Weisheiten aus dem alten Persien: Schon Hâfez gab den Rat „Nimm’s leicht!“

Als ich zum ersten Mal dieses Zitat aus einer der Ghaselen des persischen Dichters Hâfez (Hafis, st. ca. 1390) hörte, fand ich es total unfair:

Goft âsân gîr bar chod kâr-hâ k-az rû-ye tab‘
Sacht mî-gîrad dschahân bar mardomân-e sacht-kûsch

گفت آسان گیر بر خود کارها کز روی طبع
سخت می گیرد جهان بر مردمان سخت کوش

Zu deutsch:

Er sagte: Nimm die Dinge leicht, denn von Natur aus/
Macht die Welt es den Menschen schwer, die sich schwer abmühen

Warum ich das unfair fand? – Nun, ich war der Überzeugung, man müsse sich anstrengen, wenn man etwas erreichen wolle. So hatte ich es gelernt. Daher war Anstrengung, war Mühe für mich etwas Verdienstliches. Wer sich Mühe gab, sich vielleicht sogar abmühte, wer es sich eben nicht leicht machte und sich mächtig anstrengte, der sollte eine Belohnung bekommen und nicht noch bestraft werden!

Damals war ich Anfang zwanzig und hatte natürlich nicht richtig aufgepaßt. Aber dazu komme ich gleich noch. Jedenfalls gehörte ich nicht zu den Menschen, die alles leicht nahmen und sich nicht anstrengen wollten. Denn das hielt ich für die falsche Methode, wenn man ein Ziel erreichen wollte – und das wollte ich.

Wie ich den Vers verstehen lernte

Dabei fiel mir vieles leicht. Sprachenlernen, zum Beispiel. Lesen auch. Und Schreiben. Außerdem fiel es mir leicht, mich ausdauernd und konzentriert mit Dingen zu beschäftigen, die mich interessierten oder sogar faszinierten.

Deshalb ist mir mein gesamtes Studium leichtgefallen: Weil ich ein Fach gewählt hatte, dessen Inhalte mich faszinierten und in dem man Dinge lernen mußte, die zu lernen mir leichtfiel. Natürlich habe ich mich oft anstrengen müssen, aber ich habe das nie als mühsam oder lästig empfunden. Daher fiel mir auch die Anstrengung leicht.

Nie wäre ich auf die Idee gekommen, Mathematik zu studieren oder Feinmechaniker zu werden. Es wäre doch dumm gewesen, einen Berufsweg zu wählen, der mir schwerfiele. Fand ich jedenfalls ganz selbstverständlich, ohne je bewußt darüber nachzudenken.

Hâfeziyye - Hâfezgrabmal in Schiras 1999 (eigenes Foto aus meiner unbeschwerten Studienzeit)

Hâfeziyye – Hâfez-Grabmal in Schiras 1999 (eigenes Foto aus meiner unbeschwerten Studienzeit)

Auch später habe ich die Erfahrung gemacht, daß mir immer das am leichtesten gelang, ja manchmal geradezu in den Schoß fiel, was ich eben nicht mit besonderer Anstrengung angestrebt hatte.

Das gilt für jede einzelne anspruchsvollere Arbeitsstelle, die ich bisher hatte. So unterschiedlich die Wege dahin waren, gab es doch eine Gemeinsamkeit: Ich hatte mich nicht darauf versteift, diese Stelle unbedingt haben zu müssen.

Auch bei der Wohnungssuche hat das funktioniert, und zwar wie aus dem Handbuch. So als hätten wir nur entspannt die Hand ausgestreckt, um uns die gewünschte Wohnung zu „pflücken“: Kurze Suche im Internet, Angebot sehen, Termin vereinbaren, einfach mal unverbindlich besichtigen – und bingo! Diese Wohnung sollte es sein. Und wurde es dann auch. Alles ohne große Anstrengung.

Dagegen funktionierte vieles nicht, was ich mit Willenskraft herbeizuzwingen versuchte, wofür ich viel Energie aufwendete und worin ich mich verbiß: Doktorandenstipendien, zum Beispiel,  die ich unbedingt zu brauchen glaubte, oder Arbeitsstellen, die ich zum jeweiligen Zeitpunkt dringend haben wollte.

Im Rückblick kommt es mir manchmal vor, als hätte besonders großer Energieaufwand, also heftiges Bemühen, eher zu Blockaden geführt als zum gewünschten Ergebnis. Nur ist mir das erst vor wenigen Jahren im Rückblick aufgegangen. Das geschah beim Nachdenken darüber, wie frühere Erfolge beim Auffinden eines Lebensunterhalts zu wiederholen wären.

Zurück zu Hâfez!

Irgendwann in diesem Prozeß klickte es, und mir fiel auf, daß Lockerlassen immer am besten funktioniert hatte. Und damit sind wir zurück bei dem Vers des Hâfez:

Er sagte: Nimm die Dinge leicht, denn von Natur aus/
Macht die Welt es den Menschen schwer, die sich schwer abmühen

Der hier zitierte „er“ wird übrigens als verständiger Mensch mit Sachkenntnis eingeführt, der diese Mahnung als geheime Weisheit weitergibt. Aber was sagt er eigentlich? Nicht das, was ich lange Zeit intuitiv verstanden habe.

Er sagt nämlich nicht, daß Mühe und Anstrengung schlecht seien oder daß irgendeine Instanz dieses eigentlich löbliche Verhalten bestrafe, statt es zu belohnen.  Es geht überhaupt nicht darum, daß jemand brav tut, was die Gesellschaft von ihm erwartet (nämlich sich anstrengen), und dafür durch besondere Härten des Lebens bestraft wird. Es ist auch keine Aufforderung zu Leichtsinn oder Faulheit.

Der zitierte und der vorhergehende Vers in einer Schmuckausgabe des Dîvâns

Der zitierte und der vorhergehende Vers in einer Schmuckausgabe des Dîvâns

Hâfez artikuliert in diesem Vers vielmehr genau das, was ich mit der Zeit selbst erfahren und im Rückblick wie eine Art Mechanismus empfunden habe: Daß nämlich eine verbissene innere Haltung, ein krampfhaftes Abmühen oft nicht zum Ziel führt. Wenn es dumm läuft, kommt sogar das Gegenteil heraus.

Hâfez sagt ja „von Natur aus“ macht die Welt es denen schwer, die sich heftig abmühen. Das ist kein Urteil über die Anstrengung, sondern die Formulierung einer Art Lebensregel. Diesen Aspekt hatte ich damals übersehen, als ich diesen Vers so unfair fand.

Mit anderen Worten heißt diese Regel: Je mehr Druck du machst und je verbissener und verkrampfter du bist, desto weniger gelingt dir und desto schwerer wird dir das Leben erscheinen. Lockerlassen heißt also die Devise! Oder eben: „Nimm’s nicht so schwer!“

Und wie macht man das?

Das ist allerdings leichter gesagt als getan – vor allem, wenn man einmal damit angefangen hat, sich von existentiellen Ängsten beherrschen zu lassen.

Deshalb bin ich seit längerem auf der Suche nach Methoden, wie sich die lockere Haltung, die ich in meiner eigenen Vergangenheit als so erfolgreich erlebt habe, bewußt herstellen läßt. Vor allem in Lebensbereichen, in denen ich gerade nicht (mehr) so locker bin.

Tatsächlich glaube ich mittlerweile, daß sich das mit der Zeit erreichen läßt. Aber es dauert, denn dazu muß man tiefsitzende Denkgewohnheiten aufbrechen und sich mit den eigenen Ängsten und Gefühlen beschäftigen. Und damit, wie man sie ganz langsam verändern kann. Sanft und locker, ohne Druck.

Ich mache zur Zeit zwei kleine Übungen, um insgesamt gelassener und entspannter zu werden:

  1. Wenn ich dabei bin, mich über etwas aufzuregen, das ich sowieso nicht ändern kann, versuche ich ans Lockerlassen zu denken. Ich sage mir dann: „Laß los! Es ist, wie es ist.“
  2. Um darin besser zu werden, lasse ich mehrmals am Tag kurz ganz bewußt los. Das heißt, ich schließe für einen Moment die Augen, entspanne bewußt alle Muskeln (vor allem im Gesicht!) und sage mir „Loslassen! Jetzt gerade ist alles egal.“ Sobald ich das Gefühl habe, daß es geklappt hat, mache ich die Augen wieder auf und weiter mit dem, was gerade ansteht.

Einen netten Beitrag zum Thema „Weniger anstrengen“ finden Sie auch auf meiner neuen Lieblingsseite für den Start in den Tag.

Bei meiner Suche nach geeigneten Techniken und Übungen ist mir aufgefallen, daß die dahinterstehenden Ideen meistens aus dem buddhistischen Denken oder der altindischen Philosophie stammen.

Doch nach einiger Zeit habe ich festgestellt, daß viele dieser hilfreichen Gedanken auch den Weisheiten entsprechen, die persische Dichter in Poesie gegossen haben.

Seite mit der ganzen Ghasele aus einer Schmuckausgabe des Dîvâns

Seite mit der ganzen Ghasele aus einer Schmuckausgabe des Dîvâns

Chronologisch dürfte die persische Dichtung zwar in der Regel jünger sein. Aber dafür hat sie eine besonders ansprechende Form gefunden, uns alte Weisheiten mitzuteilen, die auch modernen Menschen helfen können. Dabei, die Welt besser zu verstehen, und dabei, das Leben zu bewältigen.

Wenn Ihnen dieser Beitrag gefallen hat, dann werde ich in Zukunft weitere solcher Perlen mit Ihnen teilen, wann immer ich sie finde.

P.S.:

Zu Hâfez bekommen Sie auch noch irgendwann einen eigenen Beitrag. Mindestens einen. Das lohnt sich nämlich aus mehreren Gründen.

Quelle

Châdsche Schams ed-Dîn Mohammad: Dîvân-e Hâfez. Bd. 1: „Ghazaliyyât“. Hrsg. v. Parvîz Nâtel Chânlarî (Parviz Natel Khanlari). Tehrân: Chârazmî (Khwarazmi), 1362 sch./1983. Ghasel Nr. 281, S. 578f.

Bildnachweis

Beitragsbild: Erster Vers aus dem Dîvân des Hâfez
Quelle: Wikimedia Commons
Urheber: de:Benutzer:Der Kumpel vom Bashi Reloaded
Lizenz: Creative Commons 3.0
unverändert übernommen

Bild der Hâfeziyye in Schiras:
eigenes Bild

Auszüge aus einer Schmuckausgabe des Dîvâns:
eigene Bilder

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