„Vorsingen“: Ein Blick hinter die Uni-Kulissen

Woran denken Sie, wenn Sie den Begriff „Vorsingen“ hören? An DSDS? Oder an den Musikunterricht unserer Eltern- und Großelterngeneration, zu dem noch das Vorsingen von Melodien vor der Klasse gehörte? Dann sind Sie hier auf der falschen Spur.

Mit „Vorsingen“ ist im akademischen Betrieb nämlich etwas ganz anderes gemeint: Es ist die saloppe Bezeichnung für den Vorstellungstermin für eine Professur.

Auch auf Professuren muß man sich ganz normal bewerben. Dazu braucht man in der Regel einen Lebenslauf, die Zeugnisse über erworbene Abschlüsse, ein Verzeichnis der eigenen Publikationen und Lehrveranstaltungen und Belege über Fortbildungen, die von Interesse sein können.

Zusätzlich werden manchmal noch Lehrevaluationen gefordert, falls sie vorliegen, oder eine Darstellung des eigenen Werdegangs. Man kann auch eine Liste der eigenen Vorträge beilegen. Dabei beschränkt man sich meist auf die Vorträge, zu denen man eingeladen worden ist – also „Voträge auf Einladung“ oder auf englisch „Invited Lectures“.

Am meisten Arbeit macht dabei in der Regel das Anschreiben, in dem man möglichst knapp darlegen muß, warum man sich selbst für die geeignete Besetzung für die Stelle hält. Dabei muß man natürlich auf die Wünsche eingehen, die in der Ausschreibung genannt sind.

Kommt man aufgrund dieser schriftlichen Bewerbungsunterlagen in die nähere Wahl, so wird man aufgefordert, die fünf wichtigsten eigenen Publikationen einzureichen. Meistens wird dann noch einmal beraten, welche Bewerber zu einem Vorstellungstermin eingeladen werden sollen.

Wer in die engere Wahl kommt, erhält dann eine Einladung zu einem Vorstellungstermin in den nächsten Wochen oder Monaten. An diesem Vorstellungstermin findet dann das „Vorsingen“ statt.

Singvogel; Foto: Jason Thompson; Quelle: Wikimedia Commons; Lizenz

Singvogel; Foto: Jason Thompson; Quelle: Wikimedia Commons; unverändert; Lizenz Creative Commons Attribution 2.0 Generic

Üblicherweise werden sechs bis acht Personen an zwei aufeinanderfolgenden Tagen eingeladen. Die Berufungskommission, die den Favoriten für die Besetzung der Professur auswählt, befaßt sich also an zwei Tagen mit je drei bis vier Bewerbern.

Alle diese Bewerber halten einen Vorstellungsvortrag mit anschließender Diskussion. Für diese Reihung von öffentlichen Vorstellungsorträgen hat sich die inoffizielle Bezeichnung „Vorsingen“ eingebürgert.

Das erste Verfahren, das ich selbst als Vertreterin der Studenten erlebt habe, liegt schon mehr als fünfzehn Jahre zurück. Damals folgte dem Vortrag und der Diskussion nur noch das Gespräch mit der Berufungskommission.

Die Kommission besteht übrigens aus mehreren Professoren der Fakultät, ein oder zwei Vertretern aus einer anderen Fakultät oder Universität sowie Vertretern des Mittelbaus und der Studenten.

Heutzutage bringt die Kommission aber meistens der Lehre viel mehr Interesse entgegen als früher. Auch die Position der Studenten ist stärker.

Deshalb gibt es häufig vor dem Kommissionsgespräch noch ein Gespräch mit Vertretern der Studenten. Außerdem wird gelegentlich eine Lehrprobe gefordert, die aber in aller Regel so kurz ausfällt, daß man nur ganz grundsätzliche Ansätze demonstrieren und die eigene Lehrpersönlichkeit zeigen kann.

Wo ein Bewerber auf einen „normalen“ Arbeitsplatz also lediglich ein Vorstellungsgespräch bestreiten und sich darauf vorbereiten muß, wird vom Bewerber auf eine Professur erheblich mehr erwartet.

Denn ein Vortrag – zumal einer, der mehrere Funktionen gleichzeitig erfüllen sollte – muß nicht nur paßgenau für den angegebenen Zeitrahmen konzipiert und ausgearbeitet werden. Man muß auch die Diskussion vorbereiten, indem man gedanklich mögliche Fragen vorwegnimmt. Zusätzlich muß ein solcher Vorstellungsvortrag aber auch für fachfremde Zuhörer verständlich sein.

Auch eine Lehrprobe muß man natürlich vorbereiten. Insbesondere muß man sich überlegen, was man tut, wenn etwas nicht klappt wie geplant. Schließlich simuliert man ja eine Unterrichtssituation mit Studenten, die man nicht kennt und die vielleicht ganz anders reagieren als gedacht.

Sowohl mit dem Vortrag als auch mit der Lehrprobe will man zeigen, wie man arbeitet und was man inhaltlich und methodisch zu bieten hat. Das muß man also bei der Themenwahl und Vorbereitung auch berücksichtigen.

Nicht zu vergessen das „Problem Medien“: Was mache ich, falls die Technik streikt und ich meine PowerPoint-Präsentationen nicht verwenden kann? Wie vermeide ich zeitraubendes Herumprobieren und unerfreuliche Lücken in der Präsentation, wenn es gar nicht klappt? Das alles will bedacht sein.

Schließlich steht noch die ganze Recherche und Vorbereitung an, die man auch sonst für ein Vorstellungsgespräch betreiben muß.

Ist das „Vorsingen“ dann vorüber, wird eine Liste mit drei Kandidaten erstellt. Nummer Eins ist die Person, für die sich die Kommission als beste Lösung entschieden hat. Nummer Zwei und Nummer Drei auf der Liste sind die am nächstbesten geeigneten Kandidaten.

Manchmal werden noch zwei Gutachten zu jeder der drei Personen eingeholt. Wenn dann der Fakultätsrat der Liste zugestimmt hat, bekommt Nummer Eins auf der Liste einen Ruf. Dann tritt sie mit der Universität in Verhandlungen ein. Wird eine Einigung erzielt, dann wird Nummer Eins berufen.

Sollte Nummer Eins den Ruf ablehnen oder sollten die Verhandlungen scheitern, so erhält in der Regel Nummer Zwei einen Ruf, und die Verhandlungen beginnen mit dieser Person von vorn usw.

Manchmal wird das Verfahren aber auch vorzeitig abgebrochen und die Stelle erneut ausgeschrieben. Das ist natürlich ärgerlich für Nummer Zwei und Drei auf der Liste, kommt aber vor.

Und warum erzähle ich Ihnen das alles?

Ganz einfach: Vorletzte Woche war ich selbst zum ersten Mal zu einem „Vorsingen“ eingeladen, deshalb hat mich das Thema in letzter Zeit sehr beschäftigt. Und ich habe festgestellt, daß viele Menschen – sogar an der Uni – gar keine genaue Vorstellung darüber haben, wie so ein Berufungsverfahren für eine Professur und ein „Vorsingen“ überhaupt ablaufen.

Bei meinem „Vorsingen“ waren ein Vortrag mit Diskussion und eine Lehrprobe gefordert. Außerdem gab es ein Gespräch mit Studentenvertretern und eines mit der Kommission.

Da das Verfahren noch läuft, erzähle ich Ihnen hier erstmal keine weiteren Details. Aber keine Sorge: Sobald es abgeschlossen ist, folgt noch eine kurze Schilderung meiner Erfahrung. 🙂
BeitragsbildFoto: Jason Thompson; Quelle: Wikimedia Commons; unverändert; Lizenz Creative Commons Attribution 2.0 Generic

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6 Kommentare

  1. Pingback: [Persophonie] “Vorsingen”: Ein Blick hinter die Uni-Kulissen – #Iran

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