Da ich Ihnen schon hie und da Witze aus einer Sammlung des ‚Obeyd-e Zâkânî erzählt habe, erscheint es mir angebracht, Ihnen endlich einmal den Menschen vorzustellen, der diese Sammlung zusammengestellt hat. ‚Obeyd-e Zâkânî hieß eigentlich Nezâm ed-Dîn ‚Obeydollâh-e Zâkânî (arabisch: Nizâm ad-Dîn ‚Ubaidallâh az-Zâkânî), aber in Iran und unter Iranisten ist er unter der kürzeren Namensform bekannt. Neben der erwähnten kleinen Sammlung von persischen und arabischen Witzen und Anekdoten hat er auch eine Reihe anderer humoristischer Prosawerke und Gedichte verfaßt – in einer sehr deftigen und oft obszönen Sprache.
Deshalb werden seine »gesammelten Werke« in Iran auch nicht ohne Zensur ediert. Das sieht dann so aus, daß man anstelle eines Wortes wie »Arsch« eine der folgenden Varianten zu lesen bekommt: »…h« oder »…«. Selbstverständlich werde ich Ihnen auch in Zukunft noch weitere Auszüge aus den Werken ‚Obeyds vorstellen. Nur muß ich erstmal sehen, was unsere Rechtsprechung zum Thema Zitieren obszöner Inhalte auf öffentlich zugänglichen Internetseiten so zu bieten hat, bevor ich mich ans Eingemachte heranwage. Nicht, daß Sie sich am Ende an den einschlägigen Stellen auch mit »…« begnügen müssen. 😉
Doch zurück zu dem Menschen ‚Obeyd-e Zâkânî! Was genau wissen wir über ihn? Sicher ist, daß er in der Umgebung von Qazvin im Nordwesten Irans geboren wurde und aus einer Familie von Gelehrten und staatlichen Würdenträgern stammte. Auch er selbst war umfassend gebildet, wie aus seinen Werken zu erkennen ist. Das heißt, er war kein oberflächlicher Spaßmacher, sondern ein gelehrter Mann. Als Dichter und Verfasser gelehrter Abhandlungen war er sogar so bekannt, daß er in einem Geschichtswerk erwähnt wird, das um das Jahr 1330 fertig gestellt wurde. Deshalb schätzt man sein Geburtsjahr auf rund 1300 oder möglicherweise noch früher. In demselben Geschichtswerk wird ‚Obeyd ein Titel beigelegt, der auf eine höhere Funktion in der Reichsverwaltung schließen läßt. Es gibt Hinweise darauf, daß er in der Finanzverwaltung Chorâsâns tätig gewesen sein könnte, also im Nordosten. Spätestens im Jahr 1371 dürfte er gestorben sein, denn sein Sohn erbte in diesem Jahr eine Handschrift von ihm. Das heißt auch, daß ‚Obeyd mindestens einmal verheiratet und Familienvater war.
Und er lebte in einer turbulenten Zeit. Im Jahr 1335 – ‚Obeyd dürfte damals Mitte dreißig gewesen sein – war nämlich der letzte Îlchân gestorben, also der letzte Mongolenherrscher über Iran und den Irak. Danach brach das Reich auseinander. Genaugenommen gab es noch einige weitere Îlchâne, nur übten sie keine nennenswerte Macht mehr aus. Daher balgten sich für den größeren Teil der 14. Jahrhunderts in Iran diverse Lokalherrscher um die Reste des ehemaligen Îlchânreiches.
Das prägte auch ‚Obeyds Leben. Irgendwann nach dem Jahr 1342 hatte es ihn nach Schiras verschlagen, wo er sich nach anfänglichen Schwierigkeiten wohl ganz gut einlebte. Am dortigen Hof hielt sich noch ein anderer persischer Dichter auf: ‚Obeyds jüngerer, aber viel bekannterer Zeitgenosse Hâfez. Wohl um 1352 fand schließlich auch ‚Obeyd im Alter von gut fünfzig Jahren Zugang zum Herrscher, während ihn zuvor vor allem der Wesir gefördert hatte. Doch das sollte nicht lange währen, denn nur fünf Jahre später nahm die Geschichte der Stadt eine neue Wendung: Schiras wurde von einem anderen Lokalherrscher erobert, und ‚Obeyd mußte aus der Stadt fliehen. Sehr wahrscheinlich hielt er sich dann eine Zeitlang am Hof eines weiteren Herrschers auf, der den Irak und Nordwestiran regierte. Schon nach kurzer Zeit konnte ‚Obeyd aber nach Schiras zurückkehren. Der Eroberer fiel nämlich im Jahr 1358, also nur ein Jahr nach der erfolgreichen Eroberung der Stadt, seinen eigenen Söhnen zum Opfer: Er wurde abgesetzt und geblendet. ‚Obeyd scheint dann bis zu seinem Tod in Schiras geblieben zu sein.
Viel mehr wissen wir nicht über ‚Obeyd-e Zâkânî. Dafür sind umso mehr unzuverlässige Anekdoten über ihn im Umlauf. Kein Wunder bei einem gelehrten Dichter mit einem weithin berühmten obszönen Humor. So ein Mensch regt die Phantasie seiner Mitmenschen an. Daher kann man allerlei Geschichten über ‚Obeyd nachlesen – allerdings nicht nur in den Ausgaben seiner Werke, sondern auch in der älteren Fachliteratur. Und der Blick in die englische Wikipedia zeigt einmal mehr, daß die alten Anekdoten ihren Weg auch in diese „Enzyklopädie“ gefunden haben. So soll ‚Obeyd in Schiras in Südwestiran studiert und später das Amt eines Qadi, also eines Richters, versehen haben. Dann habe er sich angeblich der Spaßmacherei zugewandt, weil er mit gelehrten Abhandlungen und Lobgedichten keinen Zugang zum Herrscher von Schiras gefunden habe. Die verschiedenen Versionen der Anekdoten sind in unterschiedlichem Maße unglaubwürdig. Vor allem sind sie aber keine gesicherten Tatsachen.
Trotzdem will ich Ihnen nicht alle Anekdoten vorenthalten. Immerhin illustriert die folgende Anekdote eine Eigenschaft, die man ‚Obeyd durchaus zutrauen kann – eine scharfe Zunge:
Salmân-e Sâvadschî, ein bekannter Dichter und Zeitgenosse ‚Obeyds, hatte kränkende Spottverse über ‚Obeyd gedichtet, obwohl er ihn gar nicht persönlich kannte. Danach trug sich folgendes zu:
Man erzählt, daß Salmân einmal auf einer Reise mit viel Pomp am Flußufer rastete. ‚Obeyd-e Zâkânî stieß zu Fuß zu dieser Versammlung. Salmân sagte: „Bruder, woher kommst du?“ Antwort: „Aus Qazvin.“ Salmân fragte: „Kennst du ein Gedicht von Salmân auswendig?“ ‚Obeyd antwortete: „Ein, zwei Verse habe ich in Erinnerung.“ Salmân: „Rezitiere sie doch!“ ‚Obeyd rezitierte die folgenden beiden Verse:
Ich besuche oft die Schenken und verehre den Wein
Verliebt und trunken in den Schenken der MagierWie den Krug zieht man mich von Schulter zu Schulter
Wie den Becher reicht man mich von Hand zu HandDiese beiden Verse rezitierte er und setzte hinzu: „Salmân ist groß und gebildet. Ich glaube nicht, daß man ihm diese Art von Gedichten zuschreiben kann. Vielmehr glaube ich, daß dieses Gedicht von Salmâns Ehefrau stammt, denn es paßt eher, ihr solche Worte zuzuschreiben.“
Von diesem giftigen Spott war Salmân ganz erschlagen – schließlich sollte eine anständige Frau nicht einmal das Haus verlassen! Schlagartig wurde Salmân klar, wen er vor sich hatte. Daraufhin behandelte er ‚Obeyd sehr ehrerbietig, und sie wurden Freunde. Aber Salmân hütete sich von da an vor ‚Obeyds Zunge und sah sich vor.
(Diese Version der Anekdote stammt aus Doulat-Schâh-e Samarqandîs Tazkerat osch-scho’arâ, S. 690f. Ich habe den Anfang und das Ende zusammenfassend nacherzählt.)
Natürlich ist auch diese Anekdote alles andere als ein Tatsachenbericht. Schon 1981 hat sich Paul Sprachman in seiner Dissertation die Mühe gemacht, die Überlieferungen zu ‚Obeyds Leben kritisch zu untersuchen. Dabei ist klar geworden, daß die meisten Anekdoten unzuverlässig sind. Nur hat sich das offenbar noch nicht überall herumgesprochen. Dabei gibt es mittlerweile sogar ein 2012 publiziertes und durchaus erschwingliches neues Buch von Sprachman über ‚Obeyd, wie ich eben entdeckt habe.
Seriöse Forschung zu ‚Obeyd ist aber trotz der Beliebtheit seiner humoristischen Werke nach wie vor nicht sehr verbreitet. Dabei wäre das durchaus lohnend, denn seine humoristischen Werke – Poesie wie Prosa – enthalten nicht einfach nur obszöne Witze. Vieles davon ist auch beißende Satire. Das kann man schon an manchen seiner Witze erkennen, viel besser aber noch an Werken wie seinen satirischen „Definitionen“ und seinen „Hundert Ratschlägen“. Die klingen zum Beispiel so:
Die Dame: die viele Geliebte hat.
Die verheiratete Frau: die wenige Geliebte hat.
Die anständige Frau: die sich mit einem Geliebten begnügt.
(Zâkânî, S. 330)
Die Habgier des Richters: ein Gefäß, das durch nichts voll wird.
(Zâkânî, S. 327)
Solche und ähnliche Texte sind wahrscheinlich der Grund dafür, daß ‚Obeyd-e Zâkânî in der Fachliteratur gelegentlich als Kronzeuge für die Verlotterung der Gesellschaft in der Zeit der mongolischen Herrschaft und den Wirren danach angeführt wird. Manchmal benutzt man auch seine Anekdoten und anderen humoristischen Prosatexte und Gedichte als Illustration dafür. Schon unter der Îlchânherrschaft hatten sich die gesellschaftlichen Verhältnisse im Reich nämlich verändert. Bis 1295 waren die mongolischen Herrscher selbst keine Muslime und förderten teilweise aktiv den Aufstieg von Personen aus religiösen Minderheiten. Selbstverständlich hielten die Îlchâne selbst und ihre mongolischen Gefolgsleute auch die islamischen Gesetze nicht für verbindlich. Deshalb lesen wir aus der Zeit der mongolischen Herrschaft immer wieder Klagen über die lockeren Sitten, die eingerissen seien. Natürlich heißt das nicht automatisch, daß die Situation sich wirklich erheblich von der in anderen Zeiten unterschied. (Das zu diskutieren, wäre wieder ein eigenes Thema.) Aber es zeigt, daß viele Menschen es so empfanden.
‚Obeyd mag einer dieser Menschen gewesen sein. Das Problem ist nur, daß man seine Texte nicht einfach eins zu eins als Darstellung von Wirklichkeit verkaufen kann. Zumindest ist das nicht seriös. Welche Erkenntnisse man aus ‚Obeyds Witzen und seinen anderen satirischen Texten ziehen kann, habe ich in meiner Doktorarbeit diskutiert. Doch das ist ein eigenes Thema für einen anderen Beitrag.
Zum Weiterlesen
Neuerdings gibt es eine deutsche Übersetzung von ‚Obeyds Gesamtwerk. Anscheinend ist sie ungefähr gleichzeitig mit meiner Dissertation im Jahr 2009 publiziert worden, und bislang habe ich sie mir nicht angesehen. Ich weiß also nicht, auf welcher Textbasis sie erstellt ist oder wie gut sie ist. Der Übersetzer, Joachim Wohlleben, war Germanist und hat auch zum Thema Hâfez im Arbeitsbereich der Iranisten „gewildert“. Ich konnte noch nicht herausfinden, was ihn zu Übersetzungen aus dem Persischen qualifiziert hat. Eine lohnende, weil unterhaltsame Lektüre dürfte das Buch aber in jedem Fall sein. Falls Sie es lesen: Schreiben Sie mir doch, wie Sie es finden!
Quellen und Literatur
Samarqandî, Doulat-Schâh: Tazkerat osch-scho’arâ‘. Ed. with prefaces and indices by Edward G. Browne. Tehrân: Asâtîr, 1382 š./2003. [1901].
Zâkânî, Nezâm od-Dîn ‘Obeydollâh: Kolliyât-e ‘Obeyd-e Zâkânî/Collected Works. Ed. by Mohammad-Ja’far Mahjoub. New York: Bibliotheca Persica Press, 1999 (Madschmû’e-ye Motûn-e Fârsî; Selsele-ye Nou, Schomâre-ye 2/Persian Text Series; New Series, no. 2).
Kurz, Susanne: „Verachtet das Scherzen nicht!“: Die kulturhistorische Aussagekraft von persischen Sammlungen humoristischer Kurzprosa. 2 Halbbde. Dortmund: Verlag für Orientkunde, 2009. (Beiträge zur Kulturgeschichte des islamischen Orients, 40). (kann man z.B. hier bestellen)
Sprachman, Paul Richard: The Comic Works of ‚Ubayd-i Zâkânî: A Study of Medieval Persian Bawdy, Verbal Aggression, and Satire. Phil. Diss. Chicago 1981. 15-66.
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