Während meiner Beschäftigung mit persischen (und arabischen) Witzen und humoristischen Anekdoten sind mir in den Sammlungen, die ich untersucht habe, zwei Typen von Witzen aufgefallen, die häufig angeführt werden und gar nicht zusammenzupassen scheinen: mehr oder weniger geistreiche Sprachspiele und Anspielungen auf den Bereich unterhalb der Gürtellinie.
Insbesondere Darmwinde hatten – neben allem, was mit möglichst unerlaubten Formen von Sex zu tun hat – offenbar für die Humoristen großen Reiz. Wahrscheinlich liegt das daran, daß es bis heute so ausgesprochen unanständig wirkt, wenn jemand „einen ziehen läßt“. Jedenfalls kann man auch heute noch gebildete Iraner mit Witzen zum Lachen bringen, deren Pointe im wesentlichen darin besteht, daß jemand in einer unpassenden Situation einen Darmwind abgehen läßt. Und eine Theorie besagt, daß z.B. die Deutschen wegen eines kulturell bedingten „Reinlichkeitskomplexes“ besonders empfänglich für Fäkalkomik seien (Röhrich, S. 153). Was immer man von dieser Theorie halten mag: „Furzwitze“ sind in meinen drei Sammlungen aus dem 14., 16. und 19. Jahrhundert keine Seltenheit – wie dieser Witz hier:
Eine Frau furzte in der Hochzeitsnacht, schämte sich dafür und weinte. Der Ehemann sagte: „Weine nicht, denn der Furz der Braut ist ein Hinweis auf Überfluß!“ [Die Frau] fragte: „Soll ich dann noch einmal furzen?“ Antwort: „Mehr als das faßt der Speicher nicht.“ (Zâkânî, S. 244, Nr. 46)
Ebenso beliebt sind Sprachspiele, die manchmal sehr kunstfertig und geistreich sein konnten. Leider sind sie meistens schwer zu übersetzen. Denn Sprachspiele beruhen oft auf der Mehrdeutigkeit von Wörtern in einer bestimmten Sprache. Und wenn in der Zielsprache der Übersetzung nicht die gleichen Mehrdeutigkeiten vorhanden sind, dann kann man einen solchen Sprachwitz nicht übersetzen, sondern nur erklären. Aber Pointen, die man erst erklären muß, wirken nicht. Deshalb sollte man Witze eigentlich nicht erklären müssen. Andererseits lernt man durch erklärte Witze viel dazu (dazu mehr im demnächst geplanten Beitrag: „Humor kann man lernen“). Die folgende Anekdote ist ein schönes Beispiel dafür:
Einmal zerbrach ein äußerst schöner Prinz aus dem Hause Tîmûrs (d.i. Tamerlan) in einer Versammlung (des Dichters) Dschâmî ein Stück ägyptischen Zuckers zwischen den Zähnen, und etwas davon wurde durch seinen Speichel feucht (tar). Er legte die Stücke auf seine Handfläche und fragte Dschâmî: „Welches Stück möchtet Ihr?“ Er antwortete: „Das [Stück], das mehr/feuchter (bîš[-]tar) ist.“ (Safî, S. 235)
An dieser Anekdote muß man einiges erklären. Zunächst das Sprachspiel: Auf persisch bedeutet „tar“ feucht. „Mehr“ heißt „bîš-tar“. In diesem Fall ist „tar“ kein eigenständiges Wort, sondern eine Endung zur Steigerung eines Adjektivs. So heißt, zum Beispiel, „groß“ auf persisch „bozorg“ und „größer“ heißt „bozorg-tar“. Nur „bîš“ allein kann aber auch „mehr“ bedeuten. Nun schrieb man das Wort „bîš“ und die Endung „tar“ zu der Zeit, als diese Sammlung entstand, in zwei Worten – also genauso, wie man auch die Wortkombination „mehr“ und „feucht“ (also: feuchter) schrieb: „bîš“ (= mehr) und „tar“ (= feucht). Dschâmî sagt also gleichzeitig, er wolle das Stück haben, das „mehr“ (also größer) sei (= „bîš-tar“), und er wolle das Stück haben, das „feuchter“ sei (= „bîš tar“). Daß ein und dieselbe Formulierung beide Bedeutungen hat, ist die sprachliche Pointe.
Damit versteht man den Witz an der Sache aber noch nicht vollständig. Warum Dschâmî das größere Zuckerstück haben möchte, kann man ja leicht nachvollziehen. Aber wieso sollte er das feuchtere Stück wollen? Der Grund besteht darin, daß es sich um einen schönen Prinzen handelt, der auch auf Dschâmî eine erotische Wirkung ausübt. Deshalb gefällt ihm die Vorstellung, durch das Zuckerstück, das zuvor der Prinz im Mund hatte, nun etwas von seinem Speichel aufzunehmen. Und das feuchtere Zuckerstück enthält mehr von dem Speichel des schönen Prinzen. Solche erotischen Anspielungen sind durchaus nicht ungewöhnlich. Man hielt es für völlig normal, daß schöne Jünglinge auf erwachsene Männer erotisch wirkten. Das heißt aber noch nicht, daß der Geschlechtsverkehr mit schönen Jünglingen für Männer erlaubt gewesen wäre. Doch dazu gäbe es so viel zu sagen, daß es ein eigenes Thema ist. Lassen wir es also für heute dabei bewenden, daß der Verfasser der Sammlung eine sehr hohe Meinung von Dschâmî hatte und Dschâmî in dieser Anekdote keinesfalls unvorteilhaft dargestellt ist. Wer mehr wissen möchte, kann hier und in der dort genannten Literatur nachlesen oder in dem Buch von Khaled El-Rouayheb.
Nun scheinen Darmwinde und Sprachspiele nicht unbedingt zusammenzupassen und vor allem nicht dieselbe Art von Humor anzusprechen. Man darf deshalb aber nicht annehmen, daß sie getrennt überliefert worden wären. Im Gegenteil: Beides kommt in der Regel in ein und derselben Sammlung vor, wenn auch in unterschiedlichen Mischungsverhältnissen. Es kommt sogar vor, daß ein „Furzwitz“ eine sprachliche Pointe hat wie etwa dieser hier, in dem zweimal dasselbe Verb verwendet wird (s. die Ausdrücke in Klammern), aber in unterschiedlicher Bedeutung:
Ein Mann aus Šûštar heiratete eine Frau. Als er in der ersten Nacht zu ihr kam, hatte sie ihr Schamhaar nicht entfernt (kandan). Als er in sie eindrang, ließ das Weib einen Furz ziehen (kandan). Der Ehemann sagte: „Meine Dame! Was man entfernen muß (bâyad kand), das entfernst du nicht, und was man nicht ziehen lassen soll (na-bâyad kand), das läßt du ziehen!“ (Zâkânî, S. 265)
Quellen
Safî, Fachr od-Dîn ‚Alî b. Hoseyn Vâ’ez-e Kâschefî: Latâ’ef ot-tavâ’ef. Hrsg. v. Ahmad-e Goltschîn-e Ma’ânî. 4. Aufl. Tehrân: Eqbâl, 1362 sch./1983.
Zâkânî, Nezâm od-Dîn ‚Obeydollâh: Kolliyyât-e ‚Obeyd-e Zâkânî šâmel-e qasâyed, ghazaliyât, qata’ât, robâ’iyyât, masnaviyyât. Moqâbele bâ noskhe-ye mosahhah-e Ostâd-e faqîd ‚Abbâs-e Eqbâl va tschand noskhe-ye dîgar. Šarh va ta’bîr va tardschome-ye loghât-o âyât-o ‚ebârât-e ‚arabî az Parvîz-e Atâbakî. Tschâp-e dovvom. Tehrân: Zavvâr, 1343 š./1964-5.
Literatur
Kurz, Susanne: „Verachtet das Scherzen nicht!“: Die kulturhistorische Aussagekraft von persischen Sammlungen humoristischer Kurzprosa. 2 Halbbde. Dortmund: Verlag für Orientkunde, 2009. (Beiträge zur Kulturgeschichte des islamischen Orients, 40). (kann man z.B. hier bestellen)
Kurz, Susanne: „Witze sind auch ein ernstes Geschäft“. In: XXX. Deutscher Orientalistentag, Freiburg, 24.-28. September 2007. Ausgewählte Vorträge, herausgegeben im Auftrag der DMG von Rainer Brunner, Jens Peter Laut und Maurus Reinkowski. März 2009, http://orient.ruf.uni-freiburg.de/dotpub/kurz.pdf
Röhrich, Lutz: Der Witz: Seine Formen und Funktionen. Mit tausend Beispielen in Wort und Bild. München: dtv, 1980.
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