im Libanon verlassen muß und nach Iran kommt.
Jetzt war ich gespannt, wie sich der intelligente Junge zu dem bekannten Gelehrten entwickeln würde. Doch als wir uns den nächsten Teil der Serie vornahmen, war ich bitter enttäuscht: Die erste Szene zeigte einen erwachsenen Scheich Bahâ’î im fortgeschrittenen Alter als fertigen Gelehrten.
An diesem Punkt stieg ich aus. Ich fühlte mich in meinen Erwartungen enttäuscht und war frustriert darüber, daß mir der interessanteste Teil der Biographie vorenthalten wurde. Wir brachen die Serie ab.
Dann kam das Sommersemester 2016, und ich las anläßlich meines Seminars über arabische und persische Historiographie auch ein sehr kompaktes und informatives Überblickswerk erneut.
Darin wird erläutert, was mir eigentlich schon bekannt war: Daß Biographien in der islamischen historiographischen Tradition das Typische, Beispielhafte an den Personen hervorheben und sie durch Nennung der Lehrer und Schüler in eine Tradition einordnen.
Es geht dabei nicht um die Besonderheiten der Individuen oder um deren besondere Entwicklung mit den zugehörigen Einflüssen. Das liegt daran, daß man annahm, jeder Mensch komme mehr oder weniger schon so zur Welt, wie er später sei.
Die persönliche Entwicklung in Kindheit und Jugend ist also wenig interessant, da sie ja nur gewissermaßen automatisch das hervorbringt, was man in dem Erwachsenen erkennen kann, wenn er Bedeutung erlangt hat.
Als ich mit meiner Lektüre wieder an dieser Stelle angekommen war, fiel es mir wie Schuppen von den Augen (ja, ich finde, dieses Sprachbild paßt hier wirklich am besten!): Genau diesem Muster folgte anscheinend auch der Handlungsgang in der Scheich-Bahâ’î-Serie! Ein uraltes, traditionelles Muster, das offenbar auch heute noch Anklang findet. Zumindest bei manchen Zuschauern.
Die Gestaltung der Serie ist also nicht einfach “doof”, wie ich das mit meiner enttäuschten, aber klar modern-westlichen Erwartung zunächst empfunden hatte. Sie ist nur anders, weil sie anderen Konventionen folgt. Auch die haben in ihrem eigenen kulturellen Kontext ihre Berechtigung.
P.S.:
Im Grunde paßt das auch ganz gut zu einer anderen Beobachtung, die jeder macht, der sich mit den iranischen Geisteswissenschaften auseinandersetzt. Doch dazu und zu meinem diesbezüglichen Aha-Erlebnis aus dem Jahr 2014 komme ich ein anderes Mal.
Für heute möchte ich Sie nur noch darauf hinweisen, daß es wahrscheinlich demnächst ein paar Änderungen auf diesem Blog gibt. Es kann noch ein paar Wochen dauern, aber ich hoffe, es wird Ihnen gefallen. Seien Sie gespannt! 🙂
Bildnachweis
Beitragsbild: Grabmal von Scheich Bahâ’î
Quelle: Wikimedia Commons
Autor: Lovej
Lizenz: Creative-Commons 3.0
unverändert übernommen
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