Inschallah oder: Interkulturelle Mißverständnisse

Diese Woche haben wir in meiner Lektüreübung zu Witzen und humoristischen Anekdoten folgenden Witz übersetzt:

Dschuhâ (sc. eine bekannte Witzfigur, SK) ging zum Markt, um einen Esel zu kaufen. Da begegnete ihm ein Mann und fragte ihn: “Wohin des Weges?” Dschuhâ antwortete: “Zum Markt, um einen Esel zu kaufen.” Der Mann sagte: “Sag: ‘So Gott will (in-schâ’a-llâh)’!” Darauf Dschuhâ: “Das ist unnötig: Esel gibt es auf dem Markt, und das Geld habe ich in meinem Ärmel.”

Als er den Markt betrat, überfielen ihn Gauner und stahlen ihm sein Geld. Auf dem Rückweg begegnete ihm der Mann wieder und fragte: “Woher des Weges?” Darauf Dschuhâ: “Vom Markt, so Gott will. Mein Geld wurde gestohlen, so Gott will, und ich habe den Esel nicht gekauft, so Gott will. Jetzt kehre ich erfolglos und geschädigt nach Hause zurück, so Gott will!” (ʿObeyd, S. 241, Nr. 10)

Die Pointe ist recht klar: Dschuhâs Mangel an Demut wird durch den Diebstahl umgehend bestraft, und das schreibt er sich so sehr hinter die Ohren, daß er es jetzt maßlos übertreibt.

Daran sieht man schon, wie das in-schâ’a-llâh gemeint ist: Es soll zum Ausdruck bringen, daß Menschen trotz aller Planung und Zuversicht eben nicht in der Hand haben, wie das Leben verläuft. Frei nach dem Witz:

Lehrer: “Wie lautet die Vergangenheit zu ‘Der Mensch denkt und Gott lenkt?'” Fritzchen: “Der Mensch dachte, Gott lachte.”

Aber im Ernst: Gläubige Muslime sind selbstverständlich der Auffassung, daß Gott es ist, der alle Geschehnisse lenkt und letztlich über Erfolg oder Mißerfolg entscheidet. Und daß man das grundsätzlich auch sagen sollte.

Deshalb ist das Hinzufügen von in-schâ’a-llâh, wenn man über Pläne spricht, bei ihnen als Gewohnheit eingebürgert. Es ist häufig nur noch eine Formel, die automatisch verwendet wird, ohne daß sich der Sprecher viel dabei denkt.

Bei Angehörigen der westlichen Kulturen kommt das aber nicht immer so an. Kürzlich habe ich auf einer englischsprachigen Internetseite, auf der sich Leute, die eine Iranreise planen, mit erfahrenen Iranreisenden und Iranern austauschen können, von jemandem gelesen, daß er sich von dem ewigen in-schâ’a-llâh genervt fühlt.

Mir ging es am Anfang ähnlich, als ich meine ersten Erfahrungen vor allem mit älteren, religiös geprägten Menschen in Iran machte. Besonders dann, wenn ich über Pläne sprach und – ähnlich wie Dschuhâ in dem Witz – gesagt bekam: “Sag: en-schâ’a-llâh!” (Das ist die persische Aussprache.)

Auf mich wirkte das wie ein Eimer kaltes Wasser über den Kopf. Als wollte man mich in meiner Begeisterung oder Zuversicht ausbremsen. Schließlich enthält ein “So Gott will” am Ende eines Planes doch eine Einschränkung.

In unserer Kultur weiß man zwar ebenso gut wie in den verschiedenen islamischen Kulturen, daß Pläne schiefgehen können. Aber man rechnet nicht geradezu damit, solange es dafür keinen erkennbaren Grund gibt. Und man weist erst recht nicht jedes Mal ausdrücklich darauf hin.

Wer das tut, will damit etwas sagen. Zum Beispiel: “Planen kann man ja, aber ich glaube eigentlich nicht, daß das klappt.” Oder: “Planen wir mal, aber ich lege mich noch nicht fest, ob ich das auch wirklich machen will.” Oder anders ausgedrückt: “Schauen wir mal!” Das bedeutet entweder “nein” oder bestenfalls “vielleicht”, in jedem Fall aber: “Ich will jetzt nichts versprechen, weil ich im Moment nicht vorhabe, mich voll dafür einzusetzen, daß das Wirklichkeit wird.”

Mit anderen Worten: So etwas wie ein nachgeschobenes “So Gott will” wirkt auf den Europäer (und anscheinend auch Amerikaner) eher wie ein Vorbehalt als wie eine fromme Floskel. Zumindest heutzutage und außerhalb pietistischer Gemeinschaften.

Nun weiß der erfahrene Orientkundler natürlich, daß das ein ganz und gar unangemessenes Verständnis ist. Auf der rationalen Ebene zumindest. Aber wer zu hundert Prozent kulturell deutsch sozialisiert ist wie ich spürt trotzdem jedes Mal wieder, wie sich die emotionale Reaktion regt.

Erst kürzlich hat sich das Thema dann in einem Gespräch beiläufig ergeben, und dabei habe ich eine Information erhalten, die mir bisher nicht klar war. Doch dazu komme ich gleich.

Diese mehrfache Begegnung mit diesem Problem in der letzten Zeit hat mich jedenfalls dazu angeregt, den Witz zum Anlaß einer Diskussion mit den Studenten der Übung zu nehmen.

Das war vor allem deshalb reizvoll, weil sie zum Teil türkischen, zum Teil iranischen Migrationshintergrund haben und zum Teil deutsch sozialisiert sind. Es gab also ein Potential für Eindrücke aus unterschiedlichen Perspektiven.

Das Ergebnis der Diskussion in dieser zugegebenermaßen kleinen und nicht repräsentativen Gruppe sah etwa so aus:

  1. Gläubige Muslime verwenden das in-schâ’a-llâh bewußt, um an Gottes Allmacht zu erinnern, sich in der Demut zu üben, die Dschuhâ im Witz vermissen läßt, und nicht Gefahr zu laufen, daß sie etwas Falsches über die Zukunft aussagen oder daß gar der Eindruck entsteht, sie würden meinen, über die Zukunft bereits Bescheid zu wissen.
  2. Unter Türken ist das in-schâ’a-llâh aber auch so stark als Floskel im allgemeinen Sprachgebrauch verbreitet, daß es nicht mehr derart mit Bedeutung aufgeladen ist und ohne viel Nachdenken gebraucht wird. Dann drückt es aber auch keinen Vorbehalt aus, sondern eher so etwas wie “ja, in Ordnung” oder “hoffentlich”.
  3. Iraner verwenden es seltener als Türken und durchaus auch mal als elegante Ausrede, um sich nicht festnageln zu lassen, während Türken dafür andere Wendungen benutzen. Folglich können deutsch sozialisierte Iraner durchaus ähnlich allergisch auf das en-schâ’a-llâh reagieren wie Deutsche ohne Migrationshintergrund.
  4. Meine neueste Erkenntnis war, daß es sogar das genaue Gegenteil von dem bedeuten kann, was ich intuitiv verstehe. Es kann nämlich auch Zuversicht in das Gelingen des Plans ausdrücken und dann soviel heißen wie “Das wird schon klappen.” Meine Information stammte von einem Iraner, doch dem stimmten auch die Studenten mit türkischem Migrationshintergrund zu.

Ich fand diese Diskussion erhellend und hatte den Eindruck, daß alle etwas daraus gelernt haben:

  • einige Studenten mit Migrationshintergrund, wie das in-schâ’a-llâh bei Deutschen ankommen kann, wenn sie die Wortbedeutung verstehen,
  • und alle (mich eingeschlossen), daß es auch in den verschiedenen islamisch geprägten Kulturen Unterschiede in Verwendung und Wahrnehmung des in-schâ’a-llâh gibt.

Deshalb habe ich Ihnen davon berichtet, denn ich nehme an, auch Sie wissen jetzt mehr als vorher – in-schâ’a-llâh. 😉

Quelle

Zâkânî, Nezâm od-Dîn ʿObeydollâh: Kolliyyât-e ʿObeyd-e Zâkânî šâmel-e qasâyed, ghazaliyât, qataʿât, robâʿiyyât, masnaviyyât. Hg., komm. u. mit einer Übers. der arab. Teile versehen v. Parvîz-e Atâbakî auf Grundlage der Version von ʿAbbâs-e Eqbâl und anderer Handschriften. 2. Aufl. Tehrân: Zavvâr, 1343 š./1964-5.

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5 Kommentare

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