Im letzten Teil dieser Mini-Serie haben wir festgestellt, daß zwar das Thema Ehebruch und untreue Ehefrauen in vielen Witzen vorkommt, daß aber längst nicht alle Witze das Bild treuloser Frauen zeichnen. Der Witz im letzten Teil war ein Beispiel dafür.
Trotzdem kommen die Frauen bei ‚Obeyd-e Zâkânî meist nicht so gut davon. Das zeigen nicht nur die Witze über Kuckuckskinder, die dem – mehr oder weniger – ahnungslosen Ehemann untergeschoben werden. Auch Witze mit nur allzu willigen Frauen sind nicht untypisch. Zum Beispiel dieser hier:
Ein Mann sah ein kleines Kind weinen und wie seine Mutter es liebkoste, es [aber] nicht still wurde. Da sagte er zu ihm: „Sei still, sonst ficke ich deine Mutter!“ Die Mutter sagte: „Er wird es nicht glauben, ehe er mit eigenen Augen sieht, was du sagst.“ (S. 240, Nr. 5)
Beachten Sie dabei auch, wie der Verlust der Ehre durch Verkehr eines Fremden mit der Mutter ganz beiläufig schon gegen einen kleinen Jungen als Drohung eingesetzt wird. Doch die Pointe und damit auch die Witzerzählung zielt hier auf die Reaktion der Mutter ab. Mit ihrer unerwarteten Bereitwilligkeit besiegt sie zwar den Fremden im Wortgefecht. Versteht man ihre Antwort jedoch nicht nur als Schlagfertigkeit, sondern nimmt sie ernst, so stellt die Frau sich selbst damit in ein schlechtes Licht.
Einen einzelnen Witz wie diesen kann man zwar so oder so verstehen. Doch bei ‚Obeyd gibt es noch zahlreiche weitere Witze und andere humoristische Kurzformen, die zumindest AUCH das wörtliche Verständnis nahelegen. Mehr dazu erfahren Sie in den nächsten Folgen.
Womöglich ist Ihnen aber schon aufgefallen, daß in diesem Witz kein betrogener Ehemann auftritt, auch wenn der Vater des Kindes sehr wahrscheinlich der Ehemann der Mutter ist. In diesem Witz ist auch nicht klar, ob er noch am Leben ist. Sex mit einem Fremden wäre aber selbstverständlich auch für eine Witwe Unzucht und somit verbotenes Verhalten. Schließlich ist für Muslime ebenso wie für Christen Geschlechtsverkehr mit Fremden Unzucht, auch wenn man selbst ungebunden ist.
Aber ich bin Ihnen für heute noch einen betrogenen Ehemann schuldig. 😉 Sie werden mir sicher zustimmen, daß man im nächsten Witz wirklich von einem „armen gehörnten Mann“ sprechen kann:
Dschuhâs Vater gab ihm zwei große Fische [und sagte]: „Verkaufe sie!“ Er zog durch die Gassen. Da kam er an die Tür eines Hauses. Eine hübsche Frau sah ihn. Sie sagte: „Gib mir einen Fisch, damit ich [dafür] einmal mit dir schlafe!“ Dschuhâ gab ihr den Fisch und schlief mit ihr, und es gefiel ihm. Er gab ihr den anderen Fisch und schlief noch einmal mit ihr. Danach setzte er sich auf die Schwelle des Hauses und sagte: „Ich möchte etwas Wasser.“ Die Frau gab ihm den Krug, und er trank und warf den Krug zu Boden, und er zerbrach. Plötzlich sah Dschuhâ ihren Ehemann von weitem [kommen] und begann zu weinen. Der Mann fragte: „Warum weinst du?“ Er antwortete: „Ich war durstig und bat in diesem Haus um Wasser, [aber] der Krug ist mir aus der Hand gefallen und zerbrochen. Ich hatte zwei Fische, die hat Madame als Pfand für den Krug genommen, und ich wage es aus Furcht vor meinem Vater nicht, nach Hause zu gehen.“ Der Mann schalt die Frau: „Was hat [denn] der Krug für einen Wert?“ Er nahm die Fische und gab sie Dschuhâ, so daß er unversehrt von dannen zog. (S. 267)
Nicht nur, daß der arme Kerl von Ehemann eine untreue Frau hat, die sich fremden Männern im Tausch für Fische anbietet. Am Ende gibt er dem Übeltäter auch noch den Preis für seinen Genuß zurück, weil er so ein anständiger Mensch ist. Die Frau hat sich also ganz umsonst prostituiert, und Dschuhâ ist der strahlende Sieger des Handels.
Er ist übrigens eine bekannte Figur aus arabischen Witzen, tritt aber auch in ‚Obeyds persischen Texten auf. Mit dem Verhältnis zwischen verschiedenen Schlitzohren in arabischen und persischen Witzen wie Dschuhâ und dem bekannteren Mollâ Nasreddîn (oder Nasreddin Hodscha) hat sich mein zweiter Doktorvater Ulrich Marzolph mehrfach beschäftigt. Seine Publikationen sind immer eine lohnende Lektüre, nicht nur wenn man sich für Humor interessiert.
Doch zurück zum Witz: Die Witzerzählung legt zwar nahe, daß Dschuhâ derjenige ist, der am meisten vom Verkehr mit der Frau profitiert. Immerhin ist sie hübsch und kann eine Bezahlung verlangen. Trotzdem wird sie auch ohne die Fische auf ihre Kosten gekommen sein, denn sie schlägt den Tauschhandel ja unaufgefordert vor.
So gesehen, ist der einzige echte Verlierer der gehörnte Ehemann: Seine Frau macht ihn zum Gespött, indem sie mit einem Fremden schläft, und der haut ihn übers Ohr, indem er ihn dazu bringt, ihm auch noch den dafür bezahlten Preis zurückzugeben.
Einerseits wirkt der betrogene Ehemann grundanständig, weil er Dschuhâ nicht wegen eines zerdepperten Kruges übervorteilen will. Andererseits fragt man sich, ob der Mann vielleicht einfach ein vertrauensseliger Trottel ist, wenn er seine eigene Frau so schlecht einschätzen kann und bei dieser Szene nicht mißtrauisch wird. Was der Leser wohl daraus schließen soll? „Traue deiner Frau nicht über den Weg?“ Dafür gibt es tatsächlich Anhaltspunkte.
Gehörnte Ehemänner machen in arabischen und persischen Witzen jedenfalls keine gute Figur und wurden wohl eher mit Schadenfreude betrachtet als mit Mitgefühl. Entweder erscheinen sie als Schwächlinge oder als Dummköpfe. Trotzdem waren sich Männer, wie es scheint, nur zu bewußt, daß es ihnen leicht ähnlich ergehen könnte. Doch dazu mehr in der nächsten Folge. 🙂
Quelle
Zâkânî, Nezâm od-Dîn ‘Obeydollâh: Kolliyyât-e ‘Obeyd-e Zâkânî šâmel-e qasâyed, ghazaliyât, qata’ât, robâ’iyyât, masnaviyyât. Moqâbele bâ noskhe-ye mosahhah-e Ostâd-e faqîd ‘Abbâs-e Eqbâl va tschand noskhe-ye dîgar. Šarh va ta’bîr va tardschome-ye loghât-o âyât-o ‘ebârât-e ‘arabî az Parvîz-e Atâbakî. Tschâp-e dovvom. Tehrân: Zavvâr, 1343 š./1964-5.
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