Kurzbeitrag: Flüchtlinge und der Kulturschock

Wie Ihnen sicher schon aufgefallen ist, blogge ich grundsätzlich nicht über Tagespolitik, und das mit voller Absicht. Vielleicht erläutere ich bei Gelegenheit einmal die Gründe dafür.

Auch wenn es auf den ersten Blick so aussieht, macht dieser Beitrag nicht wirklich eine Ausnahme. Es geht mir nämlich nicht so sehr um Politik als vielmehr um Menschen und Kulturen – wie immer eben. Allerdings läßt sich das beim Thema Flüchtlinge kaum von Politik trennen. Daher fällt dieser Beitrag ein bißchen aus dem Rahmen.

Der heutige Beitrag ist auch sehr kurz. Ich muß nämlich bis zum Monatsende zwei Artikel für den ersten gedruckten Band des Perso-Indica Survey fertigstellen (mehr zu den Perso-Indica finden Sie hier) – und das neben sehr umfangreichen Vorbereitungen für Lehrveranstaltungen im Sommersemester und anderen Dingen.

Außerdem will ich dieses Wochenende meinen ersten Versuch für ein YouTube-Video zur Persophonie machen. Und wie Sie unschwer erkennen, ist das Wochenende schon fast wieder vorbei.

Das Video bekommen sie natürlich zu sehen. Spätestens dann, wenn die Serie fertig ist und von den Testzuschauern für gut befunden wurde. Anfangen werde ich mit einem Sprachthema. Aber wenn ich Spaß daran habe und genügend Zeit finde, soll ein richtiger YouTube-Kanal daraus werden.

Ursprünglich wollte ich also heute wieder einmal einen fremden Beitrag rebloggen. Nach einigem Suchen bin aber zu dem Schluß gekommen, daß es vielleicht interessanter ist, wenn ich einen kurzen Beitrag zum Thema Flüchtlingsintegration schreibe.

Neulich habe ich nämlich aus dem Fernsehen von einem sehr interessanten Projekt erfahren, das ein deutscher Journalist auf ntv gestartet hat.

Aufgrund langer Aufenthalte in arabischen Ländern bereits seit seiner Jugend spricht Constantin Schreiber fließend (und für meine Ohren ziemlich akzentfrei) Arabisch. Er weiß daher auch, wie groß der Kulturschock für Flüchtlinge aus Syrien und anderen arabischen Ländern ist, wenn sie nach Deutschland kommen. Ganz besonders wenn sie noch nie zuvor länger in Europa waren.

Deshalb erklärt er in einer Videoserie arabischsprachigen Flüchtlingen die deutsche Kultur auf arabisch. Dabei bringt er ihnen auch die hier geltenden Verhaltensregeln auf leicht verständliche Weise näher. Die Serie heißt “Marhaba – Ankommen in Deutschland” und enthält deutsche Untertitel. Sie können also auch verstehen, was er da erklärt.

Das halte ich sogar für sehr wichtig, denn nicht nur die Flüchtlinge brauchen dringend Informationen über die deutsche Kultur. Es wäre auch hilfreich, wenn hilfsbereite Deutsche systematisch über die Kultur der Flüchtlinge informiert würden. Nicht wenige Familien nehmen nämlich arabisch- und persischsprachige Flüchtlinge für längere Zeit in ihr Haus auf.

Diese Familien sind mit vielen Problemen konfrontiert. Hier sind zwei davon: Sie verstehen die Sprache ihrer Gäste nicht – und diese lernen ja erst langsam Deutsch – und kennen sich mit deren Kultur nicht aus. So geht es zum Beispiel dieser Bloggerin, die gleich drei afghanische Kinder auf einmal aufgenommen hat.

Ich bin nach Lektüre einiger Beiträge zwar nicht sicher, ob sie in Deutschland oder in der Schweiz lebt. Aber ich weiß, daß es genau diese Situation in Deutschland gibt.

Familien, die so etwas tun, sind bewundernswert. Finde ich jedenfalls. Aber werden sie von den Behörden, die ihnen die Kinder oder Jugendlichen zuweisen, auch mit genügend Informationen unterstützt? Ich habe Zweifel. Sicher geht es irgendwie auch so, wie der Fortsetzungsbeitrag zeigt.

Aber traumatisierte Kinder und Jugendliche aufzunehmen, mit denen man sich kaum verständigen kann, ist doch eigentlich Herausforderung genug. Da sollte man sich nicht auch noch die Basisinformationen über die Kultur der Gäste mühsam durch Mißverständnisse und Krisen erarbeiten müssen.

Vielleicht wäre es hilfreich zu wissen, daß nicht alle europäische Toiletten kennen und stattdessen Stehklos gewöhnt sind (siehe auch die diesbezügliche Erfahrung aus diesem Bericht).

Oder daß männliche Jugendliche, die aus einer Gesellschaft mit weitgehender Geschlechtertrennung kommen, nicht wissen, wie sie mit freizügig gekleideten halbwüchsigen “Gastschwestern” umgehen sollen.

Oder daß die Gäste eventuell hungrig zu Bett gehen, wenn man sie nicht mehrfach zum Essen auffordert.

Oder daß rote Ampeln nicht überall ernstgenommen werden.

Oder daß nicht in jedem Land nächtliche Ruhezeiten gelten (oder deren Nichtbeachtung keine Konsequenzen hat). Oder …

Mit solchen Basisinformationen hätten es alle leichter. Natürlich ist das Leben in einer Gastfamilie an sich der perfekte Ausgangspunkt für eine schnelle Integration. Trotzdem würden die Kinder und Jugendlichen schneller verstehen, was von ihnen erwartet wird, wenn ihre Gastfamilien es ihnen erklären könnten. Selbst ohne Sprachbarriere müßten sie dazu aber wissen, was überhaupt erklärungsbedürftig ist.

Ich weiß nicht, ob es eine ähnliche Video-Serie wie die von Constantin Schreiber auch auf persisch gibt. Aber auch Menschen, die mit persischsprachigen Flüchtlingen zu tun haben, können viel Nutzen aus dieser arabischen Serie mit deutschen Untertiteln ziehen. Denn hier wird ein Bewußtsein dafür geschaffen, in welchen Lebensbereichen die meisten Unterschiede bestehen. Und wie sie ungefähr aussehen.

Immerhin gibt es für alle persischsprachigen Flüchtlinge und ihre deutschen Helfer jetzt auch ein Online-Wörterbuch von Langenscheidt. Ich konnte noch nicht testen, wie gut es ist. Aber bei Langenscheidt erwarte ich zumindest, daß es besser ist als die bisher verfügbaren Online-Lösungen.

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12 Kommentare

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