Hat der Zahnschmerzen? – Eindrücke aus der persischen Musik

Mit der Frage: „Hat der Zahnschmerzen?“ soll einmal jemand ein typisches Element der klassischen/traditionellen persischen Musik kommentiert haben: âvâz. Mich erinnert âvâz an das Rezitativ oder den Sprechgesang in europäischen Opern. In diesem Fall wird er in hohen Tonlagen vorgetragen und schraubt sich immer weiter in die Höhe, bis er in einer Art Jodeln gipfelt.

Das ist für deutsche Ohren gewöhnungsbedürftig, zeugt aber von hoher Kunstfertigkeit. Besonders bekannt sind deshalb Sänger, die in der Lage sind, mit ihrer Stimme das gesamte Spektrum an Tonhöhen abzudecken. Ich habe mir sagen lassen, daß Mohammad-Reza Shajarian einer von ihnen ist und unter Kennern der klassischen persischen Musik deshalb zurecht internationalen Ruhm genießt.

Deshalb habe ich ihn als das bekannteste Gesicht der klassischen persischen Musik als Beitragsbild gewählt. Das soll selbstverständlich nicht heißen, daß es keine anderen hervorragenden und berühmten Sänger gäbe, die diese Art des Gesangs praktizieren. Darunter sind zum Beispiel Ali-Reza Eftekhari, Mohammad Motamedi und Ali-Reza Qorbani. Diese und andere Sänger finden Sie auch allesamt auf YouTube.

Ein Beispiel für Shajarians âvâz ist dieses Stück hier: Live-Konzert. Wenn Sie sich das anhören, wissen Sie, worum es geht. Das Wort âvâz bezeichnet natürlich noch ganz andere Dinge wie z.B. Gesang im allgemeinen. In der klassischen persischen Musik ist es auch ein Begriff für Unterkategorien der dastgâhs.

Das wiederum ist ein modales System, das die Stimmung des Stücks festlegt und innerhalb dessen die Improvisation eine große Rolle spielt. Wenn Sie mehr darüber erfahren wollen, finden Sie wie üblich in der Wikipedia eine grobe Orientierung für den Einstieg.

Ich habe nämlich keine Ahnung von Musiktheorie – egal aus welchem Teil der Welt die Musik stammt. Deshalb verstehe ich nicht einmal den Wikipedia-Artikel zum dastgâh. In diesem Beitrag dilettiere ich also. Aber ich höre gern persische Musik. Und deshalb möchte Ihnen einige meiner eigenen Eindrücke nahebringen. Vielleicht finden Sie ja auch Gefallen daran. Dabei stütze mich hauptsächlich auf das, was ich vom Hörensagen weiß.

Ähnlich wie unsere Kunstlieder ist auch der Text in der klassischen persischen Musik meist ein Gedicht. Und große persische Dichter gibt es ja wahrlich genug. Deshalb enthalten CDs auf der Innenseite des Covers meist eine Liste der Lieder, bei denen auch der Verfasser des Gedichtes angegeben wird – eben weil es sich oft um berühmte persische Dichter handelt.

Hier finden Sie ein weiteres Beispiel für Shajarians âvâz zu einem Gedicht von ʿAttâr: Rah-e meychâne.

Zugegebenermaßen, diese Art des Gesangs ist für Europäer nicht so ohne weiteres ein Genuß. Man muß sich schon darauf einlassen, um eine Wertschätzung dafür zu entwickeln. Natürlich ist es dabei von Vorteil, wenn man die Texte verstehen kann. Zum Nebenbeihören eignet sich diese Musik jedenfalls nicht.

Doch es gibt in der klassischen persischen Musik eine Form des Gesangs, die für Europäer deutlich melodischer klingt. Dabei handelt es sich eher um das, was wir unter einem Lied verstehen. Man nennt das tasnîf, und auch die Texte dieser Lieder sind oft Gedichte aus der klassischen persischen Poesie.

Ein sehr schönes Ghasel von Moulânâ Dschalâl ed-Dîn Rûmî hat Shajarian auf einer CD sogar als âvâz und als tasnîf gesungen. Eigentlich wollte ich Ihnen beides hier verlinken, damit Sie den Unterschied besser beurteilen können. Aber ich habe auf YouTube leider nur die tasnîf-Version gefunden. Hier ist sie: Bî hamegân be sar schavad.

Dieses wie andere Alben hat Shajarian übrigens zusammen mit seinem Sohn Homayoun aufgenommen, den er selbst ausgebildet hat und mit dem er sich beim Singen abwechselt. Sie sehen ihn, in vielen der Videos seines Vaters auf YouTube.

Homayoun Shajarian singt nicht nur ebenso meisterhaft wie sein Vater, sondern spielt auch Instrumente, vor allem Tombak. Das ist eine kleine Trommel. In diesem Video sehen Sie, wie er sie spielt und gleichzeitig tasnîf singt und sich mit seinem Vater abwechselt: Sâghiyâ.

Ich persönlich höre tasnîf sehr gern. Mit âvâz habe ich immer noch meine Schwierigkeiten. Aber vielleicht liegt das auch daran, daß ich nicht viel Zeit mit Musikhören als Hauptbeschäftigung verbringe.

Fürs Nebenbeihören ist natürlich die moderne persische Popmusik besser geeignet. Wem also auch tasnîf noch nicht schmissig genug ist, der kann sich ja einmal in die zahlreichen Popsänger einhören. Mir gefallen viele ältere und neuere Popsongs sehr gut.

Wenn ein Album mehrere Songs enthält, die mich richtig in Stimmung bringen, dann höre ich es immer eine Zeitlang in Dauerschleife. Nach einiger Zeit wechsle ich dann, aber ich komme immer wieder zu diesen Alben zurück. Unter den jüngeren fallen mir spontan Ehsan Khaje Amiri und Majid Akhshabi ein. Unter den älteren Vigen und Mohammad Nouri.

Von Akhshabi höre ich zur Zeit das Album „Parîzâd“, das mehrere Ohrwürmer enthält (jedenfalls nach meiner Auffassung). Meinen Lieblingssong habe ich auf YouTube nicht gefunden, aber hier ist das Lied, von dem das Album seinen Titel hat: Parîzâd.

Vigen hat eher langsame Melodien, aber nicht nur. Ein Lied von ihm, das mir ganz gut gefällt, ist dieses hier (auch wenn ich diese Begeisterung für Teheran nicht so ganz nachvollziehen kann, aber Schönheit liegt ja, wie man so schön sagt, im Auge des Betrachters 😉 ): Be yâd-e Tehrân.

Wer gern einmal den Kasatschok auf persisch hören möchte, wird bei Vigen übrigens auch bedient: Kasatschok. Gefällt mir auch, aber ich mag auch den Kasatschok.

Auch von Nouri sind die meine Lieblingslieder entweder nicht auf YouTube, oder man müßte länger danach suchen. Aber diese hier sind auch ganz schön (im Notfall ein bißchen vorspulen, die entfalten sich langsam bzw. haben Höhepunkte weiter hinten): Îrân und Dschân-e Maryam.

Achten Sie auf Nouris weiche Stimme. Ich finde, die steht irgendwie im Widerspruch zu seinem kantigen Gesicht. Er ist der einzige persische Sänger, den ich sofort an der Stimme erkenne. Leider ist er 2010 gestorben. Und ja, das ist ein bißchen schmalzig. Vielleicht auch sogar ziemlich. Ich mag sowas. 😉

Aber falls Sie weniger auf gefühlvoll und mehr auf Rhythmus stehen, ist vielleicht die bandarî-Musik aus der Region des Persischen Golfs etwas für Sie. Auf die läßt es sich sehr gut tanzen, und sie animiert auch regelrecht dazu. Hier nur ein Beispiel, Sie finden leicht noch mehr: Bandarî. Nur so zum Anhören ist mir die aber zu lärmig.

Das ist natürlich alles weder repräsentativ noch erschöpfend und schon gar nicht tiefschürfend. Aber ich hoffe, dieser Beitrag hat Sie dazu angeregt, ein paar neue Musik-Erfahrungen zu machen.

Schreiben Sie mir ruhig, wie Ihnen die Stücke gefallen und ob Sie noch andere Entdeckungen gemacht haben!

Beitragsbild

Mohammad-Reza Shajarian, von Masik Azarakhsh, unverändert übernommen von Wikimedia Commons, Lizenz: Attribution-ShareAlike 2.0 Generic.

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