Die verborgene Prinzessin

In den letzten Jahren haben wir am Internationalen Frauentag immer eine Liste unserer Publikationen zu bedeutenden muslimischen Frauen veröffentlicht. Mit unseren Forschungen wollen wir zeigen, dass muslimische Frauen in der Vergangenheit oft über viel Einfluss und Handlungsspielraum in der von Männern dominierten Welt der Herrscherhöfe hatten.

Im Mittelpunkt dieses Beitrags steht abereine Frau, deren Freiheit und Handlungsspielraum von einem Mann massiv eingeschränkt wurde: Zeb-un-Nisâ Begum (1638-1702). Der Mann, der sie schließlich mehr als 20 Jahren einsperrte, war ihr eigener Vater, der Mogulherrscher Aurangzeb ‚Alamgîr (st. 1707).

Zeb-un-Nisâs Vater Aurangzeb

Aurangzeb war der Urenkel des berühmten Mogulkaisers Akbar (st. 1605). Unter Aurangzebs Herrschaft hatte das Mogulreich seine größte Ausdehnung. Im heutigen Indien hat Aurangzeb einen denkbar schlechten Ruf. Ihm wird religiöser Fanatismus und Gewalt gegen andere Religionsgemeinschaften nachgesagt. So soll er die Zerstörung einiger Hindu-Tempel angeordnet haben, die „Kopfsteuer“ (jizya) für Nicht-Muslime eingeführt und die Aufstellung hinduistischer Götterstatuen verboten haben. Außerdem ließ er wahrscheinlich mehrere Familienmitglieder hinrichten. Es ist durchaus glaubwürdig, dass Aurangzeb diese ihm vorgeworfenen Taten wohl wirklich begangen hat beziehungsweise diese in Auftrag gab. Eine Beurteilung der historischen Figur Aurangzebs steht jedoch noch aus. Doch zurück zu Aurangzebs Tochter Zeb-un-Nisâ.

Zeb-un-Nisâs Familie

Wie alle seine Vorgänger und Nachfolger hatte Aurangzeb mehrere Ehefrauen, namentlich bekannt sind uns vier. Seine Hauptfrau war seine erste Ehefrau Dilrâs Bâno Begum (st. 1657). Dilrâs Bâno gehörte zur Herrscherdynastie Persiens, den Safaviden. Die Moguln pflegten seit Akbars Vater Humâyûn enge Beziehungen mit den persischen Herrschern – schließlich hatte Humâyûn am Hof der Safaviden Zuflucht gefunden, nachdem er beinahe das ganze Mogulreich im Krieg verloren hatte. Die Ehe von Dilrâs Bâno und Aurangzeb war also ganz klar eine politische Entscheidung.

Die Quellen berichten leider nicht viel Persönliches über Dilrâs Bâno und ihr Leben an der Seite Aurangzebs. Schon kurz nach der Eheschließung verließen der Mogulprinz Aurangzeb und Dilrâs Bâno Agra und ließen sich in Daulatabad nieder, weil Aurangzeb zu diesem Zeitpunkt Vizekönig des Dekkan war.

Bereits neun Monate nach der Hochzeit brachte Dilrâs Bâno am 15. Februar 1638 ihr erstes Kind zur Welt: Zeb-un-Nisâ. Es folgten die Geburten von zwei weiteren Töchtern (Zînat-un-Nisâ und Zubdat-un-Nisâ) und zwei Söhnen (Muhammad ‘Azam Schâh und Sultân Muhammad Akbar). Nach der Geburt von Muhammad Akbar im Jahr 1657 erkrankte Dilrâs Bâno am Kindbettfieber, woran sie schließlich einen Monat später starb.

Zeb-un-Nisâ – Lieblingskind von Aurangzeb

Schon kurz nach ihrer Geburt wurde deutlich, dass Zeb-un-Nisâ Aurangzebs Lieblingskind war. Auf ihre Erziehung und Bildung legte ihr Vater besonderen Wert. Das betraf vor allem ihre religiöse Ausbildung. Wie üblich begann sie im Alter von etwa vier Jahren, den Qur’ân auswendig zu lernen. Mit sieben Jahren war sie eine Hafiza, sie beherrschte den gesamten Text des Koran auswendig. Ihr Vater ließ zu dieser Gelegenheit in Delhi große Feierlichkeiten ausrichten und Geld an die Bedürftigen verteilen.

Zeb-un-Nisâ bekam eine Lehrerin für Arabisch. Sie lernte die Sprache in vier Jahren und schrieb viele Verse auf Arabisch. Auch für Persisch wurde ihr ein Tutor zugeteilt. Er leitete sie beim Schreiben von Gedichten an. Mit dem Geld, das sie von ihrem Vater erhielt, lud sie berühmte Dichter an den Hof ihres Vaters ein.

Zeb-un-Nisâ wurde nicht nur in Literatur und Dichtung ausgebildet, sondern auch in Mathematik und Astronomie. Außerdem beherrschte sie die Kunst der Kalligraphie und kopierte viele Bücher.

Zeb-un-Nisâ‘ wird erwachsen

Aurangzeb, der sich nach Darstellung der Quellen immer mehr zu einem strikt religiösen Menschen entwickelte, förderte seine älteste Tochter und hörte in vielen Angelegenheiten auf ihren Rat. Als Aurangzeb 1659 zum Mogulherrscher gekrönt wurde, war Zeb-un-Nisâ 21 Jahre alt. Sie durfte sogar an vielen Beratungen Aurangzebs mit seinem Hofstaat teilnehmen. Dort erschien sie immer verschleiert.

Zwischen Zeb-un-Nisâ und ihrem Vater kam es im Laufe der Zeit allerdings zu einigen Konflikten. Während Aurangzeb wie erwähnt ein striktes Bild vom Islam verfolgte, fühlte sich Zeb-un-Nisâ dem mystischen Islam verbunden. Deshalb verstand sie sich besonders gut mit ihrem Onkel Dârâ Schukoh (st. 1659), der ebenfalls ein islamischer Mystiker war. Von ihrem Großvater Schâh Dschahân war Zeb-un-Nisâ mit Dârâs Sohn Sulaimân Schukoh verlobt worden. Diese Ehe mit ihrem Cousin kam jedoch nicht zustande, weil Dârâ Schukoh von Aurangzeb als Hauptkonkurrent um den Mogulthron angesehen wurde. Aurangzeb ließ zunächst seinen ältesten Bruder Dârâ hinrichten und bestieg den Thron. 1662 wurde dann Sulaimân Schukoh hingerichtet.

Nach dem Tod Sulaimân Schukohs gab es weitere Bewerber, die Zeb-un-Nisâ heiraten wollten. Darunter waren auch einige hochrangige persische Prinzen. Eine Ehe kam jedoch nicht zustande.

Eine Affäre in Lahore?

1666 erkrankte Aurangzeb schwer, und seine Ärzte empfahlen ihm einen Ortswechsel. Der gesamte Hofstaat reiste daraufhin von Delhi nach Lahore. Dort traf Zeb-un-Nisâ auf ‚Aqîl Khân, den Sohn des Gouverneurs (Wazir) von Lahore. Einige Quellen berichten, dass Zeb-un-Nisâ und ‚Aqîl Khân eine kurze Beziehung hatten. Aurangzeb hat diese (angebliche) Affäre entdeckt und begann Zeb-un-Nisâ zu misstrauen. Einerseits holte er ihren Rat nicht mehr ein, andererseits missfiel ihm ihr Lebensstil und vor allem ihr Interesse an Poesie, Musik und islamischer Mystik. Vor allem aber schien er davon überzeugt, dass Zeb-un-Nisâ auf der Seite ihres jüngeren Bruders Muhammad Akbar stand, der gegen 1681 gegen den Vater rebellierte und dessen Absetzung forderte.

Zeb-un-Nisâs Gefangenschaft

Schließlich ließ Aurangzeb seine Tochter Zeb-un-Nisâ im Fort von Salimgarh am Rand des heutigen „Old Delhi“ unter Hausarrest stellen. Dort lebte Zeb-un-Nisâ die letzten zwanzig Jahre ihres Lebens. In dieser Zeit verfasste sie zahlreiche Verse und Gedichte unter ihrem Künstlernamen „Makhfî“. Bezeichnenderweise bedeutete der Name „Der/die Verborgene“.

Ihr Gedichtband (Diwân) wurde erst 1929 in Delhi gedruckt und bereits 1913 teilweise ins Englische übersetzt.

Während ihrer Gefangenschaft unterstützte Zeb-un-Nisâ weiterhin andere Dichter und wohltätige Zwecke – bis Aurangzeb ihr alle Geldmittel kürzte.

Zeb-un-Nisâs Tod

Nach über 20 Jahren Gefangenschaft starb Zeb-un-Nisâ 1701 nach einer kurzen Erkrankung. Ihr Vater Aurangzeb war zu diesem Zeitpunkt nicht in Delhi. Zeb-un-Nisâ wurde in einem Garten in der Nähe des Forts bestattet. Als die Briten ab 1858 anfingen, die Eisenbahn in Old Delhi zu bauen, wurde Zeb-un-Nisâs Grab in den Gräberkomplex um Akbars Mausoleum in der Nähe von Agra verlegt.

Zeb-un-Nisâ und ihr Talent leben in ihren Gedichten weiter.

Ihr Aussehen wird anhand der Quellen so beschrieben:

„Sie war groß und schlank. Ihr Gesicht war rund und hatte einen hellen Teint, mit zwei Leberflecken oder Schönheitsflecken auf ihrer linken Wange. Ihre Augen und ihr volles Haar waren schwarz, und sie hatte dünne Lippen und kleine Zähne. Im Museum von Lahore gibt es ein zeitgenössisches Portrait von ihr, das sich mit dieser Beschreibung deckt. Sie färbte sich nicht die Zahnzwischenräume Schwarz und färbte sich nicht ihre Wimpern, obwohl das zu ihrer Zeit Mode war. Ihre Stimme war so schön, dass sie, wenn sie den Qur’ân rezitierte, ihre Zuhörer zu Tränen rührte. Ihre Bekleidung war stets einfach und schmucklos; als sie älter wurde, trug sie immer weiße Kleidung, und ihr einziger Schmuck war ein Perlenhalsband. In ihrem Verhalten war sie sehr bescheiden, freundlich, geduldig und philosophisch in ihrem Umgang mit Problemen.“

Einleitung zur englischen Ausgabe ihres Diwan, S. 14.

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