
Momentan beschäftige ich mich viel mit prominenten Frauengestalten am indo-muslimischen Mogulhof. Dabei ist mir aufgefallen, dass die Frauen im Umfeld der ersten beiden Mogulherrscher Bâbur (st. 1530) und Humâyûn (st. 1556) kaum Beachtung finden. Das liegt nicht nur daran, dass zur Geschichte des 16. Jahrhunderts nur wenige Quellen zur Verfügung stehen. Entscheidender ist, dass erst in den letzten 25-30 Jahren das Interesse am Harem und dem Leben der Frauen gestiegen ist. Heute möchte ich auf Haram Begum aufmerksam machen, die aktiv in die militärischen Konflikte ihrer Zeit eingriff.
Das Setting: die Männer des Mogulreiches
Zunächst müssen wir auf die Männer schauen:
Der erste Mogulherrscher Bâbur eroberte vom heutigen Usbekistan über das heutige Afghanistan aus Gebiete auf dem Indischen Subkontinent. Legte dadurch den Grundstein für das mächtige Mogulreich, das vom 16. bis zum 19. Jahrhundert existiere. Bâbur hatte mehrere Söhne, die um seine Nachfolge und die Herrschaft konkurrierten. Die wichtigsten waren:
- Humâyûn Mîrzâ (1508-1556), Vater des bedeutendsten Mogulherrschers Akbar (st. 1605).
- Kâmrân Mîrzâ (1512-1557), Herrscher über Kabul, heute Afghanistan.
- Mîrzâ Hindal (1509-1551), Vater von Akbars Ehefrau Ruqaiya Begum.
Wie die drei Brüder miteinander umgingen, ist eine andere (ziemlich brutale) Geschichte.
Wer war Haram Begum?
Leider haben wir so gut wie keine Daten über das Leben von Haram Begum, da sich die meisten Biographien auf die männlichen Herrscher und die Prinzen bezogen und außerdem zumeist von Männern verfasst wurden. Eine Ausnahme bildete Gulbadan Begum (st. 1603). Sie war eine Tochter Bâburs, die ein größtenteils unabhängiges Leben führte. Durch ihr Buch Humâyûn-nâma („Nachrichten über Hamâyun“) können wir einiges über die Frauen am Mogulhof erfahren. Das Buch wurde von Gulbadans Neffen Akbar in Auftrag gegeben, der einiges über Zeit seines Großvaters und Vaters erklärt bekommen wollte.
Über Haram Begum berichtete , dass sie mit Bâburs Cousin Sulaimân verheiratet war. Sulaimân war Herrscher über die Provinz Badachschan, ebenfalls im heutigen Afghanistan. Gulbadan Begum ließ allerdings deutlich durchblicken, dass es bekannt war, dass nicht Sulaimân, sondern Haram Begum über Badachschan herrschte. Sulaimân galt als schwacher Herrscher, Haram Begum als „ritterliche,“ ehrbare Frau, die über große militärische Fähigkeiten verfügte.
Bâburs Sohn Kamrân war übrigens mit Haram Begums Schwester verheiratet, so dass Haram Begum sowohl Kamrâns als auch Humâyûns Schwägerin. Kamrân versuchte ständig, Haram Begum zu manipulieren, vermutlich, weil er sie nicht so leicht kontrollieren konnte wie Sulaymân. Dabei griff Kamrân auch auf Intrigen zurück. Durch Gulbadan erfahren wir von einem Vorfall aus dem Jahr 1549.
Intrigen, „Ritterlichkeit“ und ein weiblicher Ehrenkodex
Als Mirza Kamran in Kulab (heute: Tadjikistan, C.P.) war, kam eine Betrügerin namens Tarkhân Bika auf ihn zu. Sie sagte zu ihm: „Erkläre Haram Begum, dass du sie liebst, das wird dir helfen.“ Mirza Kamran folgte dem Rat dieser Frau und schickte über Begi Agha einen Brief und ein (Taschen-)Tuch an Haram Begum. Beghi Agha nahm den Brief und das Tuch, legte sie vor Haram Begum und sprach über das tiefe Verlangen von Mirza Kamran. Haram Begum sagte zu Begi Agha: „Behalte die Dinge und lege sie erneut vor, wenn die Mirzas (i.e. mein Mann und mein Sohn, C.P.) zurückkehren. Beghi Agha weinte und jammerte. Sie versuchte Haram Begum zu schmeicheln: „Mirza Kamran hat Euch diesen Brief und das Tuch geschickt. Er liebt Euch, doch Ihr seid so „unritterlich“ zu ihm. Haram Begum wurde extrem ärgerlich und ließ sofort nach Mirza Sulaiman und Mirza Ibrahim (ihrem Mann und ihrem Sohn, C.P.) schicken. Sie sagte: „Mirza Kamran glaubt wohl, dass Ihr beide Schwächlinge seid, so dass er einen solchen Brief an mich schickt. Habe ich ein solches Verhalten wirklich verdient? Mirza Kamran ist dein jüngerer Bruder (i.e. Cousins werden in muslimischen Gesellschaften häufig als Brüder angesehen, C.P) und ich bin für ihn die Frau des jüngeren Bruders. Schicke ihm einen Brief in meinem Namen und tadel ihn für sein Verhalten. Was diese Frau (Begi Agha) angeht, so lasst sie hinrichten („in Stücke reißen“), damit kein Mann schlechte Gedanken durch den bösen Blick bekommen kann und versucht, die Frauen anderer Männer zu verführen. Wie kann es richtig sein, dass jemand so ein unwürdiges Verhalten mir – einer „menschlichen“ Frau – gegenüber zeigt und keine Angst vor mir oder meinem Sohn zeigt?
Interessant ist, natürlich, dass sich Haram Begum als „ritterliche“ (Persisch: jawânmardî) und humane Frau (Persisch: zan-i âdamzâd) darstellte, während sie ihren Mann und ihren Sohn flapsig gesagt als „Weicheier“ (Persisch: nâmardî = unmännlich) bezeichnete. Die Haram Begum machte klar, dass die Frauen der Moguln zum einen „männliche“ und ritterliche Werte hatten, zum anderen aber auch „weibliche“ und „menschliche“ Werte verkörperten.
Haram Begums Macht und militärische Stärke
Ob Haram Begum Begi Agha als Warnung wirklich hinrichten ließ? Wir wissen es nicht. Kâmrân hatte sich jedoch bei seiner Intrige verrechnet – Haram Begum, Sulaimân und ihr Sohn wandten sich von ihm ab und schwenkten auf die Seite Humâyûns um. Als Humâyûn hörte, dass sich die Truppen aus Badachschan seinen Truppen vereinigen würden, schrieb er einen Brief an Haram Begum. Sie bewaffnete eine Armee von mehreren Tausend Soldaten und stattete sie innerhalb kürzester Zeit aus. Sie begleitete persönlich ihre Truppen bis zum Gebirgspass, an dem ihre Truppen die Soldaten von Humâyun trafen. Gemeinsam gingen sie gegen Kâmrân vor. Kâmrân erlitt große Gebietsverluste, er verlor unter anderem das Gebiet rund um Balch (heute Afghanistan).
Wir erfahren nur noch wenig über Haram Begum nach dieser Militärexpedition, mit einer Ausnahme: als sich der Konflikt zwischen Humâyûns Söhnen Akbar und Mîrzâ Hakîm andeutete, versuchten die Truppen Haram Begums zwei Mal, Kabul zu erobern. Das gelang ihr jedoch nicht. Danach erscheint Haram Begum nicht mehr in den Chroniken
Insgesamt trug Haram Begum dazu bei, dass Humâyûn, der ein schwacher Herrscher war, sich Vorteile gegenüber seinen Brüdern verschaffte und auch im heutigen Afghanistan Rückzugsgebiete hatte, in die er fliehen konnte, nachdem er die indischen Gebiete verlor.
Sie war eine Frau, die mit ihrem strengen Wertesystem an der Seite der Männer des Mogulreiches kämpften und dadurch dafür sorgten, dass das Reich über mehrere Jahrhunderte existierte.
Literatur:
Gupta, Subhadra Sen: Mahal. (Kindle Edition)
Leong, Amanda Caterina: “I’d rather be married to someone I can control”: Female Javānmardī in Gulbadan Begum’s Humayunnamah as a Mirror for Princesses.
Iranian Studies 57 iv (October 2024), 510 – 533.
Bilder:
Das Beitragsbild zeigt Gulbadan Begum, die Autorin des Humâyûn-nâma. Das Bild zeigt sie beim Rauchen einer Wasserpfeife (huqqa). Das Bild unterliegt der Creative Commons License.
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