Ms. Marvel: Die erste muslimische Superheldin

Nur eine Superheldin ist laut einer Online-Analyse in den Top 10 der Superheldinnen und Superhelden zu finden: Wonder Woman aus dem Universum des Comicbuch-Verlages DC. Das zeigt auch, dass es Superheldinnen im Comic Universum schwer haben. DCs Konkurrent Marvel hat mit Captain Marvel eine ebenfalls populäre Figur, der auch schon zwei Kinofilme gewidmet wurden. Dennoch scheint es schwierig, neue Zielgruppen für Comics und Comicverfilmungen zu erschließen.

2023 kamen im Film The Marvels gleich drei Superheldinnen zusammen, die die Erde retten mussten: Captain Marvel Carol Danvers, Monica Rambeau und Ms. Marvel Kamala Khan. Das ist nicht nur interessant, weil alle drei Hauptfiguren (und ihre Gegnerin) weiblich sind, sondern auch, weil Ms. Marvel eine 16-jährige Schülerin pakistanischer Herkunft und Muslima ist. Mit dem Film The Marvels wurde die Figur Kamala Khan einem großen Publikum weltweit bekannt. Vorgestellt wurde Kamala Khan jedoch schon erstmals 2022 in der Disney + Streaming-Serie Ms. Marvel. Während der Film nur wenig über den Islam oder die pakistanische Kultur Kamalas zeigt, gibt es in der Serie zahlreiche Szenen, die auch aus islamwissenschaftlicher Perspektive interessant sind.

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Ms. Marvel: Vom Comic zur Streaming-Serie

Die pakistanisch-amerikanische Figur Kamala Khan, gespielt von Iman Vellani, wurde 2022 zur Titelheldin der Serie Ms. Marvel, die auf Disney+ gestreamt wird. Kamala Khan ist die erst muslimische Superheldin im Marvel Universum. Ms. Marvel basiert auf der seit 2013 erschienen Comicserie. Die Comics wurden von G. Willow Wilson (geb. 1982) verfasst, die selbst während ihrer Studienzeit an der Boston University zum Islam konvertierte. Mit der Umsetzung in die Streaming-Serie wurde die britisch-pakistanische Comedienne Bisha K. Ali (geb. 1989) beauftragt. Auch sie ist Muslima, die einen zunehmenden Hass auf den Islam seit den Anschlägen vom 11. September 2001 beobachtet. Dem wollen die Macherinnen und M+acher von Ms. Marvel ausdrücklich eine positive muslimische Figur entgegensetzen.

Kamala Khan: Vom Fangirl zur Superheldin

Kamala Khan lebt mit ihrer Familie, die aus Pakistan eingewandert ist, in Jersey City (New Jersey). Ihre Eltern möchten, dass Kamala studiert und Ärztin wird. Obwohl Kamala eine gute Schülerin ist, hat sie Schwierigkeiten, die Erwartungen in ihrer Schule und die ihrer Familie zu erfüllen.

Kamala flüchtet sich gerne in die Welt der Marvel Avengers. Vor allem Carol Danvers, die vorherige Ms. Marvel, die zu Captain Marvel wurde, ist ihr Vorbild. Als Captain Marvel Fangirl malt und schreibt Kamala über die Avengers und betreibt sogar ihren eigenen YouTube-Kanal. Sie hat ein sogar ein eigenes Captain Marvel Cosplay Kostüm angefertigt, um damit auf die Avengercon zu gehen. Doch dieses Vorhaben scheitert daran, dass sie sich nicht traut, ihre Eltern zu fragen, ob sie die Avengercon besuchen kann. Nach langen Diskussionen stimmen die Eltern zu – doch unter einer Bedingung: Ihr Vater geht als Hulk auf die Convention, Kamala als „Baby Hulk“ im selbstgestrickten grünen Kostüm. Kamala widersetzt sich, so möchte sie nicht dorthin gehen. Ihre Eltern reagieren tief betroffen, und Kamala überlegt, wie sie doch zur Convention gehen kann. Um ihr Kostüm noch zu vervollständigen, sucht Kamala auf dem Dachboden nach weiteren Accessoires – und findet einen Armreif, den ihre Großmutter aus Pakistan geschickt hat. Ihre Mutter gezeichnet den Armreif als Müll und sagt, dass sie ihn beseitigen wolle.

Hier geht es zum deutschsprachigen offiziellen Trailer von Ms. Marvel

Kamala nimmt den Armreif an sich und schleicht sich zusammen mit ihrem Freund Bruno Carrelli auf die Avengercon. Dort kommt es bei der Prämierung des besten Captain Marvel Kostüms zu einem Zwischenfall: Nachdem Kamala den Armreif angelegt hat, gibt es plötzlich Energieblitze, und Teile der Dekoration fliegen umher… Kamala, die wegen der Vorfälle erschrocken ist, fängt nach diesem Ereignis an, mit Bruno heimlich zu trainieren, um ihre neuen Kräfte zu kontrollieren.

Anders als im Comic sind Kamalas Superkräfte über den Armreif eng mit ihrer pakistanischen Herkunft verbunden, was natürlich der pakistanischen Kultur und Geschichte in der Serie eine große Bedeutung verleiht. Das gilt auch für den Islam, dem etwa 95% der pakistanischen Bevölkerung folgen. Die Serie zeigt das Leben einer sechzehnjährigen Muslima in Jersey City, die sich für viele Dinge interessiert und regelmäßig die Moschee besucht.

Islam in Jersey City: Eine Superheldin in der Moscheegemeinde

Wie ihre Eltern und ihr älterer Bruder Aamir besuchen regelmäßig die Moscheegemeinde von Jersey. Wie in der Mehrheit der Moscheegemeinden weltweit sitzen Männer und Frauen während der Predigten des Imams getrennt voneinander. In den meisten islamischen Rechtsschulen des Islam ist das Beten von Frauen in der Moschee nicht verpflichtend – aber es gibt auch Überlieferungen, die besagen, dass Männer die Frauen nicht vom Gebet in der Moschee abhalten sollen.

Die Darstellung des Gebetes im Frauentrakt der Moschee erfolgt in der Serie nicht ohne Kritik – aber auch nicht ohne Augenzwinkern. Zum Beispiel werden zwei junge Frauen gezeigt, die während der Predigt ein Instagram-Video drehen – und von zwei älteren Frauen zurechtgewiesen werden. Zurechtgewiesen werden auch Kamala und ihre beste Freundin Nakia, als sie sich über den schlechten baulichen Zustand der Moschee unterhalten – so soll es sogar Schimmel unter den Teppichen geben. Das Mikrofon, über das die Predigt des Imam zu hören sein soll, quietscht fürchterlich. Der Imam ist auch nicht uneingeschränkt zu sehen, da der Frauenbereich mit einem brauen Holzsichtschutz in Gitterform abgetrennt ist. Dennoch erkennt der Imam Kamalas Stimme, als sie laut ruft, man könne sich nicht auf die Predigt konzentrieren, wenn man den Imam nicht sehen könne – der Imam regiert freundlich, während andere Männer der Gemeinde eher empört zum Frauentrakt schauen…

Kamala ermutigt ihre Freundin Nakia, sich in den Vorstand der Moscheegemeinde wählen zu lassen, um für die Frauen der Gemeinde etwas zu bewirken. Nakia stimmt zu und nimmt den Wahlkampf auf.

Cliquen in der Moscheegemeinde

Im Rahmen von Nakias Wahlkampf um einen Platz im Moscheevorstand werden – wieder auf Humorvolle Art und mit grafischen Elementen verschiedene Gruppen der Moscheegemeinde vorgestellt.

  • Die Moschee-Bros (Original: Mosque Bros): Junge Männer in modischer Kleidung, mit Handys und Sportwagen
  • Die Frommen Brüder (Original: Pious Bros): Junge Männer in traditioneller südasiatischer Kleidung wie Pyjama kurta, Gebetskappe (takke) und dem Koran in der Hand
  • Die Lehrer der Sonntagsschule (Original: Sunday School Teachers)
  • Die Insta-Clique (Original: Insta Clique). Sie posten aus der Moschee selbst während der Gebetszeiten.
  • Die Konvertiten (Original: Converts), also eigentlich die Re-Vertiten (Original: Reverts). Konvertiten haben sich für einen Übertritt zum Islam entschieden. Nach der islamischen Vorstellung ist jeder Mensch als Muslim (Arabisch: ‘ala-l-fitra, gemäß der Schöpfung des einzigen Gottes) geboren. Erst durch die Eltern, so die Theologen, wird jeder Mensch zu einem Juden oder Christen. Somit gibt es für Muslime keine Konvertiten, sondern eben nur „Rückkehrer“ zum Islam. Das Konzept der fitra wird in Ms. Marvel also „nebenbei“ in einer humorvollen Szene erwähnt.
  • Mini-Harami-Mächen (Original: Mini Harami Girls): Harâm ist im islamischen Recht etwas, was verboten ist. Die Mini-Harami-Mädchen begehen kleine Streiche, die eigentlich gegen die islamische Etikette verstoßen, denen man aber aufgrund ihres Alters ihr Verhalten nicht übel nimmt.
  • Illumi-Tanten – (Original: Illuminiaunties): Die, die alles wissen, und es dir unter die Nase reiben. Hier wird – ebenfalls mit einem Augenzwinkern – auf Frauen angespielt, die Gerüchte und Verschwörungstheorien verbreiten – vor allem, was Familienangelegenheiten angeht.

Eine muslimische Superheldin – eine Superheldin für Muslime?

Mit Comics und Streaming Serien wie Black Panther und Ms. Marvel spricht Marvel eine Zielgruppe an, die sich nicht mit der nordischen Mythologie wie in Thor und Loki oder Helden wie Captain America identifizieren kann. Junge Muslime, denen einige Szenen aus Ms. Marvel gezeigt wurden, sagten, dass sie den Humor der Serie mochten und z.B. auch die genannten Gruppen in der Moscheegemeinde kennen.

Mehrere Musliminnen und Muslime betonten auch, dass es wichtig sei, dass die Frauen in der Moschee unter vernünftigen Umständen beten können – zwar von den Männern getrennt, aber so, dass sie alles sehen können. Die baulichen Umstände müssten auch akzeptabel sein.

HIER geht es zu dem Video, in dem Musliminnen und Muslime ihre Meinung über Ms. Marvel äußern (Englisch).

Die Serie erreicht also auch Muslim, die sich mit der Figur Kamala Khans und der Darstellung des Islam in der Serie auseinander setzen.

Titelbild

Das Titelbild zeigt den ersten Teil der Comic Reihe: Ahmed, Samira: Ms. Marvel: Über die Grenzen. 2022.

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