Nicht nur aus Amsterdam: Tulpen aus Kaschmir (Gastbeitrag von Claudia Preckel)

In den 1960er und 1970er Jahren besangen Roy Black & Die Fischerchöre, Rudi Carrell & Heintje sowie viele andere die berühmten “Tulpen aus Amsterdam”. Das Lied entstand 1953, nachdem der Texter K.G. Neumann die Tulpenpracht im berühmten Keukenhof im holländischen Lisse angeschaut hatte.

In (West-)Europa sind Tulpen seit dem 16. Jahrhundert nicht mehr aus den Gärten der Aristokratie und des Bürgertums wegzudenken. Sie stammen jedoch nicht, wie uns auch das oben genannte Lied glauben macht, aus Holland, sondern verbreiteten sich aus der heutigen Türkei zu uns.

Der Botaniker und Diplomat Ogier Ghislain de Busbecq (st. 1592) berichtete in seinen Türkischen Briefen vom Hof Süleymans I von Tulpen, wobei ihm wohl ein sprachlicher Fehler unterlief: das türkische Wort tülband, “Turbanband”, bezeichnet nur die Form der Blume, nicht deren Name.

Im Türkischen, Persischen und Urdu sind Tulpen nämlich als lâle/lâla bekannt, und in altpersischen Schriften lässt sich diese Bezeichnung schon seit dem 9. Jahrhundert finden.

Mit freundlicher Genehmigung von Mohsin Dehlvi

Mit freundlicher Genehmigung von Mohsin Dehlvi

Bereits kurz nach ihrer Einführung in Holland im 16. Jahrhundert wurden diese Zierpflanzen so beliebt, dass sie die ‘Tulpenmanie’ und damit die erste Spekulationsblase der Wirtschaftsgeschichte und einen Börsencrash im Jahr 1637 auslösten.

Doch nicht nur in der Türkei beziehungsweise im Osmanischen Reich waren die Herrscher von Tulpen fasziniert, sondern auch weiter östlich in Zentralasien wurden Tulpen bewundert.

Bâbur, der erste Herrscher des indischen Mogulreiches (reg. 1526-1530), war im heutigen Usbekistan aufgewachsen. Nach ersten Eroberungen wurde Kabul die Hauptstadt seines Reiches, bevor er anschließend seine Eroberungen nach Indien ausdehnte.

Bâburs Hauptstadt war Kabul, und in seinen Memoiren Bâbur-nâma (“Die Memoiren Bâburs”) notierte der Herrscher folgendes über die Ebenen rund um die Stadt:

Tulpen in verschiedenen Farben bedecken diese Gebirgsausläufer, ich habe sie einmal gezählt und bin auf 32 oder 33 verschiedene Sorten gekommen. Eine haben wir die ‘Nach Rosen Duftende’ getauft, weil ihr Duft in der Tat ein wenig an rote Rosen erinnert […]. Eine andere Sorte ist die Hundertblättrige Tulpe.

Alle frühen Mogulherrscher zeigten ein großes Interesse an der Blumen- und Tierwelt ihrer Umgebung, vor allem in den von ihnen eroberten Gebieten Nordindiens. Häufig verdanken wir den Memoiren der Herrscher detailgetreue Beschreibungen der indischen Natur und Umwelt.

In den von ihnen gestifteten Gärten wuchsen u.a. viele Tulpen- und Rosenarten, Narzissen und Hyazinthen. Gärten, so die Vorstellung, spiegeln mit ihren Blüten und den Wasserwegen das Paradies wider.

Auch deshalb ließen die Mogulherrscher in allen wichtigen Städten ihres Reiches wie Agra, Lahore, Fatehpur Sikri und Delhi zahlreiche Gärten anlegen. Kaschmir war mit seiner natürlichen Vielfalt von Blumen und Kräutern ein besonderer Mittelpunkt der Gartenarchitektur der Moguln.

Bâburs Nachfahre Dschahângîr (reg. 1605-1627) war von der Blütenpracht der Tulpen Kaschmirs fasziniert, wie er überhaupt von der vielfältigen Pflanzenwelt Kaschmirs begeistert war. Während seiner Regierungszeit verbrachte er dort mindestens dreizehn Mal eine längere Zeit mit seinem ganzen Hofstaat.

In seinen Memoiren Dschahângîr-nâma schrieb er, dass Kaschmir ein “ganzjähriger Garten” sei, der den Blick des Herrschers erfreue und für die armen Leute ein Rückzugsgebiet darstelle.

Wiesen und Wasserfälle seien so schön, dass sie kaum beschrieben werden könnten. Im bezaubernden Frühling seien Berge und Ebenen mit verschiedenen Sorten von Blüten bedeckt – und Torwege, Mauern, Hinterhöfe und Dächer seien durch Tulpen geradezu erleuchtet.

Mit freundlicher Genehmigung von Mohsin Dehlvi

Mit freundlicher Genehmigung von Mohsin Dehlvi

Die Methode, die Tulpen auf den Dächern anzupflanzen, fand Dschahângîr besonders bemerkenswert und betonte, dass dieses eine Besonderheit in Kaschmir sei. Als ebenso interessant befand er die Tatsache, dass es sich um schwarze Tulpen handelte, die er als “extrem wundervoll” bezeichnete. Vor allem im Palastgarten und auf dem Dach der Freitagsmoschee seien sie zu finden.

Dschahângîrs Sohn Shâh Dschahân (reg. 1628-1657) beschrieb die Methode der Tulpenbepflanzung auf den Dächern Kaschmirs genauer:

In der Stadt (i.e. Baramulla, C.P) wurden an beiden Seiten des Flusses (i.e. der Jhelam, C.P.) stattliche Häuser und schöne Gärten gebaut. Alle Gebäude der Stadt, bis auf diejenigen des Herrschers, der Prinzen, Würdenträger und einiger reicher Bewohner, sind komplett aus Holz und Holzplanken gemacht.

Sie errichten ihre Häuser drei- oder viergeschossig und setzen noch befestigte (Holz-)Dächer drauf, die mit hölzernen Dachschindeln gedeckt sind. Darüber kommt noch Gras, und das ganze wird mit Erde bedeckt. Darin pflanzen sie die Zwiebeln der lala chugasu, einer der schönsten Arten der Tulpe, die in Kaschmir im Überfluss wächst und eine prachtvolle Blüte trägt.

Auf diese Weise sehen im Frühling alle Dächer grün und blühend aus, und weil die Tulpen in voller Blüte stehen, bietet sich ein malerisches Bild, und kein anderes Land kann sich mit diesem einzigartigen Spektakel brüsten.

Auch heutzutage spielen in Kaschmir Tulpen eine große Rolle. In Srinagar wurde 2012 am Ufer des Dal Lake der größte Tulpengarten Asiens eröffnet und für Touristen zugänglich gemacht. Auf 12 Hektar gibt es Tulpen in zahlreichen Sorten und Farben zu sehen – darunter auch die schwarzen Tulpen, die über 350 Jahre zuvor schon die Mogulherrscher so fasziniert hatten.

Zum Weiterlesen bzw. zum Erinnern

Rudi Carrell und Heintje: “Tulpen aus Amsterdam” (1970).

Website des Keukenhofs: http://www.keukenhof.nl/de/

Artikel über die Eröffnung des Tulpengartens in Srinagar 2012:
http://archive.indianexpress.com/news/asias-largest-tulip-garden-now-open-to-visitors/930046

Literatur

Begley, W.E. (ed.): The Shah Jahan Nama of ‘Inayat Khan. Delhi: Oxford University Press, 1990, S. 125.

Beveridge, A.S.: Bābur-Nāma. Delhi: Munshiram Manoharlal, 1979 (Reprint), S. 215.

Thackston, W.M. (transl., ed.): The Jahangirnama. Oxford et al.: Oxford University Press, 1999, S. 332.

Dr. Claudia Preckel ist Islamwissenschaftlerin an der Ruhr-Universität Bochum und erreichbar unter claudia.preckel@rub.de.

4 Kommentare

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