Der arme gehörnte Mann – ‚Obeyd-e Zâkânîs Ehebruchwitze (Teil 4)

Wie in der letzten Folge angedeutet, machen sich arabische und persische Ehebruchwitze nicht nur über die gehörnten Ehemänner lustig. Sie spiegeln außerdem Ängste wider, die sich auch in anderen Texten finden lassen. Selbstverständlich wollte niemand eine so lächerliche Figur abgeben wie die gehörnten Ehemänner in den Witzen.

Die Angst vor dem Gehörntwerden

In einem weiteren humoristischen Werk des ‚Obeyd-e Zâkânî, den „Hundert Ratschlägen“ (sad pand), zeigt ein tief ironischer Ratschlag das Ausmaß, das die Furcht vor dem Gehörntwerden annehmen konnte:

Schämt euch nicht, weil ihr gehörnt werdet, dann könnt ihr am Tag ohne Kummer und in der Nacht ohne Sorge leben! (Zâkânî, S. 320, Nr. 49)

Wenn ein Mann allen Kummer und alle Sorge loswerden kann, indem er die Scham über den Ehebruch seiner Frau(en) ablegt, dann müssen dieser Kummer und diese Sorge wirklich beherrschend sein!

Natürlich ist das, wie in humoristischen Texten üblich, eine Übertreibung. Doch einen wahren Kern hat dieser Ratschlag. Auch das kommt häufig vor. Man findet diesen wahren Kern schnell, wenn man ein wenig in anderen Literaturgattungen herumliest.

Eine andere Quelle: Ethikliteratur auf persisch

Besonders eindrücklich finde ich Aussagen aus der persischen Ethikliteratur. Es handelt sich dabei um Werke, die aus der philosophischen Tradition stammen. Hier wurden zunächst griechische Werke des Platon und Aristoteles verarbeitet, mit islamischen Vorstellungen harmonisiert und auf arabisch in eine neue Form gegossen.

Die persischen Texte nahmen dann nach und nach immer mehr Elemente aus der Fürstenspiegelliteratur und der Schönen Literatur auf. Außerdem wurden religiöse Quellen wie der Koran und die Prophetentradition stärker bemüht. Noch ziemlich am Anfang der persischen Entwicklung steht ein philosophisches Ethikwerk des bekannten Universalgelehrten Nasîr ed-Dîn-e Tûsî (st. 1274): „Die Nâser-Ethik“ (achlâq-e nâserî), die übrigens nicht nach dem Verfasser benannt ist, sondern nach dem Patron.

Nasîr ed-Dîn-e Tûsî und die Angst vor den Frauen

Um zum Punkt zu kommen: In Tûsîs Ethik findet man im Kapitel über die Führung eines Haushalts auch Passagen über den Umgang mit Frauen und die Erziehung von Töchtern. Als ich sie zum ersten Mal gelesen habe, hatte ich spontan den Eindruck, daß nackte Angst um die Vormachtstellung der Männer aus den Zeilen spricht. Bis heute hat sich dieser Eindruck bei mir gehalten. Aber machen Sie sich selbst ein Bild!

Nachdem Tûsî ausführlich erklärt hat, welche Merkmale eine geeignete Ehefrau aufweisen sollte, fügt er hinzu, was den Mann auf keinen Fall zur Ehe mit einer Frau veranlassen soll. Dazu gehört unter anderem ein nennenswertes Vermögen der Frau:

Ebenso soll der Besitz der Frau nicht dazu führen, daß man sie begehrt, denn der Besitz der Frauen bedingt bei ihnen, daß sie die Oberhand gewinnen und beherrschend werden und andere in Dienst nehmen wollen und überlegen sind, und wenn der Mann den Besitz der Frau verwendet, wird er für sie auf der Stufe eines Dieners und Gehilfen stehen. Sie wird ihm dann kein Gewicht mehr beimessen und ihn nicht mehr hochschätzen. (S. 216)

Hier wird schon deutlich, daß Tûsî die selbstverständlich als natürliche Ordnung der Dinge vorausgesetzte Herrschaft des Mannes über seine Ehefrau keineswegs als fest und sicher betrachtet. Schon die Wahl einer wohlhabenden Frau bringt den Mann in akute Gefahr, die Macht in der Ehe zu verlieren.

Dazu muß man wissen, daß nach islamischem Recht der Mann dazu verpflichtet ist, für das Auskommen der gesamten Familie aufzukommen. Dagegen darf die Frau ihr Geld für sich selbst behalten – auch wenn man von ihr erwartete, daß sie in Notzeiten nicht darauf bestand. Daraus, daß der Mann die Familie allein zu versorgen hat, ist auch unmißverständlich seine Vorrang- und Herrschaftsstellung in der Familie abgeleitet.

Deshalb ist der Verlust des Alleinversorgerstatus tatsächlich eine ernste Bedrohung der Vormachtstellung des Mannes innerhalb der Familie. Heutzutage hat man zwar den Eindruck, daß nicht wenige muslimische Männer diesen Zusammenhang nicht kennen oder bewußt vergessen. Tûsîs Warnung davor, eine Ehefrau zu nehmen, die wohlhabender ist als der Mann, ist vor diesem Hintergrund aber durchaus begründet.

Hat man einmal passend geheiratet, so ist die Sache jedoch noch lange nicht ausgestanden. Auch der Umgang mit der Ehefrau will gelernt und wohlbedacht sein. So muß der Ehemann unter anderem darauf achten, daß er seiner Ehefrau Respekt einflößt:

Das ist der wichtigste Grundsatz im Umgang mit der Ehefrau, denn wenn es bei diesem Grundsatz zu Mängeln kommt, so eröffnet sich der Frau ein Weg zum Verfolgen ihrer eigenen Launen und Wünsche. Damit wird sie sich nicht begnügen, sondern sie wird sich den Ehemann unterwerfen und ihn zum Mittel der Erfüllung ihrer Wünsche machen. Durch seine Unterwerfung und dadurch, daß sie ihn sich zum Diener macht, wird sie ihre Ziele erreichen. Also wird der Befehlshaber zum Befehlsempfänger und diejenige, die gehorchen soll, zu derjenigen, der man gehorcht (…). Das Ende dieses Zustands ist Tadel, Schmach und Schande für beide. (S. 217)

Hier geht es also schon wieder darum, den Mann vor Machtverlust innerhalb der Ehe zu bewahren. Durch diese Ratschläge zieht sich ein Faden der Furcht davor, daß die Frau ihrem Ehemann die Zügel aus der Hand nehmen und ihn unterwerfen könnte. Da dies nicht geschehen darf, muß er sich sogar vor allzu großer Zuneigung zu seiner Frau hüten:

(Der Ehemann soll sich hüten) Vor allzu großer Liebe zur Frau, denn dadurch gewinnt die Frau notwendigerweise die Oberhand, und er muß ihre Launen über das Wohl seiner Angelegenheiten stellen. Wenn er aber von der Prüfung der Liebe zu ihr befallen wird, so soll er es vor ihr verbergen und es so einrichten, daß sie es auf keinen Fall merkt. (S. 219)

Sogar die Liebe zur Ehefrau ist also eine Schwäche, die der Ehemann besser vermeiden sollte, will er nicht untergebuttert werden. Falls Sie bisher den Eindruck gewonnen haben, daß Tûsî Ehefrauen für brandgefährlich hält, so wird es Sie sicher nicht erstaunen, daß er es außerdem für notwendig hält, die Frau ständig beschäftigt zu halten. Anderenfalls kommt sie nämlich auf falsche Gedanken:

Wenn also die Frau von der Haushaltsführung und der Kindererziehung und der Überprüfung der Angelegenheiten der Diener frei ist, so wendet sich ihr Eifer Dingen zu, die zu Mängeln im Haushalt führen. Sie fängt an, sich damit zu beschäftigen auszugehen, sich zum Ausgehen zu schmücken, zu Spektakeln zu gehen und fremde Männer anzuschauen, so daß nicht nur die Angelegenheiten des Haushalts vernachlässigt werden, sondern auch dem Ehemann in ihren Augen keine Hochachtung und kein Respekt mehr zukommen. Vielmehr wird sie ihn, wenn sie andere Männer sieht, als armselig und minderwertig betrachten und sowohl mutig werden, was die Durchführung übler Handlungen angeht, als auch begehrliche Männer dazu ermutigen, ihr hinterherzusteigen (…). (S. 218)

Mich hat an dieser Passage immer fasziniert, wie selbstverständlich Tûsî davon ausgeht, daß der Anblick fremder Männer die Ehefrau automatisch dazu bringt, ihren Ehemann gering zu schätzen. Auf die Idee, sie könnte beim Anblick fremder Männer vielleicht heilfroh über den Ehemann sein, den sie abbekommen hat, scheint er überhaupt nicht zu kommen.

Da fragt man sich schon, ob das lediglich heißen soll, daß verbotene Früchte immer süßer schmecken. Oder ob hier nicht auch eine Art kollektiver Minderwertigkeitskomplex der Ehemänner zum Vorschein kommt, die sich im Vergleich mit jedem anderen Mann von vornherein unzulänglich fühlen.

In jedem Fall dürfte anhand dieser Zitate klar geworden sein, daß Männer ihre Herrschaft über die eigene Ehefrau nicht für unerschütterlich gehalten haben dürften und auch nicht glaubten, sich auf deren Treue und Gehorsam verlassen zu können.

Vielmehr lebten diese Männer in einer Welt, in der sie zwar einerseits für jedes Fehlverhalten ihrer Frauen und weiblichen Angehörigen mit schlimmster Verachtung gestraft wurden und sich sofort lächerlich machten, wenn sie den geringsten Zweifel an ihrer Durchsetzungsfähigkeit aufkommen ließen. Andererseits war ihnen aber klar, daß Frauen mit einem eigenen Willen ausgestattet sind und man sie nicht problemlos zu Wohlverhalten zwingen kann. Stattdessen mußten die Männer geschickt und vorsichtig vorgehen und durften auch zuhause keine Blöße zeigen.

Man könnte fast Mitleid mit diesen armen Männern bekommen, wenn sie nicht in ihrer Angst vor Schimpf und Schande allerlei unwürdige Maßnahmen erfunden hätten, um Frauen unter Kontrolle zu halten. Was Tûsî zur Erziehung von Mädchen zu sagen hat, ist nur ein Beispiel dafür:

Man muß sie dazu erziehen, im Haus zu bleiben, und zur Absonderung von den Männern, zur Bescheidenheit, Keuschheit und Schamhaftigkeit sowie zu den anderen Charaktereigenschaften, die wir bezüglich der Frauen aufgezählt haben, und man soll sie vom Lesen und Schreiben abhalten, (…). (S. 229)

Bildung nämlich ist Macht, und die darf man als Mann auf keinen Fall in die Hand von Frauen geben. So jedenfalls würde ich Tûsîs Ausführungen zum Umgang mit Frauen zusammenfassen. Daß sich auch bei diesem Frauenbild noch andere Lösungen anboten, will ich Ihnen in der nächsten und wahrscheinlich letzten Folge dieser Mini-Serie vorführen.

P.S.

Die deutschen Übersetzungen aus Tûsîs Ethikwerk sind von mir. Nageln Sie mich aber bitte nicht auf einzelne Wörter fest. Tûsîs Vokabular hat es in sich, und ich habe schnell übersetzt. Über einige Feinheiten wird man sich daher streiten können, nicht aber über die Kernaussagen.

Quellen

Zâkânî, Nezâm ed-Dîn ‚Obeydollâh: Kolliyyât-e ‚Obeyd-e Zâkânî/Collected Works. Ed. by Mohammad-Ja’far Mahjoub. New York: Bibliotheca Persica Press, 1999. (Madschmû’e-ye Motûn-e Fârsî; Selsele-ye Nou, Schomâre-ye 2/Persian Text Series; New Series, no. 2).

Tûsî, Châdsche Nasîr ed-Dîn: Achlâq-e Nâserî. Be tanqîh-o tashîh-e Modschtabâ Mînovî u. ‚Alî-Rezâ Heydarî. Tschâp-e avval. Tehrân: Scherkat-e Sahâmî-ye Enteschârât, 2536 šš./1356 š./1978.

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