Der arme gehörnte Mann – ‘Obeyd-e Zâkânîs Ehebruchwitze (Teil 2)

Der heutige Witz unterstreicht einen Aspekt, den Sie schon aus Teil 1 dieser Mini-Serie kennen: Männer werden zur Witzfigur, wenn ihre Frauen fremdgehen. Schon die bloße Unterstellung, dies sei geschehen, kann den Mann empfindlich treffen. Deshalb läßt sich die Behauptung, ein Mann sei gehörnt worden, durchaus als Beschimpfung einsetzen. Diese scharfe Waffe zieht die Frau im folgenden Witz:

Ein Mann sagte zu einer Frau: „Ich möchte dich kosten, damit ich erfahre, ob du besser bist oder meine Frau.“ Sie antwortete: „Frag meinen Mann, denn er hat mich und sie gekostet!“ (S. 244, Nr. 41)

Wie Sie sehen, geht es hier nicht um einen harmlosen und anständigen Zeitgenossen, sondern um einen Halunken, der eine fremde Frau verführen will. Vielleicht will er sie aber auch nur beleidigen. Denn das Ansinnen, sie solle ihn “sich kosten” lassen, ist für eine anständige Frau – ob verheiratet oder nicht – eine Zumutung. Der Mann hat die Retourkutsche also mehr als verdient.

Dabei geht es wohlgemerkt nicht darum, daß die Ehefrau dieses Mannes etwa ein Anrecht auf seine eheliche Treue hätte. Vielmehr besteht das Verwerfliche an seinem Handeln darin, daß er das Recht eines anderen Mannes verletzt. Wenn die Frau verheiratet ist – was hier zuzutreffen scheint -, dann bricht er ins Revier des Ehemannes ein. Ist sie noch ledig, so richtet sich seine Aggression gegen ihre nächsten männlichen Angehörigen. Deren Ansehen hängt nämlich von der Keuschheit der Frauen in der Familie ab.

Je nachdem, ob der Vater noch lebt, ist er in einem solchen Fall der Betroffene oder der Großvater väterlicherseits, ein Onkel oder der älteste Bruder, die im Todesfalle des Vaters seine Rolle übernehmen.

Selbstverständlich ist es für eine keusche Frau, die ihrer Familie keine Schande macht, ebenfalls beleidigend, wenn man ihr zutraut, sich fremden Männern ohne weitere Umstände hinzugeben.

Daher schlägt die Frau auf derselben Ebene zurück und trifft im wörtlichen Sinne unter die Gürtellinie. Denn die Pointe besteht ja darin, daß sie dem Mann recht deutlich sagt, er selbst sei der Gehörnte. Ihr Mann habe nämlich mit der Frau des Aggressors bereits das getan, was er selbst mit der Sprecherin vorhatte. Als Antwort auf seine Kränkung beleidigt sie damit seine Männlichkeit und dreht erfolgreich den Spieß um. Nun nimmt er unversehens selbst die Rolle ein, die er dem Ehemann der Frau zugedacht hatte.

Allein die Tatsache, daß die Pointe in dieser Retourkutsche der Frau besteht, zeigt klar, daß in den Augen der Leser und Hörer des Witzes in erster Linie der Ehemann der angeblich bereits “gekosteten” Frau dumm dasteht. Weder scheint die Sprecherin die Behauptung für sich selbst herabwürdigend zu finden, daß ihr eigener Mann mit fremden Frauen schläft, noch macht sie damit ihren Ehemann zur Witzfigur.

Schließlich hat nicht die Frau Anspruch auf eheliche Treue des Mannes, sondern es verhält sich umgekehrt. Ein Mann, der sein Recht nicht erfolgreich einfordern und die eigene Ehefrau nicht vom Fremdgehen abhalten kann, macht sich lächerlich – nicht derjenige, der das Recht des Ehemannes verletzt, und auch nicht die Frau des Ehebrechers.

Zumindest dürfte die Pointe auf die männlichen Leser und Hörer so gewirkt haben. Ob eine Frau das ebenso sehen und tatsächlich eine solche Behauptung als Waffe verwenden würde, ist eine ganz andere Frage. Davon ganz abgesehen ist es selbstverständlich nach dem religiösen Recht der Muslime verboten, mit einer anderen als der eigenen Ehefrau zu schlafen (es sei denn, es handelt sich um die eigene Sklavin). Man wird aufgrund dieses Witzes also keineswegs annehmen dürfen, daß sich der Ehemann der wehrhaften Frau akteptabel verhalten hätte, falls ihre Behauptung der Wahrheit entspräche.

Doch die Logik von Witzen spiegelt weniger das religiöse Recht als vielmehr gesellschaftliche Konventionen und Vorstellungen. Wir dürfen dabei auch nicht vergessen, daß Witze fiktive Situationen darstellen, die sich so wahrscheinlich selten oder nie zugetragen haben und deshalb oft nicht realistisch sind. So stellt im vorliegenden Fall der angebliche erfolgreiche Ehebrecher seine eigene Männlichkeit durch sein Handeln nicht infrage, wohl aber die des Gehörnten. Daher wird der Mann mit dem unanständigen Ansinnen mit seinen eigenen Waffen geschlagen und durch die Behauptung der Frau zur Witzfigur.

Aus der Witz-Darstellung kann man also Vorstellungen über Werte und über die auftretenden Personengruppen ableiten. Hier finde ich es besonders interessant, daß die Frau als durchaus wehrhaft und schlagfertig gezeigt wird. Außerdem verfällt sie dem Fremden keinesfalls, sondern weist sein Ansinnen mit einem Tiefschlag zurück. Sie ist also überhaupt nicht am Ehebruch interessiert und bewahrt ihre Tugend.

Diese Darstellung der Frau steht in klarem Gegensatz zu einer viel häufiger anzutreffenden Tendenz, die Sie noch kennenlernen werden: die Tendenz, die Frau als die wesentliche Schwachstelle zu betrachten, wenn es um die Bewahrung von Ansehen und Ehre des Mannes geht.

Hier sehen wir stattdessen einmal die andere Seite der Medaille, die sonst von den Autoren gern unterschlagen wird: daß es nämlich keinen Ehebruch geben könnte, wenn nicht auch Männer dazu bereit wären, sich an fremde Frauen heranzumachen. Zum Ehebruch braucht man schließlich zwei. Doch der Anteil der Männer, die sich für den Ehebruch mit fremden Frauen hergeben, wird selten so deutlich wie hier.

Dieser Witz schwimmt also ein bißchen gegen den Strom, wie Sie in der nächsten Folge zu den Ehebruchwitzen erkennen werden.

Quelle

Zâkânî, Nezâm od-Dîn ‘Obeydollâh: Kolliyyât-e ‘Obeyd-e Zâkânî šâmel-e qasâyed, ghazaliyât, qata’ât, robâ’iyyât, masnaviyyât. Moqâbele bâ noskhe-ye mosahhah-e Ostâd-e faqîd ‘Abbâs-e Eqbâl va tschand noskhe-ye dîgar. Šarh va ta’bîr va tardschome-ye loghât-o âyât-o ‘ebârât-e ‘arabî az Parvîz-e Atâbakî. Tschâp-e dovvom. Tehrân: Zavvâr, 1343 š./1964-5.

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