Bhopal – Ent-/Verschleiere Dich und herrsche, Teil II

Im ersten Teil dieser kleinen Serie habe ich die ersten drei der vier Herrscherinnen Bhopals vorgestellt und auf ihre Einstellungen und jeweilige Praxis der Verschleierung, der purdah, hingewiesen.In diesem Blogbeitrag soll es nun um die vierte Herrscherin, Sultân Dschahân Begum, gehen, die den Staat Bhopal von 1901-1926 beherrschte.

Eine „Infrastruktur für Verschleierte“ in Bhopal

Im ersten Beitrag war bereits erwähnt worden, dass Sultân Dschahân Begum sich seit der Heirat ihrer Mutter Schâh Dschahân Begum mit Muhammad Siddîq Hasan Khân völlig überworfen hatte. Die Briten unterstützten Sultân Dschahân Begum gegen ihren Stiefvater und forderten Schâh Dschahân Begum mehrfach auf, ihre Verschleierung abzulegen. Es sei nur der Wille Siddîq Hasan Khâns, dass Schâh Dschahân Begum verschleiert auftrete.

Obwohl Sultân Dschahân mit ihrer Mutter in vielen Bereichen uneinig war, beurteilten sie die Notwenigkeit der Verschleierung gleich: für eine muslimische Frau sei die Verschleierung vorgegeben. Nach ihrem Regierungsantritt 1901 schaffte Sultân Jahan Begum genau wie ihre Mutter zuvor eine Infrastruktur in Bhopal für purdah-Frauen. Dieses betraf vor allem den Bereich der Schulen und den Bereich der Gesundheitsversorgung. Mehrere von Sultân Dschahân gegründete bzw. erweiterte Krankenhäuer boten gynäkologische Behandlungen und Geburtshilfe für purdah-Frauen an. Die Madrasa Sulaimânîya bildete muslimische Mädchen – auch in purdah – in Urdu, Geographie, Mathematik und Hauswirtschaft aus. Im Prince of Wales Club gab es spezielle Angebote und Arrangements für Frauen der Hofelite in purdah.

Hijab: Or Why Purdah is Neccesary

Sultân Dschahân setzte sich jedoch auch theoretisch mit dem Thema Verschleierung auseinander. 1917 veröffentlichte sie ihr Urdu-Werk Purdah, das 1922 in englischer Übersetzung unter dem Titel Hijab: Or Why Purdah is Necessary in London veröffentlicht wurde. Es ist damit ein seltener und früher Beitrag einer muslimischen Frau zu diesem Thema. In diesem Buch begründete Sultân Dschahân die Notwendigkeit der Verschleierung anhand koranischer und prophetischer Überlieferungen. Doch das sei nicht alles. Der Islam hätte mit der Verschleierung der Frau dafür gesorgt, dass sich Übel in der Gesellschaft, wie z.B. das Trinken (von Alkohol) nicht verbreiten könnten. Diese Übel seien übrigens – wie die Begum feststellte – auch in Indien alarmierend auf dem Vormarsch. Das Beste für die zivilisierte Welt sei somit, das purdah-System zu unterstützen, denn alle Nationen könnten davon profitieren. (Preckel 2000: 186).

Keine Entschleierung! Sich für Frauen Engagieren!

Sultân Dschahân ging in ihrem Werk jedoch nicht nur auf religiöse Quellen ein, sondern setzte sich auch mit bekannten Reformern ihrer Zeit auseinander, die sich über die Situation der Frauen in Südasien äußerten. So kritisierte Sultân Dschahân Begum den muslimischen Autor Nazîr Ahmed (st. 1912), der den Roman Mir’at al-‘urûs („Der Brautspiegel“) verfasst hat. Wie die Begum forderte auch er die Bildung und Ausbildung muslimischer Mädchen und Frauen, setzte aber den Lehren der religiösen Reformbewegungen seiner Zeit und den alten muslimischen Eliten die Vision einer „bürgerlichen Gesellschaft“ (Pernau 2008) entgegen. Das purdah-System stellte Ahmed in seinen Schriften nicht in Frage.

Sultân Dschahân Begum warf dennoch Ahmed und anderen (nicht namentlich erwähnten) „freiheitsliebenden Männern“, ihre Frauen zur Aufgabe der purdah zu zwingen:

“ Derweil wird einigen dieser Frauen, die das nicht für sich selbst entscheiden können, die Autorität ihrer freiheitsliebenden Ehemänner aufgezwungen, die purdah aufzugeben. Dieses Übel ist noch nicht sehr verbreitet, selbst in diesem Segment der Gesellschaft, die von diesen Ideen betroffen ist; dennoch haben einige Familien den Schleier für eine moderne Selbstdarstellung (Engl. Show) und Mode aufgegeben, und ich wünschte, diese emanzipierten Damen hätten stattdessen ihre neu gewonnene Freiheit stattdessen, wie ihre westlichen Schwestern, dazu genutzt, für das materielle Wohlergehen ihrer Leute zu arbeiten. Sie hätten Schulen eröffnen bzw. in ihnen arbeiten sollen – oder Medizin studieren sollen.“

Es sollte hier deutlich geworden sein, dass Sultân Dschahân Begum niemals den Schleier als Hinderungsgrund erachtete, für die Bildung und Ausbildung muslimischer Frauen zu arbeiten. Ihr Gesellschaftsbild orientierte sich eindeutig an islamischen Werten. Sie betrachtete den Schleier auch nicht als Symbol der Abgrenzung gegenüber westlichen (=britischen) Werten, sondern bewunderte die britischen Frauen für ihr soziales Engagement und ihr Wissen im medizinischen Bereich.

Nach 25 Jahren Herrschaft übergab Sultân Dschahân Begum die Herrschaft an ihren jüngsten Sohn Hamîdullâh Khân (st. 1960), der den Staat bis 1956 regierte, als Bhopal der Indischen Union beitrat. Zu diesem Zeitpunkt legte Sultân Dschahân auch den Schleier ab – und sorgte dadurch dafür, dass ihre Schwiegertöchter und Enkelinnen sich auch nicht mehr öffentlich verschleierten.

Das Erbe der Begums – verschleiert oder nicht – ist bis heute in Bhopal sichtbar. Nochmals zusammengefasst: anhand dieser kleinen Serie über Bhopal sollte klar geworden sein, dass die Entscheidung für oder gegen die Verschleierung immer schon eine individuelle war. Frauen haben selbst an diesem Diskurs teilgenommen und ihre Argumentation dargelegt – diese sollten auch heutzutage angehört werden.

Literatur:

Preckel, Claudia: Begums of Bhopal. New Delhi: Roli Books, 2000.

Pernau, Margrit: Bürger mit Turban. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 2008.

Beitragsbild:

Sultan Jahan Begum: An Account of My Life, Vol. III. Bombay 1927, Rückseite der Titelseite.

 

7 Kommentare

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