Ramadan (Gastbeitrag von Claudia Preckel)

Momentan fahre ich jeden Tag mit der Bahn nach Münster. Aufgrund der Baumaßnahmen am Hauptbahnhof muss man den Ausgang „Bremer Platz“ benutzen und durch einen längeren Fußgängertunnel laufen, um zur Innenstadt zu gelangen. In diesem Tunnel spielen häufig Straßenmusiker, und meist bitten auch einige Obdachlose um eine Spende.

Vor ein paar Tagen ging eine Schulklasse vor mir zum Bahnhof. Es waren viele muslimische Schülerinnen mit unterschiedlichen Arten der Kopfbedeckung dabei.

Als wir an einem Obdachlosen vorbeigingen, warfen zwei Jugendliche ein paar Münzen in seinen Becher. Eine ihrer Mitschülerinnen fragte erstaunt, warum die beiden das gemacht hätten. Einer der jungen Männer sagte daraufhin völlig überzeugt und mit großer Selbstverständlichkeit: „Es ist doch Ramadan“.

Spenden im Ramadan

Ich fand es beeindruckend, dass den Jugendlichen bewusst war, dass es im Ramadan nicht nur um das Fasten zwischen Sonnenaufgang und Sonnenuntergang und das anschließende meist sehr ausgiebige Essen geht, sondern auch darum, Almosen (zakât oder die „Pflichtabgabe“) bzw. sadaqa („freiwillige Abgabe“) zu zahlen. Zakât, also die „Almosensteuer“, wie sie in der älteren Fachliteratur genannt wird, ist eine der fünf Säulen des Islam. Ihre Höhe hängt von der Art des Vermögens (Schmuck, Gold, Vieh) ab – in der Vergangenheit ist darüber auch viel gestritten worden.

Zakât al-Fitr

Im Ramadan gibt es zusätzlich das zakât al-fitr, etwa „die Spende zum Fastenbrechen.“ Der Grundgedanke ist, dass auch mittellosen Menschen die Gelegenheit gegeben werden soll, das große Fest am Ende des Ramadan (ʿîd al-fitr) zu feiern. Sie soll für die Gläubigen eine (geistige, moralische) „Reinigung“ sein oder ein Ausgleich für eventuelle Verfehlungen in der Fastenzeit (z.B. durch Nicht-Einhalten der Vorschriften).

Iftâr in Istanbul

Iftâr in Istanbul

Je nach Rechtsschule wird diese Spende für jeden Muslim (ob männlich oder weiblich) als „obligatorisch“ (wâdschib) oder „gesicherter Brauch“ (sunna mu’akkada) eingestuft. Von der Rechtsschule hängt es auch ab, ob es dem einzelnen Gläubigen gestattet sein sollte, die Abgabe auch als Bargeld zu zahlen.

Eigentlich war es nämlich so angelegt, dass man ein sâ‘ (etwa vier Handvoll) Datteln, Weizen, Gerste, Rosinen oder trockenen Hüttenkäse geben soll, also Dinge, die zu den Grundnahrungsmitteln gehören. Die Spende soll ein oder zwei Tage vor dem ‘îd gegeben werden. Wie die Almosensteuer ist auch das zakât al-fitr nach Sure 9 („Die Buße“), Vers 60 für folgende Personen bestimmt:

Die Almosen sind nur für die Armen und Bedürftigen (bestimmt), (ferner für) diejenigen, die damit zu tun haben, (für) diejenigen, die (für die Sache des Islam) gewonnen werden sollen … für (den Loskauf von) Sklaven, (für) die, die verschuldet sind, für den heiligen Krieg (wörtlich: den Weg Gottes) und (für) den, der unterwegs ist (oder: (für) den, der dem Weg (Gottes) gefolgt (und dadurch in Not gekommen) ist; wörtlich: Den Sohn des Wegs).
(Der Koran, Übersetzung von Rudi Paret, 5. Aufl.)

Spenden an Nicht-Muslime

Der berühmte salafistische hadîth-Gelehrte Nâsir ad-Dîn al-Albânî (st. 1999) war der Ansicht, dass die Pflichtabgabe (zakât) immer nur an (bedürftige) Muslime zu gehen habe, während freiwillige Spenden (sadaqa) auch an Nicht-Muslime gegeben werden dürften.

Abû Hanîfa, Begründer der hanafitischen Rechtsschule, auf die sich die Mehrheit der türkischen, zentralasiatischen und südasiatischen Muslime beruft, führte folgenden Koranvers zur Erlaubnis der zakât-Spende an Nicht-Muslime an (Sure 60, „Die Prüfung“, Vers 8):

Gott verbietet euch nicht, gegen diejenigen pietätvoll und gerecht zu sein, die nicht der Religion wegen gegen euch gekämpft, und die euch nicht aus euren Wohnungen vertrieben haben. Gott liebt die, die gerecht handeln.
(Der Koran, Übersetzung von Rudi Paret, 5. Aufl.)

In diesem Sinne hoffe ich, dass alle Muslime letzte Woche ein gesegnetes Opferfest feiern konnten. Wenn man das im Vorfeld wünschen möchte, sagt man: ʿÎd mubârak!

Dr. Claudia Preckel ist Islamwissenschaftlerin an der Ruhr-Universität Bochum und erreichbar unter claudia.preckel@rub.de.

Bildnachweis

Beitragsbild:
Quelle: Wikimedia Commons
Autor: Ahmed Rabea
Creative-Commons-Lizenz 2.0

Iftâr-Bild:
Quelle: Wikimedia Commons
Autor: balavenise
Creative-Commons-Lizenz 2.0

3 Kommentare

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